Repräsentative Befragung der Ärzteschaft im Auftrag der FMH

Hohe Impfbereitschaft bei Ärztinnen und Ärzten

FMH
Ausgabe
2021/44
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20211
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(44):1432-1435

Affiliations
a Dr. phil., Experte, Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife, FMH; b Leiterin Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife, FMH; Trainee gfs.bern; d ­Leiterin operatives Geschäft gfs.bern; e Co-Leiter gfs.bern

Publiziert am 03.11.2021

Die Arbeitsbelastung der Ärzteschaft ist während der Corona-Pandemie weiter angestiegen. Auch der Dokumentationsaufwand nimmt kontinuierlich zu. Die befragten Ärztinnen und Ärzte weisen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung trotz Schutzkonzepten eine fast doppelt so hohe Infektionsrate auf. Die Impfquote der Ärzteschaft ist denn auch überdurchschnittlich hoch.
Wie hat sich die Corona-Situation aus Sicht der Ärzteschaft seit der letzten Befragung entwickelt? Wie hat sich ihr Arbeitsalltag über die Jahre und im Zuge der Corona-Pandemie verändert? Und wie hoch ist die Bereitschaft der Ärztinnen und Ärzte im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen?
Diese und weitere Fragen untersuchte das Forschungsinstitut gfs.bern im Rahmen seiner nun bereits zum elften Mal durchgeführten repräsentativen Befragung der Ärzteschaft im Auftrag der FMH [1]. An der aktuellen Erhebung, die von Mitte Juni bis Mitte Juli 2021 stattfand, haben insgesamt 1603 Ärztinnen und Ärzte teilgenommen.

Arbeitsbelastung weiter angestiegen

Viele Ärztinnen und Ärzte haben eine anstrengende Zeit hinter sich. In der Akutsomatik stimmten im Jahr 2021 bereits 37% der Befragten der Aussage sehr oder eher zu, dass die zweite und dritte Welle der Corona-Pandemie ihre Arbeitsbelastung insgesamt stark erhöht hat; 2020 waren es noch 23%. Nur noch 63% der Befragten haben das Gefühl, ihr tägliches Arbeitspensum gemäss den medizinischen Anforderungen ihres Berufs zu erfüllen. Im Vorjahr waren es noch 71%. Der Anteil der Befragten, der sehr oder eher zufrieden mit seiner Work-Life-Balance ist, sank in der Akutsomatik auf 45%.
Dieser Befund steht im Einklang mit der Feststellung, dass erstmals über 60% der in der Akutsomatik tätigen Spitalärztinnen und -ärzte angaben, meistens oder häufig an Stress zu leiden (Abb. 1). In der Psychiatrie sind es ebenfalls über 60%, während in der Rehabilitation mit exakt der Hälfte etwas weniger Personen betroffen sind.
Abbildung 1: Beschwerden/Beeinträchtigungen (Akutsomatik).
Inzwischen gibt in der Akutsomatik und der Psychiatrie zudem fast ein Fünftel der Befragten an, über eine Stelle ausserhalb des Schweizer Gesundheitswesens nachzudenken. Angesichts des sich zuspitzenden Ärztemangels ist dies eine Entwicklung, die ernst zu nehmen ist.

Qualität darf nicht beeinträchtigt werden

Problematisch wird es dann, wenn die Arbeitsbelastung und der Zeitdruck beginnen, die Patientenversorgung negativ zu beeinflussen. Ein immer grösserer Anteil der Spitalärzte – vor allem in der Psychiatrie, aber auch in der Akutsomatik – hat meistens oder häufig den Eindruck, dass die Qualität der Patientenversorgung durch die hohe Arbeitsbelastung oder den Zeitdruck beeinträchtigt ist. In der Psychiatrie sind es ­inzwischen 56% und in der Akutsomatik 44%. Erfreu­licherweise beurteilen die Ärztinnen und Ärzte die Versorgungsqualität in ihrem Arbeitsumfeld jedoch mehrheitlich als sehr gut oder gut. Allerdings beurteilten die Psychiaterinnen und Psych­iater diese während der zweiten und dritten Welle kritischer als sonst. Nur noch 66% schätzten die Versorgungsqualität während jener Zeit als sehr gut oder eher gut ein. Die Zustimmung fällt somit auch deutlich tiefer aus als im Jahr 2020, als sie bezogen auf die Lockdown-Phase 88% betrug. Diese Verschlechterung könnte Ausdruck einer im Verlaufe der Pandemie zunehmenden psychischen Belastung bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen sein [2], die zu einer entsprechend erhöhten Inanspruchnahme der Psychiatrie führte [3].

Weitere Resultate

Weitere Informationen zur diesjährigen Befragung der Ärzteschaft durch gfs.bern im Auftrag der FMH finden sich unter www.fmh.ch → Themen → Stationäre Tarife → Begleitforschung. Dort sind neben den Auswertungen zur Corona-Pandemie auch die ­Ergebnisse zu weiteren Fragestellungen dargestellt; so zum Beispiel zur Entwicklung der Arbeitsumstände der Ärzteschaft, zur Einstellung zum Prinzip «ambulant vor stationär» sowie zur Einschätzung von «Hospital at Home».

Steigender Dokumenta­tionsaufwand

Die Spitalärztinnen und -ärzte haben immer weniger Zeit für ihre Patientinnen und Patienten. Im Jahr 2021 verbrachten sie in der Akutsomatik durchschnittlich rund einen Drittel ihrer Arbeitszeit mit patientennahen Tätigkeiten.
Demgegenüber steigt der Zeitaufwand für die ärztliche Dokumentationsarbeit stetig und beträgt inzwischen mehr als einen Fünftel der Arbeitszeit der Befragten. Wurden in der Akutsomatik im Jahr 2011 noch 86 Minuten pro Tag auf die Dokumentationsarbeit verwendet, so betrug der Wert zehn Jahre später bereits 122 Minuten (Abb. 2).
Abbildung 2: Zeitaufwand für ärztliche Dokumentationsarbeit/Patientendossier.

Hohe Infektionsrate bei der Ärzteschaft

Je nach Ärztegruppe gaben zwischen 11 und 20% der Befragten an, bereits eine nachgewiesene Covid-19-Infektion erlitten zu haben (Abb. 3).
Abbildung 3: Covid-19-Infektion.
Zum Vergleich: Für die schweizerische Gesamtbevölkerung und die Zeitperiode vom 24. Februar 2020 bis 16. Juli 2021 beträgt die Anzahl von laborbestätigten Covid-19-Fällen 8201 pro 100 000 Einwohner [4]. Dies entspricht einer Infektionsrate von etwas mehr als 8%. Mit 15% fällt der entsprechende Anteil bei den Spitalärztinnen und -ärzten in der Akutsomatik somit fast doppelt so hoch aus. Dies, obwohl eine deutliche Mehrheit der Befragten den Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit während der Pandemie positiv beurteilt. Es ist davon auszugehen, dass Ärztinnen und Ärzte berufsbedingt nicht nur einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind, sondern sich auch mehr testen lassen. Dennoch darf die psychische und physische Belastung der Risiken der Ärzteschaft in der Pandemie nicht aus­ser Acht gelassen werden.

Überdurchschnittlich hohe Impfquote

Bei den akutsomatisch tätigen Spitalärztinnen und -ärzten sind 88% sehr oder eher mit der Aussage einverstanden, dass nur die Covid-19-Impfung eine Bewältigung der Pandemie ermöglichen wird. Bei den praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten sind es 80%. Hierzu passt entsprechend, dass 93% der Spitalärztinnen und -ärzte der Akutsomatik zum Befragungszeitpunkt im Juni/Juli 2021 bereits geimpft waren und 4% sich bis Ende 2021 noch impfen lassen wollen (Abb. 4) [5].
Abbildung 4: Covid-19-Impfung.
Bei den praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten sind es 85 respektive 5%.
Nur 2% der Ärztinnen und Ärzte der Akutspitäler und 6% der Praxisambulanz gaben an, nicht geimpft zu sein und sich dieses Jahr auch nicht mehr impfen zu lassen. Dies unter anderem auch deshalb, weil sie bereits eine Covid-19-Infektion durchgestanden haben (15% aller ungeimpften Ärztinnen und Ärzte). Zudem wurden von den Ungeimpften vor allem allfällige unbekannte langfristige Nebenwirkungen als Hinderungsgrund genannt.

Ärzteschaft ist besonders betroffen

Die Ärzteschaft ist in vielerlei Hinsicht in ihrer täglichen Arbeit durch die Corona-Pandemie direkt betroffen und trägt aktiv zu deren Überwindung bei. Dies einerseits durch ihre überdurchschnittliche Impfquote und andererseits mit ihrem hohen Engagement in den Spitälern und Praxen. Besonders in diesen pandemiebedingt strengen Zeiten ist es wichtig, dass sich die Ärztinnen und Ärzte auf das Wesentliche konzentrieren können, nämlich auf ihre Patientinnen und Patienten. Entsprechend gilt es, endlich wirksame Massnahmen einzuleiten, damit der langfristig ansteigende Trend beim Dokumentationsaufwand gebrochen wird.
FMH
Abteilung Stationäre ­Versorgung und Tarife
Baslerstrasse 47
CH-4600 Olten
Tel. 031 359 11 11
Fax 031 359 11 12
tarife.spital[at]fmh.ch
1 Siehe zusammenfassende Ergebnisse der Befragung 2021 der Ärzteschaft von gfs.bern im Auftrag der FMH unter www.fmh.ch → Themen → Stationäre Tarife → Begleitforschung.
2 Mohler-Kuo M, Dzemaili S, Foster S, Werlen L, Walitza S. Stress and Mental Health among Children/Adolescents, Their Parents, and Young Adults during the First COVID-19 Lockdown in Switzerland. International Journal of Environmental Research and Public Health. 2021;18(9):4668.
3 Stocker D, Jäggi J, Liechti L, Schläpfer D, Németh P, Künzi K. Der Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung und die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung in der Schweiz. Schlussbericht. Bern: Bundesamt für Gesundheit; 2021.
4 Vgl. www.covid19.admin.ch/de/epidemiologic/case?time=total&demoView=graph&geo=CH&sum=cumulative. Für einen Vergleich zwischen verschiedenen Altersgruppen liegen keine über den gesamten Zeitraum kumulierten Daten vor.
5 Zum Vergleich: In der schweizerischen Gesamtbevölkerung waren 38,4% der 30–39-Jährigen, 47,5% der 40–49-Jährigen, 57,0% der 50–59-Jährigen und 70,2% der 60–69-Jährigen vollständig geimpft (Zeitperiode 21.12.2020 bis 18.7.2021; www.covid19.admin.ch/de/vaccination/persons?geo=CH&demoSum=total).