Die vermeidbare dritte Welle

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2021/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19817
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(18):612

Publiziert am 05.05.2021

Die vermeidbare dritte Welle

In der Schweizerischen Ärztezeitung vom 31.3. erklärt Blaise Genton unter anderem, dass man die Anzahl Covid-Geimpfter mit Änderungen des Impfprotokolls hätte erhöhen können. Es stellt sich die Frage: Warum ist dies nicht geschehen? Warum wurden Hunderttausende von Impfdosen verschwendet? Erfahrungen mit der EKIF [1] liefern eine Erklärung.
Im Januar 2021 musste ein aufmerksamer Beobachter aus der Covid-Epidemie die folgenden Schlüsse ziehen:
1. Die Inzidenz neuer Fälle verringerte sich kaum – jedenfalls viel weniger als nach der ersten Welle.
2. Der teilweise Lockdown kann nicht viele Monate weitergeführt werden.
3. Nur Impfung verspricht Verhinderung einer dritten Welle – aber die versprochenen Lieferungen sind gering.
In dieser Notlage hätte die EKIF sich fragen müssen: Wie können wir aus dem vorhandenen Impfstoff bis Ende April den maximalen Nutzen ziehen?
Die relevante Literatur (inklusive Preprints) lieferte schon damals erdrückende Beweise für die wahrscheinliche Wirksamkeit geringerer Dosen, mit der Perspektive, mehr Leute impfen zu können.
Am 21.1. wurde die EKIF über diese Sachlage informiert. Keine Reaktion. Nach Mahnung wurde lediglich klar, dass die EKIF die relevanten Publikationen ignorierte. Hier ein Beispiel aus der Antwort: «Die anti Spike Protein Antikörper geben nicht die volle Immunantwort wieder und sind kein generell akzeptierter surrogate marker für Schutz (gold standard sind neutralisierende Antikörper).» Aber die relevanten Publikationen zeigen hohe Titer von genau diesen neutralisierenden Antikörpern [2].
Ein zweites Beispiel: In vielen Ländern werden Personen, die schon mal Covid gehabt haben, nur einmal geimpft. Dies deswegen, weil
1. nach nur einer Impfung Titer erreicht werden, die mindestens so hoch sind wie diejenigen nach zwei Impfungen von Covid-Naiven;
2. die zweite Impfung (der Covid-Erfahrenen) die Titer nicht mehr erhöht;
3. die Nebenwirkungen (Fieber und Schmerzen an der Injektionsstelle bei Covid-Erfahrenen) besonders nach der zweiten Impfung oft erheblich sind.
In der Schweiz aber werden immer noch Tausende vom Impfdosen an Covid-Erfahrene verschwendet, weil die offizielle Empfehlung zwei Dosen vorschreibt.
So stellt sich denn die Frage: Welche Funktion hat ein Experte? Bestimmt nicht, offizielle Empfehlungen durchzusetzen. Jeder kann einen Packungszettel lesen und einspritzen, was draufsteht. Im Gegenteil, Expertenwissen ist vonnöten, wenn man von den offiziellen Empfehlungen abweichen muss. Es ist auch nicht Aufgabe von Experten, jegliches Risiko auszuschliessen, sondern eine Abwägung vorzunehmen und zu empfehlen, was den besten Nutzen/Risiko-Quotienten verspricht.
Dies tat die EKIF nicht. Stattdessen, durch Vermeidung der wissenschaftlichen Diskussion, irreführende Argumente und Verstecken hinter «offiziellen» Richtlinien, zögert sie notwendige Entscheide so lange heraus, bis sie nicht mehr relevant sind.
Die EKIF hat nicht den Mut gehabt, zu tun, was nötig war. Für die unvermeidbaren Folgen der dritten Welle, inklusive der verspäteten Auf­hebung des teilweisen Lockdowns, trägt sie ­einen Teil der Verantwortung.