In memoriam Heiner Scheier (1926-2021)

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Ausgabe
2021/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19780
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(17):569

Publiziert am 28.04.2021

Wir nehmen Abschied von einem der grössten Schweizer Pioniere der Wirbelsäulenchirurgie, der seit seinem Antritt als Co-Chefarzt 1969 das Vermächtnis des Gründers der Schulthess Klinik, Dr. med. Wilhelm Schulthess, weitergeführt hat. So führte er die bis ­dahin langwierigen konservativen Therapien der schweren Wirbelsäulendeformitäten in die Ära der operativen Korrekturen. Mit seiner Genialität und Bereitschaft, sein Leben diesem anspruchsvollen Gebiet der orthopädischen Chirurgie der Wirbelsäule zu widmen, legte er den Grundstein für die moderne Behandlung des Achsen­organs in der Schweiz.
Das Studium der Medizin nahm Heiner Scheier an der Universität Freiburg (CH) auf. Nach einem Auslandsemester in Paris kehrte er zurück in die Schweiz und schloss das Studium an der Universität Zürich ab. Die Fachausbildung genoss er zuerst in Holland, dann im Wallis und in St. Gallen. Nach dem Eintritt an die orthopädische Universitätsklinik Balgrist in Zürich, wo er später auch habilitierte, spezialisierte sich Prof. Scheier zunehmend auf die Wirbelsäulenchir­urgie. 1969 wurde Prof. Scheier von Prof. N. Gschwend als Co-Chefarzt an die Schulthess Klinik berufen – ein Ruf, dem er gerne folgte. Seine Arbeit erfuhr in der Folge national und international die höchste Anerkennung.
Die Schulthess Klinik wurde 1883 durch Dr. Wilhelm Schulthess als Heim für körperlich behinderte Kinder gegründet, welche aufgrund von schweren Deformitäten der Wirbelsäule Monate bis Jahre in der Klinik verbrachten. Der grösste Fortschritt in der Behandlung fand statt, als Prof. Scheier mit seinen Operationen die Deformitäten korrigieren und die Dauer des Spitalaufenthalts drastisch reduzieren konnte. Den betroffenen Kindern wurde eine normale Gestalt zurückgegeben und ein normales Leben ermöglicht.
Prof. Scheier war in vieler Hinsicht ein Vorbild für seine Assistenzärztinnen und -ärzte. Neben seiner fachlichen Kompetenz sind vor allem seine Menschlichkeit und Bescheidenheit zu erwähnen. Starallüren waren ihm fremd. Kaum ein anderer hätte es besser zum Ausdruck bringen können als sein «Kampfgefährte», Prof. Gschwend (1925–2020), selber seit 1962 Chefarzt an der Schulthess Klinik, in einer früheren Laudatio:
«Würde es eines Beweises bedürfen, dass kompromisslose Ehrlichkeit und ein hohes Mass an Uneigennutz, gepaart mit einer entwaffnenden Bescheidenheit, am zuverlässigsten die Sympathie der Mitmenschen zu mobilisieren vermögen, so hinterlässt ihn Heiner Scheier in den Herzen all jener, die ihn näher kennenlernen durften.»
Welche Wunder dieses Zweigespann mehr oder weniger aus dem Nichts vollbrachte, kann man heute an der Lengghalde 2 in Zürich, in Form der heutigen Schulthess Klinik, bestaunen.
Seit seiner Pensionierung im Jahre 1999 hat sich Prof. Scheier aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und wurde an der Schulthess Klinik nur selten gesehen. Auch seine Lehrtätigkeit an der Universität und sein Engagement in der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie (heute Swiss Orthopaedics) stellte er ein. Seine Nachfolger, zuerst Prof. Dieter Grob und momentan Prof. Dezsö Jeszenszky, tragen sein Vermächtnis erfolgreich weiter.
Sprichwörtlich für die Einstellung von Prof. Scheier ist diese anekdotische Geschichte aus dem Hörsaal. Bei einer Vorlesung stellte Prof. Scheier einen Patienten vor, der ihn begleitete und die ganze Vorlesung miterlebte. Während der einstündigen Vorlesung zeigten sich die Studenten nicht sehr diszipliniert, unterhielten sich untereinander, zeigten wenig Respekt und Aufmerksamkeit. Danach fragte der Patient Prof. Scheier, ob es sich gelohnt und ob es ihn nicht gestört habe, dass die Studierenden nicht aufmerksam seinen Ausführungen zugehört hätten. Darauf antwortete Prof. Scheier: «Wissen Sie, wenn nur einer von den vielen Studenten zugehört hat, dann hat sich das schon gelohnt.»
Mit Prof. Heiner Scheier verlieren wir einen echten Freund und Lehrer, der als lieber Mensch und visio­närer Arzt in uns weiterleben wird.
Prof. Dr. med. Dezsö Jeszenszky
Chefarzt Wirbelsäulenchirurgie;
Dr. med. Tomas Drobny
Senior Consultant, Untere Extremitäten;
Dr. med. Rainer-Peter Meyer
Senior Consultant, Obere Extremitäten
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