«Ich wollte helfen, das Problem der Wasserverschmutzung zu lösen»

Tribüne
Ausgabe
2021/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20274
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(46):1540-1542

Affiliations
Freie Wissenschaftsjournalistin

Publiziert am 17.11.2021

Die Chemikerin Denise Mitrano von der ETH Zürich ist Gewinnerin des Marie-Heim-Vögtlin-Preises, der junge Nachwuchsforscherinnen ehrt. Sie hat ein Verfahren entwickelt, das aufzeigt, was mit Mikro- und Nanoplastik passiert, wenn es in Böden, Gewässer und Lebewesen gelangt.
Denise Mitrano, wie war das für Sie, als Sie von der Auszeichnung erfuhren?
Als ich den Anruf erhielt, war das natürlich eine Ehre. Aber auch ein Schock, denn ich habe mich nicht selbst auf den Preis beworben, sondern ein Professor der EPFL hat mich nominiert. Er war mit meiner Arbeit vertraut und fand, ich hätte ihn verdient.
Der Preis wird ausschliesslich an Forscherinnen vergeben. Wie wichtig ist Ihnen dieser Aspekt?
Es ist schön, einen Preis zu gewinnen, unabhängig davon, ob er an Frauen gerichtet ist oder nicht. Aber ich denke, dass es wichtig ist, die Leistungen von Frauen in der Wissenschaft durch so einen Preis herauszustellen. Vor allem für andere Forscherinnen, um zu zeigen, dass sie in der Wissenschaft tatsächlich Karriere machen können, auch wenn es für sie besondere Herausforderungen gibt.
Was werden Sie mit dem Preisgeld von CHF 25 000 tun?
Das Preisgeld wurde mir persönlich zuerkannt. Da ich in den letzten Jahren begonnen habe, in verschiedene Fonds zu investieren, denke ich darüber nach, das Geld für eine Investition zu verwenden, die meinem Forschungsgebiet entspricht. Und das ist der Schutz von sauberem Wasser und der Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Sie haben den Preis für die Entwicklung einer Methode zum Aufspüren von Mikro- und Nanoplastik in der Umwelt erhalten. Was machen solche Partikel in der Umwelt?
Das ist schwer zu sagen, denn es ist schwierig, Nanoplastik zu messen. Bei vielen Analysen braucht man grosse Partikel von zehn Mikrometern und mehr, um sie überhaupt messen zu können. Im Gegensatz zu Mikroplastik gibt es nur wenige Studien, die Nanoplastik definitiv in der Umwelt nachgewiesen haben. Selbst in Laborstudien sind Nanokunststoffe aufgrund ihrer geringen Grösse nur sehr schwer zu messen. Es ist also nicht leicht herauszufinden, wie sie sich in der Umwelt verhalten oder mit Organismen interagieren.

Zur Person

Denise Mitrano stammt aus New Hampshire in den USA. Nach ihrem Doktorat in Geochemie an der Colorado School of Mines in Golden, Colorado, USA, kam sie 2013 als Postdoc in die Schweiz. Hier forschte sie vier Jahre lang an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und ­später als Gruppenleiterin an der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) im Bereich «Engineered Nanomaterials». Seit Juli 2020 ist Mitrano Assistenzprofessorin am Departement für Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich.
Wie hilft die von Ihnen entwickelte Methode, ­dieses Problem zu lösen?
Wir verändern Nanoplastikpartikel so, dass wir sie leicht messen können. Wir tun dies, indem wir sie mit Metall versetzen, das wir mit standardisierten Techniken messen können. Auf diese Weise können wir verfolgen, wo genau die Partikel hingehen, wenn sie in den Boden oder ins Wasser gelangen. Das funktioniert natürlich nicht bei Partikeln, die bereits in der Umwelt vorhanden sind. Aber es ist nützlich für die Arbeit in Laborsystemen, die die Umwelt imitieren. Beispiele ­dafür sind Wasseraufbereitungssysteme wie Abwasser-Aufbereitungs- oder Trinkwasser-Aufbereitungsanlagen.
Wie gelangt denn Mikro- und Nanoplastik in die ­Umwelt?
Die Hauptquelle für Mikro- und Nanokunststoffe in der Umwelt ist der physikalische Abbau von unsachgemäss entsorgten Kunststoffabfällen wie etwa Plastiktüten. Kläranlagen sind ein weiterer wichtiger Knotenpunkt. Viele Körperpeelings enthalten Mikro- und Nanoplastik, und auch wenn wir unsere Kleider waschen, werden Kunststofffasern freigesetzt. Wenn wir die Mikro- und Nanokunststoffe in der Kläranlage ­auffangen können, verhindern wir, dass sie über das Wasser in die natürliche Umwelt gelangen. Neben der Abwasserreinigung haben wir auch untersucht, wie ­effektiv eine Pilot-Trinkwasser-Aufbereitungsanlage für die Stadt Zürich Nanoplastik entfernt.
Die Chemikerin Denise Mitrano von der ETH Zürich erhält den Marie-Heim-Vögtlin-Preis 2021.
Was genau haben Sie da gemacht? 
Wir setzten dem Wasser am Anfang der Trinkwasser-Aufbereitungskette unser mit Metall versetztes Nanoplastik zu und nahmen dann entlang des gesamten Weges Proben. Auf diese Weise konnten wir sehen, wie viel davon bei jedem Schritt vorhanden ist, wo es entfernt wird und wie das behandelte Wasser am Ende aussieht.
Reichern sich diese Partikel in unserem Trink­wasser an?
Die von uns untersuchte Trinkwasser-Aufbereitungsanlage entfernte Kunststoffe sehr effektiv aus dem Trinkwasser. In der Pilotanlage konnten wir eine 300-fache Reduktion der Nanoplastikkonzentration feststellen. Und das sogar, wenn wir eine höhere Konzentration einsetzten, als wir im Ausgangswasser erwarten würden, das aus dem Grund des Zürichsees entnommen wird. In einem anderen Test in einer Pilot-­Kläranlage wurden über 95 Prozent der Partikel aus dem Wasser entfernt. Das bedeutet aber, dass die Partikel nicht einfach verschwinden, sondern im Klärschlamm verbleiben.
Was passiert dann damit?
In der Schweiz wird der Klärschlamm verbrannt, und damit ist das Thema erledigt. In der Hälfte der europäischen Länder wird er jedoch als Nährstoffzusatz auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht. Deshalb ­untersuchen wir jetzt auch, wie sich Mikroplastik auf landwirtschaftlichen Flächen verhält. Geht es durch den Boden? Beeinflusst es das Wachstum von Pflanzen?
Haben Sie bereits Ergebnisse?
Beim Transport in den Boden haben wir festgestellt, dass sich kleinere Nanokunststoffe leichter durch den Boden bewegen können als grössere Mikroplastikteile. Bei den Pflanzen sind wir das zunächst etwas vereinfacht angegangen. Wir haben sie in Hydrokulturen gezüchtet und dann das Wasser, in dem sie wachsen, mit Nanokunststoffen kontaminiert. So konnten wir sehen, wie viel die Pflanzen – in diesem Fall Weizenpflanzen – aufnehmen. Wir sahen, dass das Plastik in die Wurzeln und Triebe gelangte und in der Pflanze Stressreaktionen auslöste. Wir wissen aber noch nicht, ob das Nanoplastik auch in die Getreidekörner, also die Nahrungsquelle, gelangt.
Wo lässt sich Ihre Methode noch anwenden?
Ich arbeite mit vielen Biologen zusammen, die unsere mit Metall versetzten Kunststoffe für Aufnahmestudien verwenden. Sie füttern Organismen wie Würmer, Austern und Fische damit im Labor. Bei Fischen lässt sich so zum Beispiel herausfinden, ob die Plastikteile den Darm passieren und wohin sie im Körper gelangen. Meine Aufgabe bei diesen Experimenten ist es, die Partikel selbst zu analysieren, während die Ökotoxikologen die Schäden und Auswirkungen auf die Organismen bestimmen.
Was motiviert Sie persönlich, sich solchen Umweltproblemen zu widmen?
Ich verbringe persönlich viel Zeit im Freien und in der Natur, gehe wandern, Fahrrad fahren und Langlaufen. Die Umwelt liegt mir also am Herzen. Und ich sehe, wie die Industrie die Umwelt in hohem Masse negativ beeinflusst. Ich habe zum Beispiel an der Colorado School of Mines in den USA in Geochemie promoviert. In den Bergen des amerikanischen Westens, wo ich damals lebte, gibt es noch viele Altlasten des Gold- und Silberbergbaus. Das hatte negative Auswirkungen auf die Wasserqualität dort. Ich wollte dazu beitragen, das Problem der Wasserverschmutzung zu lösen.
Was ist der nächste Schritt für Sie?
Es interessiert mich, mit Regulierungsbehörden und politischen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten. Denn wir werden wahrscheinlich auch in Zukunft weiterhin Plastik in unserem Leben gebrauchen. Die Frage für mich ist: Wie können wir dies auf eine verantwortungsvolle, nachhaltige und umweltfreund­liche Weise tun? Ich bin zum Beispiel in einer neuen Arbeitsgruppe für Plastikmüll der Vereinten Nationen und arbeite mit der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission zusammen, um zu untersuchen, wie man Analysemethoden für Mikroplastik und Nanokunststoffe standardisieren kann.

Die Auszeichnung

Der Marie-Heim-Vögtlin-Preis wird seit 2009 vom Schweizerischen Nationalfonds an herausragende junge Forscherinnen vergeben. Die Namensgeberin des Preises wurde 1868 als erste Schweizerin an der Universität Zürich zum Studium an der medizinischen Fakultät zugelassen. Sie zählt zu den Vorreiterinnen im Kampf für den Zugang der Frauen zur akademischen Bildung. Die Verleihung des Preises an die diesjährige Gewinnerin findet am 14. Dezember 2021 statt.
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