Wieso ich mittlerweile gerne mit Ärztinnen und Ärzten telefoniere

Zu guter Letzt
Ausgabe
2021/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20280
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(46):1550

Affiliations
Junior-Redaktorin der Schweizerischen Ärztezeitung

Publiziert am 17.11.2021

3. November 2020 – es war Punkt 12 Uhr, und ich wollte gerade zum Mittagessen gehen, als mein Handy klingelte und das Wort «Hausarzt» aufleuchtete. Da wusste ich schon, dass etwas nicht in Ordnung war. Am Vortag war ich für eine Abklärung und ein Kontroll-EKG in der Praxis gewesen. Alles nur Routine. Doch nun erklärte mir mein Hausarzt am Telefon, dass er auf meinem EKG eine Auffälligkeit entdeckt habe und mich gerne an einen Kardiologen zur weiteren Abklärung überweisen würde. Verdacht: Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom). Ich konnten seinen weiteren Ausführungen zu Erregungsleitungen, Delta-Wellen und QRS-Komplex in diesem Moment nicht folgen. Zu fest beschäftigte mich das zunehmende Bewusstsein, dass dieses «Ding» in meiner Brust, das bisher vermeintlich still und zuverlässig seinen Job gemacht hatte, plötzlich zu einem Problemfall geworden war.
Entsprechend seltsam fühlte es sich an, zwei Wochen später in der kardiologischen Praxis zu stehen. Bisher hatte ich wenig Zeit in Praxen und Spitälern verbracht, ich war eigentlich immer gesund gewesen. Und nun ausgerechnet eine Untersuchung am Herz! Dafür kam ich mir noch zu jung vor. Doch wie ich nun erfuhr, spielt das Alter beim WPW-Syndrom keine Rolle. Denn die problematische Leitungsbahn, um die es dabei geht, ist angeboren. Sie leitet die Erregung des Vorhofs nicht über den dafür vorgesehenen AV-Knoten in die Herzkammer, sondern über ein zusätzliches Muskelfaserbündel. Das kann von Herzrasen über Vorhofflimmern bis zum Kammerflimmern führen.
Ein Ruhe-EKG, eine Fahrradergometrie und ein Langzeit-EKG später hatte sich der Verdacht bestätigt. Der positive Befund kam für mich wenig überraschend. Ich selbst sehe auf dem EKG zwar trotz mehrerer Erklärungsversuche bis heute lediglich hügelige Linien. Doch wie mir während der Konsultation aufgefallen war, sticht die durch die zusätzliche Erregungsleitung ausgelöste Präexzitation für fachmännische Augen derart eindeutig heraus, dass bereits nach einem sekundenschnellen Blick wenig Zweifel an der Diagnose bleiben. Die Frage ist deshalb eigentlich nur, wann das WPW-Syndrom entdeckt wird. Sport kann ein Auslöser sein, wenn Betroffene Beschwerden bekommen und sich wegen Herzrhythmusstörungen abklären lassen. Oder es kommt zu Zufallsfunden wie bei mir. Insgesamt kommt das WPW-Syndrom aber selten vor.
Auf Empfehlung des Kardiologen fand ich mich letzten Frühling nach Abschluss meiner Masterarbeit erneut in einer Gesundheitseinrichtung ein. Diesmal im Spital, um eine elektrophysiologische Untersuchung und eine Katheterablation der Leitungsbahn durchführen zu lassen. Für das Jahr 2020 verzeichnete die Schweizerische Stiftung für Rhythmologie 159 Katheterablationen wegen eines WPW-Syndroms in der Schweiz [1]. Ende dieses Jahres werde ich Teil der Statistik 2021 sein: «Ablation of accessory pathway, left: posterior, success». Das «Ding» in meiner Brust funktioniert nun erstmals so, wie es sollte.
In der Zwischenzeit gehört es zu meinem Arbeitsalltag bei der Schweizerischen Ärztezeitung, dass das Telefon klingelt und am anderen Ende eine Ärztin oder ein Arzt ist. Doch wenn ich jetzt abnehme, dann nicht mehr als Patientin, die eine potenziell schlechte Nachricht erwartet, sondern vielmehr als ein Gegenüber im Austausch über Artikelideen oder Last-minute-Korrekturen bei fertigen Artikeln. Hin und wieder kann das gar wie ein Rollentausch anmuten, wenn ich zur Ansprechperson für Fragen werde und beispielsweise zum wiederholten Mal erklären darf, wie die Einreichung von neuen Artikeln oder der Redaktionsprozess genau funktionieren. Eine Position, die mir zugegebenermassen besser gefällt als die der Patientin und um einiges mehr Spass macht.