Die Behandlung psychischer Erkrankungen ist auch in der Schweiz nicht ausreichend

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2021/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20260
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(43):1408

Publiziert am 27.10.2021

Die Behandlung psychischer Erkrankungen ist auch in der Schweiz nicht ausreichend

In dem Artikel, auf den ich mich beziehe, heisst es: «Beispielsweise erhält in Industriestaaten jeder fünfte Betroffene mit schwerer depressiver Erkrankung den minimalen Behandlungsstandard. In ressourcenarmen Ländern ist dies nur für eine von 27 betroffenen Personen der Fall.» Es ist klar, dass die Behandlung psychischer Krankheiten in ressourcenarmen Ländern dringend verbessert werden muss.
Aber wenn in den ressourcenstarken Ländern auch nur 20% der schwer Depressiven eine geeignete (minimale!) Behandlung erhalten, dann ist das inakzeptabel. 10–15% der Personen mit rezidivierenden schweren depressiven Episoden sterben an Suizid. Depressionen sind auch ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem leidet auch das Umfeld von schwer depressiv Erkrankten. Oft sind Kinder betroffen, deren kognitive und emotionale Entwicklung gefährdet ist, wenn sie von depressiven Eltern nicht genügend unterstützt werden können und keine normale emotionale Resonanz erleben.
Man stelle sich vor, Personen mit schweren Verletzungen oder körperlichen Krankheiten erhielten nur in 20% der Fälle eine mindestens genügende medizinische Behandlung. Der Aufstand der Bevölkerung liesse nicht auf sich warten und die Medien wären voll von negativen Schlagzeilen. Aber wenn es um psychische Erkrankungen geht, glauben immer noch zu viele Leute, es sei ja nicht so schlimm oder die Erkrankten seien selbst schuld. Beispielsweise hielt es der Kantonsrat von St. Gallen nicht einmal für nötig, einen Vorstoss für verbesserte kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten für dringlich zu erklären.
Nützen wenigstens wir Ärztinnen und Ärzte jede Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass auch die psychische Gesundheit zur Volksgesundheit gehört und dass psychisch Kranke genauso ein Recht auf eine gute Behandlung haben wie alle anderen Patientinnen und Patienten.