Ein Gesetz zum Schutz des Tabakgeschäfts gegen das Menschenrecht auf Gesundheit

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2021/42
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20227
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(42):1365-1366

Publiziert am 19.10.2021

Ein Gesetz zum Schutz des Tabak­geschäfts gegen das Menschenrecht auf Gesundheit

Die Schweiz hat Mühe, ihren Fehler aus dem letzten Jahrhundert zu korrigieren. Heute noch reiht ihre Gesetzgebung die Tabakprodukte unter die Lebensmittel, weil das Tabakproduktegesetz TabPG, welches den Missstand beheben sollte, heftige Kritik erntet [1].
Wissenschaft: Die liberale Schweiz beruft sich auf den Glauben, siehe den ersten Satz der Bundesverfassung. Ohne medizinische Abklärung teilte sie im Lebensmittelgesetz die ­Tabakprodukte zu den Lebensmitteln.
Getreu ihrer Aufgabe, sich der Gesundheit der Menschen und nicht der Gesundheit der Wirtschaft zu widmen, musste die Medizin zunehmend feststellen, dass Tabakprodukte keine Lebensmittel sind, sondern ANTI-LEBENSMITTEL. Ihre Wissenschaft kommt heute zur Dia­gnose: TABAKPANDEMIE. Gegenwärtig führt das Rauchen täglich zu 25 Todesfällen in der Schweiz, d.h., es ist die wichtigste Ursache für den vorzeitigen Tod im Land.
Die Tabakindustrie ist Menschenwerk. Weil deren Produkte unvereinbar sind mit Gesundheit und Leben, sind die nicht-übertragbaren Krankheiten, welche sie in den ­Konsumenten verursachen, keine natürlichen Krankheiten, sondern menschengemacht. Das verpflichtet die Medizin und die Menschheit, alles für deren Vermeidung zu tun, wie es gilt, Kriege zu vermeiden.
Recht auf Gesundheit. Der von der Schweiz ­unterzeichnete UNO-Pakt I berücksichtigt das medizinische Wissen und dient dem Wohl der Epidemien-Opfer. So stimmte der UNO-Menschenrechtsrat den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zu, welche die Unternehmen verpflichten, die Menschenrechte zu respektieren, d.h. negative Auswirkungen ihrer Produkte auf die Menschenrechte zu vermeiden. Folgen dieser Art erfordern die Einstellung der entsprechenden unternehmerischen Aktivitäten. Weil Tabak für die menschliche Gesundheit schädlich ist, sind Produktion von Tabakwaren und deren Kommerz unvereinbar mit dem Menschenrecht auf Gesundheit. Die UNO-Leitprinzipien verlangen darum, der Produktion und dem Handel mit Tabak und Tabakwaren ein Ende zu setzen.
Blei, Asbest, Thalidomid, Benzin, Tabak. Der Mensch brachte mit seiner Autonutzung das dem Benzin beigemischte Blei in die Biosphäre. Der Film La Pacifiste porträtiert jene Berner Wissenschafterin, die schon 1917 (!) das Verbot von Blei-Benzin zum Schutz der Gesundheit forderte. 124 Jahre später konnte vor kurzem die UNO die Erfüllung dieser ­Forderung feiern, nachdem auch das letzte Land kein Blei-Benzin mehr verkauft; laut UNO eine «höchst wichtige Etappe für die ­Gesundheit der Menschen». Jeder Arzt kennt das Verbot von Asbest, von ­Thalidomid usw., aus Gesundheitsgründen, und die Gletscher-Initiative will die Nutzung fossiler Brennstoffe wie Benzin verbieten. Dem Tabak blüht die gleiche Zukunft.
Ein Gesetz zum Schutz der Tabakindustrie vor der Medizin und dem Menschenrecht auf ­Gesundheit. Die UNO bezeichnet die Tabakepidemie «als eine der grössten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit der Welt. Sie verursacht mehr als 8 Millionen Tote pro Jahr» [2]. Die WHO-Präsidentin sagte 2013: «Die Anstrengungen, um die nicht-übertragbaren Krankheiten zu vermeiden, kollidieren mit mächtigen Wirtschaftsinteressen [...] es handelt sich um einen umfassenden Widerstand, weil nur wenige Regierungen die Gesundheit über die Wirtschaftsinteressen stellen» [3].
Das TabPG macht deutlich, was für die Schweiz zählt: gegen die Medizin und gegen das Menschenrecht auf Gesundheit schützt sie eine todgeweihte, weil tödliche Industrie. Zudem sperrt sie sich ein im eigenen Widerspruch: das TabPG schützt ihre lukrativen ­Geschäfte mit tödlicher Ware vor dem wachsenden Kampf gegen den Tabak der zahlreichen Länder, die das Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums FCTC der WHO mittragen.
1 Quinto CB. Innovation? Schweiz Ärzteztg. 2021;102(34):1075.
3 Medienmitteilung der WHO vom 10.6.2013.