Zum Tod von Frau Dr. med. Ellen Frossard 1927 - 2021

Nachrufe
Ausgabe
2021/26
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19939
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(26):876

Publiziert am 29.06.2021

Es steht mir nicht zu, die grossen wissenschaftlichen Verdienste von Frau Dr. Frossard zu würdigen. Trotzdem möchte ich, durch meine Erinnerungen als junger Assistenzarzt, meiner Hochachtung und meinem Respekt gegenüber unserer Lehrerin Ausdruck geben und ein paar Reminiszenzen aufleben lassen.
Meine erste Begegnung mit ihr ergab sich am Morgen meines Staatsexamens, als im Korridor des Tiefenauspitals Prof. Riva vorbeihuschte, uns zitternde Kandidaten kaum beachtete und uns zurief: «Frau Frossard wird kommen» …
Die nächste Begegnung geschah im Spital Aarberg. Dr. Frossard war die erste vollamtliche Chefärztin der Medizin mit zwei Assistenzärzten und einer Sekretärin, welche gar nur für die Chefin da war. Die Berichte waren selbst zu schreiben, gefürchtet waren Durchsicht und Korrektur durch Frau Dr. Frossard. Nicht selten war die x-te Auflage der Berichte im Dachzimmer des Assistenten­büros zwischen 21 und 22 Uhr noch in Arbeit.
Es soll dann einer der Kameraden, als auch diese Version nicht genügte, Frau Doktor, nachdem sie die Türe zum Büro hinter sich geschlossen hatte, die Schreibmaschine nachgeworfen haben. Der Verwalter, der die Hermes 3000 gerne immer selbst reparierte, kapitulierte allerdings vor dem Schaden und verfügte dem Kameraden einen Lohnabzug …
Die strenge Erziehung auch der diensthabenden Assistenten der Chirurgie zahlte sich aus. Das morgendliche «Examen» bei der Übergabe der nachts Aufgenommenen an die Medizin hatte es in sich. Die Konsequenz waren sorgfältige Statuserhebung und saubere Dokumentation.
Dr. Frossards sorgfältiger und umsichtiger Umgang mit Antibiotika war ausserdem einmalig. Unvergesslich die Episode, als ein Kamerad aus der Chirurgie nachts eine schwere Angina hospitalisierte und drei Mal 1 Mio. Penicillin G verordnete. «Wie hoch haben Sie dosiert?», war die Frage. «Drei Mal 1 Mio.» – «Viel zu viel!! Oder dachten Sie etwa an eine beginnende Sepsis?» Der Befragte schöpfte Hoffnung auf Rettung: «Ja.» – «Dann ist es viel zu wenig!!»
Auch ihre Liebe zum Detail war unvergleichlich: Der Händedruck bei der Begrüssung des Patienten diente beispielsweise der gleichzeitigen Kontrolle, ob er den Betablocker auch wirklich eingenommen hatte.
Der strenge Winter 1977 brachte grosse Schneefälle, und so kam es, dass die Strassen im Schüpberg, wo Frau Dr. Frossard wohnte, unpassierbar wurden. Sie wartete also zunächst das Schneeräumfahrzeug ab und fuhr dann hinter diesem her. Allerdings kam sie so erst gegen Mittag im Spital Aarberg an. Was war passiert? Die Mannschaft des Schneepflugs hatte nach vielen Stunden unterwegs eine Pause im nächsten Gasthof eingelegt, worauf ihr nichts anderes übrig blieb, als sich ebenfalls an einen Tisch zu setzen und das Ende der Pause abzuwarten.
Des Weiteren machte ihr unglaubliches Wissen um die Borreliose sämtliche Grundversorger der Region Aarberg zu Experten, lange bevor man andernorts überhaupt von den Zecken wusste. Es gingen eine Weile lang sogar Gerüchte um, man könne ohne Borrelien­titer im Spital Aarberg gar nicht eintreten … Auch hat Dr. Frossard später kleinere medizinische Kränzchen bei ihr zu Hause abgehalten; Fortbildungen der besten Art, liebenswürdig und kompetent.
Mit Dr. med. Ellen Frossard ist eine Grösse der Inneren Medizin verstorben, die unseren Respekt und unsere Anerkennung verdient. Nach vielen Praxisjahren zuhinterst im Val d’Hérens und später als Oberärztin unter Professor Riva lagen ihr die Hausärzte besonders am Herzen. Sie hat uns solides Handwerk beigebracht, streng, konsequent und kompetent. Der Dank und die Erinnerung aller ihrer Assistentinnen und Assistenten, Oberärztinnen und Oberärzte ist ihr sicher.
Dr. med. Ulrich Castelberg, Aarberg
ulrich[at]castelberg.ch