Preis «Best Case Report», gesponsert vom Schweizerischen Ärzteverlag EMH

«Eine wunderbare Belohnung»

Tribüne
Ausgabe
2021/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20060
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(39):1278-1279

Affiliations
Print- und Online-Redaktorin

Publiziert am 28.09.2021

Mit 26 Jahren gewann Aurélia Zimmerli den Best Case Report der Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin. Die junge Assistenzärztin untersuchte die Verwendung von Rekonvaleszenzplasma bei immunsupprimierten Personen mit SARS-CoV-2. Ein grosser Durchbruch für Betroffene.

Zur Person

Nach erfolgreichem Abschluss ihres Medizinstudiums im September 2019 begann Aurélia Zimmerli ihre Assistenzarztzeit im Bereich Covid-19 in der Inneren Medizin des CHUV. Gegenwärtig arbeitet sie auf der Inneren im Hôpital Riviera-Chablais (HRC). Im Mai 2022 wird sie ans CHUV Lausanne zurückkehren. Aurélia Zimmerli ist 26 Jahre alt und lebt in Montreux.
Aurélia Zimmerli, Sie haben den Best Case Report erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert?
Es ist unglaublich, diese Auszeichnung in so jungen Jahren zu erhalten. Ich hatte mich während meiner ersten Assistenzarztstelle nach dem Medizinstudium mit diesem Fall befasst. Es ist vor allem eine wunderbare Belohnung für eine perfekt gelaufene Teamarbeit. Dieser Erfolg ist das Ergebnis der multidisziplinären Zusammenarbeit eines Teams, das aus Spezialistinnen und Spezialisten verschiedener Medizinbereiche zusammengesetzt war. Jeder suchte nach einer Lösung für eine Patientin oder einen Patienten und diese Suche war erfolgreich.
Genau! Erzählen Sie uns von Ihrem Patienten. Warum erregte sein Fall Ihre Aufmerksamkeit?
Während meiner Zeit als Assistenzärztin in der Covid-19-­Abteilung der Inneren Medizin des Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) wurde während der ersten Welle im April 2020 ein immunsupprimierter Patient mit einer SARS-CoV-2-Infektion eingewiesen. Zu unserer grossen Überraschung blieb er selbst nach einer zweimonatigen Isolation positiv und sympto­matisch. Er konnte aufgrund seiner Immundefizienz keine Antikörper gegen das Virus entwickeln. Von Juli bis Dezember 2019 hatte er sich wegen einer chronischen Leukämie einer immunsuppressiven Therapie unterzogen. Als behandelnde Internisten organisierten wir ein multidisziplinäres Meeting von Fachpersonen aus der Infektiologie, Immunologie, Pneumologie, Hämatologie sowie Spezialisten aus der Transfusionsmedizin, um den Fall zu diskutieren. Wir suchten nach einer Lösung für den Risikopatienten, denn wir wollten eine verlängerte Isolierung vermeiden und das Fortschreiten seiner Erkrankung aufhalten.
Sie entschieden sich für die Transfusion von Rekon­valeszenzplasma. Warum?
Wir gingen von der Hypothese aus, dass Personen, die an Covid-19 erkranken, spezielle Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus entwickeln. Diese Antikörper befinden sich im Blut, genauer gesagt im Plasma. Letzteres nennen wir «Rekonvaleszenzplasma». Wenn nun ein immunsupprimierter Patient, der keine eigenen Antikörper entwickeln kann, «Rekonvaleszenzplasma» erhält, sollten die übertragenen Antikörper die virale Infektion kontrollieren bzw. eliminieren können. Diese Strategie funktionierte beim betroffenen Patienten; gleichzeitig blieben jedoch zahlreiche Fragen offen.
Welche?
Wir wussten nicht genau, wie viele Antikörper im Plasma des von Covid-19 genesenen Spenders enthalten sein mussten, damit die Übertragung funktionierte, oder welche Rolle dem Plasma selbst zukam bzw. welche Mechanismen real greifen sollten. Insgesamt gab es vier Transfusionszyklen (Anm. d. Red.: ein Zyklus = 2× 200 ml Plasma); danach war das Virus komplett eliminiert. Wir waren überrascht, wie schnell es zu diesem positiven Ergebnis gekommen war.
Die Vergabe von Rekonvaleszenzplasma wird in der Schweiz bereits praktiziert. Was ist die Besonderheit bei Ihrer Methode?
In der Tat wird bereits seit langem auf der Basis von Rekonvaleszenzplasma therapiert, und in der Vergangenheit kamen diese Therapien bereits bei Krankheiten wie Ebola oder H1N1 (Schweinegrippe) zum Einsatz. Die Verwendung von Rekonvaleszenzplasma gegen SARS-CoV-2 wurde in zahlreichen klinischen Studien weltweit – inklusive in der Schweiz – getestet. Die aktuellen Daten zeigen positive klinische Ergebnisse, wenn das Rekonvaleszenzplasma an Patientinnen und Patienten verabreicht wird, die selbst nicht genügend Antikörper produzieren können, d.h., wenn eine Immunsuppression vorliegt. Allerdings sind therapiespezifische Effizienzkriterien weitgehend unbekannt, und es gibt nur wenige Studien zu immunsupprimierten Personen. Vor diesem Hintergrund bietet unsere Fallstudie einen Überblick über die verschiedenen Wirkmodi der Plasmakomponenten. So konnten wir beispielsweise eine entzündungshemmende Wirkung aufzeigen, in Kombination mit einer neutralisierenden Wirkung auf SARS-CoV-2 selbst, was zur Eliminierung des Virus beim immunsupprimierten Patienten führte.
Die Herangehensweise war schwierig. Können Sie uns mehr dazu sagen?
Ja, wir mussten unsere Herangehensweise der medizinischen Direktion des CHUV zur Validierung vorlegen, da diese spezielle Indikation der Rekonvaleszenzplasmaübertragung von Swissmedic noch nicht zur Behandlung von Covid-19 anerkannt war. Dank der Zusammenarbeit mit dem Transfusionszentrum Basel, das im April 2020 eine Blutbank mit Rekonvaleszenzplasma aufgebaut hatte, konnten wir das richtige Plasma ausfindig machen. Es musste genügend Antikörper enthalten und der Blutgruppe AB entsprechen. Diese Blutgruppe kommt in der Bevölkerung am seltensten vor. Das interregionale Blutspendezentrum in Epalinges hat uns dann das entsprechende Plasma von einem Spender der Blutgruppe AB zur Verfügung gestellt, so dass wir den vierten Transfusionszyklus beim untersuchten Patienten in die Wege leiten konnten.
Wo steht die Rekonvaleszenzplasma-Forschung inzwischen auf nationaler und internationaler Ebene?
Diese Therapie weckt immer mehr Interesse und Hoffnung für die Behandlung von immunsupprimierten Patientinnen und Patienten. Im CHUV haben wir inzwi­schen etwa 40 Personen mit Plasma behandelt, das mit SARS-CoV-2-Antikörpern angereichert war. Die Ergebnisse stimmen sehr optimistisch. Vergleichbare Studien laufen derzeit in Frankreich und in den USA.
Der Therapieansatz ist also sehr vielversprechend.
Ja, es muss allerdings angemerkt werden, dass bestimmte SARS-CoV-2-Infektionen bei immunsupprimierten Patientinnen und Patienten bestehen bleiben können, wenn die Infektion nicht als solche erkannt und behandelt wird. Vor kurzem haben wir eine Patientin plasmabehandelt, die bereits seit über einem Jahr persistierende Symptome zeigte. Passive Immunisierungsansätze per Antikörperübertragung lassen weiterhin Fragen offen. Zwar mögen monoklonale SARS-CoV-2-Antikörper künftig verfügbar sein, doch die Erfahrung mit diesen neuen Therapieformen bleibt begrenzt, wohingegen das Rekonvaleszenzplasma sein Potenzial bei immunsupprimierten Patientinnen und Patienten bereits unter Beweis gestellt hat.
Wie werden Sie die 2000 Franken Preisgeld einsetzen?
Nach Rücksprache mit den Oberärztinnen und Oberärzten der Inneren Medizin des CHUV haben wir beschlossen, dieses Geld für eine weitere Studie nach meiner Rückkehr zum CHUV – ich bin gegenwärtig in Rennaz – zurückzuhalten.
Eine solche Studie kann erneut in Verbindung mit Covid-19 stehen, aber ich bin auch offen und interessiere mich für andere Themen der Inneren Medizin. Es war reiner Zufall, dass ich diesen Fall analysieren und diese Erfahrung machen durfte. Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, ausgestattet mit der wissenschaftlichen Neugier und dem Willen, eine Lösung für diesen Patienten zu finden.
Hat Sie diese Erfahrung motiviert, in die Forschung zu gehen?
Die Forschung war nicht von Anbeginn Teil meiner Ambitionen, aber diese Fallstudie und der damit verknüpfte Erfolg haben mir tatsächlich Lust auf mehr gemacht! Forschungsarbeit unterscheidet sich sehr von klinischer Arbeit. Mir gefällt die ergänzende Komponente.

Best Case Report: Zum ersten Mal vergeben

Anlässlich des Frühjahrskongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) wurde Aurélia Zimmerli der Preis für den Best Case Report verliehen. Gesponsert vom Schweizerischen Ärzteverlag EMH, wurde die Auszeichnung erstmals vergeben. Sie ist mit 2000 Franken dotiert. Die Fallstudie der jungen Ärztin war eine aus einer Auswahl von zehn weiteren Fällen. Es musste ein entsprechendes Abstract bei der SGAIM eingereicht und der Fall schriftlich und mündlich vertreten werden (Poster).
Scannen Sie den QR-Code, um zur ­veröffentlichten Fallstudie zu gelangen:
julia.rippstein[at]emh.ch