Wie geht es uns Ärztinnen und Ärzten in der Pandemie?

FMH
Ausgabe
2021/44
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20292
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(44):1431

Affiliations
Dr. med., Mitglied des Zentralvorstands der FMH und Departementsverantwortliche Stationäre Versorgung und Tarife

Publiziert am 03.11.2021

Die Pandemie stellt die gesamte Bevölkerung vor ­grosse Herausforderungen. In dieser Ausgabe der Schweizerischen Ärztezeitung steht aber für einmal das Befinden von uns Ärztinnen und Ärzten im Zentrum.
Gerne möchten wir Ihnen die Resultate der repräsentativen Umfrage vorstellen, die das Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag des Departements «Stationäre ­Versorgung und Tarife» der FMH jährlich durchführt. Dabei werden Fragen zu den Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit erhoben, schwergewichtig bei den Spitalärztinnen und -ärzten, aber auch bei praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten.
Dieses Jahr haben insgesamt 1603 Ärztinnen und Ärzte teilgenommen, die Erhebung lief im Zeitraum von Mitte Juni bis Mitte Juli. Den Teilnehmenden möchten wir herzlich danken, sie haben sich Zeit genommen, unsere Fragen zu beantworten während ihres bereits durchgetakteten Tags, vielleicht am verdienten Wochenende oder nachts in einer Pause im Schichtdienst.
Genau das zeigen denn auch ihre Antworten auf: Die Arbeitsbelastung war schon vor der Pandemie hoch, nun ist sie seit der letzten Erhebung nochmals deutlich angestiegen. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte der Akutsomatik, die angeben, andauernd unter hohem Leistungsdruck zu stehen, hat zwischen 2020 und 2021 von unter 80 auf nahezu 90 Prozent zugenommen. Damit einhergehend ist auch die Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance gesunken. Zugleich ist die Belastung durch die administrativen, patientenfernen Tätigkeiten weiter angestiegen.
Besorgniserregend finde ich, dass erstmals über 60 Prozent der in der Akutsomatik und in der Psychiatrie tätigen Spitalärztinnen und -ärzte angeben, meistens oder häufig unter Stress zu leiden.
Und wirklich ernsthaft müssen wir uns Gedanken dazu machen, dass fast ein Fünftel dieser Ärzte und Ärztinnen über eine Stelle ausserhalb des Schweizer Gesundheitswesens nachdenkt!
Die FMH bietet Ärztinnen und Ärzten in einer Krise ­Unterstützung an. Das Unterstützungsnetzwerk ReMed hat seine 24-Stunden-Helpline aufgrund der Pandemie personell verstärkt. Im Gespräch mit ReMed ­erfuhr ich, dass schon in den letzten Jahren die Beratungen zunehmend nicht mehr hauptsächlich vom älteren Hausarzt gegen Ende seiner Berufstätigkeit, sondern immer mehr von jungen Menschen, ­Assistenz- oder Oberärzten und -ärztinnen in Anspruch genommen werden. Mit den Zahlen aus unserer Befragung vor ­Augen gehe ich davon aus, dass diese Tendenz sich noch verstärken wird.
In meinem persönlichen Arbeitsumfeld und im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Schweiz erfahre ich immer wieder dasselbe. Die Betreuung der an Covid oder Long-Covid Erkrankten ­erforderte ausserordentlich viel Kraft und Flexibilität von uns Ärztinnen und Ärzten. Dazu kamen die Kol­lateralschäden der Massnahmen wie die soziale Iso­lation, welche viele Patientinnen und Patienten in ­Krisen auf Notfallstationen, Psychiatrischen Kliniken oder bei Psychiaterinnen und Psychiatern in der Praxis akut um Hilfe suchen liessen. Diese Menschen mussten aufgefangen und begleitet werden.
Ich erlebe immer wieder eine unglaublich grosse Bereitschaft aufseiten der Pflege, Psychologinnen und Psychologen, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Ärztinnen und Ärzte, über die eigenen Grenzen zu gehen, um dem Patienten und der Patientin beizustehen.
Wir sind als therapeutische Gemeinschaft in vielerlei Hinsicht durch die Corona-Pandemie direkt betroffen. Und wir tragen aktiv zu deren Überwindung bei. Das kostet uns Kraft. Dies darf uns bewusst sein. Wir dürfen es benennen und hier in der vorliegenden Umfrage sogar in Zahlen ausweisen.
Die FMH nimmt die zunehmende Belastung für uns Ärztinnen und Ärzte ernst. Unter ihrer Leitung wird gemeinsam mit swimsa, VSAO, SIWF, SECO, mfe und jHaS die «Charta zur Ärztegesundheit» entwickelt.
Die eigene Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte ist ein zentrales Gut und hat Auswirkungen auf die Qualität der Patientenversorgung.