«Helping hands are better than talking mouths»

Zu guter Letzt
Ausgabe
2021/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20298
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(47):1594

Affiliations
PD Dr. med. et MME, Präsidentin des SIWF

Publiziert am 23.11.2021

Der Ausspruch «Helfende Hände sind besser als sprechende Münder» stammt von Pasang Lhamu Sherpa, der Direktorin des Pasang-Lhamu-Nicole-Niquille- ­Spitals in Lukla in Nepal. Das Spital konnte dank der Unterstützung der Schweizer Stiftung Fondation Nicole Niquille gebaut werden und wird nun von Einheimischen betrieben. Es liegt auf 2800 Metern Höhe im Khumbutal, das den höchsten Berg der Welt von Süden erschliesst. Das Zitat von Pasang Lhamu Sherpa hat auch dem Buch über das Personal des «Bergspitals» den Titel gegeben [1]. Sie wollte damit zu verstehen geben, dass sie konkrete, praktische Hilfe – mit den Händen – viel wichtiger findet als schönes Reden ohne Folgen.
Als Ärztin habe ich im direkten Patientenkontakt ­tausende Male «Hand angelegt»: Meine Hände haben Bäuche abgetastet, Gelenke untersucht, Ödeme oder Hautemphyseme diagnostiziert und Wunden ­genäht. Meine Hände sind immer noch ein feines Diagnostikum beim ersten Kontakt mit einem Menschen: Der Händedruck sagt mir schon viel über mein Gegenüber: Hat dieses kalte oder warme Hände, sind die Hände feucht oder rau, ist der Händedruck kräftig und bestimmt oder eher leicht und zurückhaltend?
Die Hände erzählen uns aber auch Geschichten: Wie sehr unterscheiden sich doch die Hände einer Bergbäuerin aus dem Kandertal von den filigranen Händen ­einer Konzertpianistin. Die Hände können aber auch von Schicksalen erzählen wie beispielsweise die Hand eines Tetraplegikers, der nur mit Trickbewegungen sein Trinkglas selber halten kann, oder auch die Hand eines Schreiners mit mehreren amputierten Fingern, die von einem schweren Unfall bei der Arbeit erzählt.
Die helping hands sind für mich aber auch Symbol der Hilfe für einen Menschen, für Mitgefühl und Nähe. Handauflegen wird von Seelsorgerinnen und Seelsorgern verwendet, um jemandem Trost zu spenden. Heilerinnen versuchen, durch Handauflegen Menschen von ihren Krankheiten zu befreien. Die Hand bleibt ­dabei mehrere Minuten auf einem Körperbereich.
Seit dem Auftreten von Covid-19 haben wir uns das Händeschütteln und den direkten Körperkontakt abgewöhnen müssen. Für einige unserer Freunde war das eine Entlastung, weil sie die engen Begrüssungen mit ein, zwei oder drei Küsschen schon immer als zu gros­se Nähe empfunden hatten und dies nie ausdrücken durften. Für andere war es vor allem am Anfang schwierig, nicht einmal die Hand auszustrecken bei der Begrüssung.
Fast eineinhalb Jahre nach Beginn von «Corona» sind wir körperkontaktscheue Individuen geworden. Die Begrüssung wurde abgelöst durch eine Diskussion, ob wir nun die Ellbogen oder die Fäuste sich berühren lassen, ob wir das Namasté, den respektvollen Gruss der Nepali, verwenden, die ihre Hände vor der Brust zum Gruss zusammenhalten, oder ob wir einfach direkt in medias res gehen sollen. Wir haben uns angewöhnt, am Anfang und am Ende einer virtuellen Sitzung die Hand zu heben, um uns von unseren virtuellen Kolleginnen und Kollegen zu verabschieden.
Nun sollen wir wieder zurück zu einer «neuen Normalität» und diskutieren erneut, ob wir jemandem die Hand geben wollen, dürfen oder sollen. Wir schrecken zurück, wenn unser Gegenüber uns seine Hand geben will oder – noch schlimmer – die Maske entfernt und wir in ein «nacktes» Gesicht sehen.
Und mit dem nackten Gesicht wieder zurück zu den talking mouths: Wenn meine Freundin Pasang Lhamu Sherpa von talking mouths redet, meint sie lange Reden mit Phrasen und leeren Worten. Diese bringen uns nicht weiter. Wenn wir aber Gespräche im Sinne von Austausch, gemeinsamen Besprechungen, Absprachen und brain stormings denken, sieht das anders aus: Ohne diese können selten kreative Projekte entstehen oder sich weiterentwickeln.
Die Gespräche sollten wenn immer möglich von konkreten Umsetzungen gefolgt werden und damit den uns bestens bekannten Satz «von der Hand in den Mund» umkehren: Die helping hands brauchen kreative talking mouths – aber vor allem auch «thinking and wise heads», damit neue Ideen verwirklicht und in die Tat umgesetzt werden können.
monikamaria.brodmannmaeder[at]siwf.ch
1 Lewis R, Loepfe R. Helping hands are better than talking mouths. The dedicated staff at the hospital Lukla. 2011.