TARDOC 1.3 ist bereit für die Nachreichung

Es ist Zeit für TARDOC

FMH
Ausgabe
2021/50
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20375
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(50):1670-1673

Affiliations
Experte, Abteilung Ambulante Versorgung und Tarife, FMH

Publiziert am 15.12.2021

Seit 2004 rechnen Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz ihre Leistungen über den ­mittlerweile veralteten Ärztetarif TARMED ab. Eine Revision der Tarifstruktur ist den Tarifpartnern seither nicht gelungen, weshalb der Bundesrat 2014 und 2018 in den ­Tarif eingegriffen hat. Mit TARDOC haben die Tarifpartner FMH, curafutura und die Medizinaltarif-Kommission UVG (MTK) beim Bundesrat 2019 eine Nachfolge­lösung eingereicht. Ende 2021 ist der TARDOC – sofern die Gremien der FMH und der curafutura zustimmen – bereit für eine Nachreichung der vierten Fassung. Bereits ab 2023 könnten damit Ärzteschaft und Spitäler ihre Leistungen über TARDOC abrechnen.
2019 haben die FMH, der Krankenversicherungsverband curafutura und die Medizinaltarif-Kommission UVG (MTK) TARDOC 1.0 zur Genehmigung eingereicht. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Tarifstruktur daraufhin intensiv und detailliert geprüft. Es kam 2020 in seinem Bericht zur damals vorliegenden TARDOC-Version 1.1 zum Schluss, der Tarif sei mit Anpassungen materiell genehmigungsfähig. Die Tarifpartner haben im Frühjahr dieses Jahres auf diesen Prüfbericht geantwortet und gleichzeitig eine angepasste Version 1.2 nachgereicht. Im Juni hat der Bundesrat die Tarifstruktur TARDOC als noch nicht genehmigungsfähig beurteilt und forderte die Tarifpartner auf, TARDOC gemeinsam zu überarbeiten und erneut zur Genehmigung einzureichen.
In den vergangenen Monaten haben sich die beteiligten Tarifpartner deshalb nochmals intensiv mit der Tarifstruktur auseinandergesetzt und auch die nichtbeteiligten Tarifpartner – den Krankenversicherungsverband santésuisse und den Spitalverband H+ – eingeladen, TARDOC gemeinsam zu überarbeiten. Auch wenn diese beiden Verbände TARDOC nach wie vor nicht unterstützen und in der Zwischenzeit mit ambulanten DRG-Pauschalen ein eigenes Projekt verfolgen, konnten in den gemeinsamen Workshops viele der vom Bundesrat bzw. vom BAG kritisierten Punkte besprochen und angegangen werden.

Eine Mehrheit unterstützt TARDOC

So ist es den Tarifpartnern bereits vor dem Bundesratsentscheid gelungen, mit der FMH die Mehrheit der Leistungserbringer und mit curafutura, der SWICA Krankenversicherung AG sowie der MTK auch die Mehrheit der Versicherten hinter dem TARDOC zu versammeln. Auch die Kinderspitäler fordern inzwischen eine rasche Einführung von TARDOC.

Kostenmodelle aktualisiert

Für die neue TARDOC-Version wurden auch die zur Berechnung der Taxpunkte verwendeten Kostenmodelle aktualisiert. So wurde das Referenzeinkommen, das zur Berechnung der ärztlichen Leistung dient, mit Daten aus dem Jahr 2019 aktualisiert. Dieses liegt nun bei 234 000 Franken. Gleich geblieben ist dabei die Berechnungsgrundlage: Die Tarifpartner haben sich darauf geeinigt, als Vergleich für das Opportunitätsprinzip weiterhin einen gewichteten Durchschnitt der Löhne der Chef-, leitenden und Oberärzte anzuwenden. Gestützt wird dieses Vorgehen auch vom Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, welches das Referenzeinkommen berechnet hat. Ebenfalls festgehalten wird an der hinterlegten Normarbeitszeit von 9,2 Stunden, zumal die unterschiedlichen Arbeitszeiten von Spitalärztinnen und Spitalärzten gegenüber den Arbeitszeiten in freier Praxis bereits in der Berechnung des Referenz­einkommens berücksichtigt wurden. Auch Arbeitsrechtler Prof. Dr. Thomas Geiser hält in seinem Gutachten fest, dass die Forderung des BAG, die Normarbeitszeit auf 11,4 Stunden pro Tag zu erhöhen, gesetzeswidrig ist. Die Forderung, den Tarifwirksamkeitsindex (ärztliche Produktivität) zu aktualisieren, konnte hingegen noch nicht umgesetzt werden. Die Neuberechnung ist mit grossen finanziellen und zeitlichen Aufwänden verbunden und wird in den kommenden Jahren durch die ats-tms AG vorgenommen. Das Konzept dafür liegt vor. Gleichzeitig werden die Plausibilisierung der Minutagen von Handlungsleistungen durchgeführt. Allfällig angepasste Minutagen fliessen im Rahmen der Tarifweiterentwicklung in Folgeversionen ein.
Auch die Kostenmodelle für die Infrastruktur und die Personalleistung wurden aktualisiert. Bei den KOREG-Sparten, deren Leistungen mehrheitlich in der freien Praxis erbracht werden, wurden die Daten auf die Erhebungsjahre 2017–2019 aktualisiert. Diese basieren auf der Rollenden Kostenstudie (RoKo) der kantonalen Ärztegesellschaften und der Ärztekasse. Weiter wurde in diesem Bereich gegenüber dem BAG und den Tarifpartnern Transparenz geschaffen, indem die Berechnungsgrundlagen von der FMH offengelegt wurden. Weiter ist für das nächste Jahr geplant, auch die RoKo-Daten hinsichtlich ihrer Repräsentativität und Wirtschaftlichkeit durch eine unabhängige Stelle über­prüfen zu lassen.
Abschliessend wurde auch das Kostenmodell INFRA überarbeitet, indem die Lohnkosten für die nichtärztlichen Fachpersonen aktua­lisiert, die Baukosten neu berechnet und die hinter­legten Zinssätze dem Referenzzinssatz angeglichen wurden.
Der neue Ärztetarif TARDOC könnte ab 2023 zum Einsatz ­kommen.

Kostenschub vermeidbar

Bei der Einführung von TARDOC fordert der Bundesrat eine Kostenneutralitätsphase von mindestens drei Jahren. Bisher hatten die Tarifpartner zwei Jahre ­vorgesehen: In einem detaillierten Monitoring wird geprüft, ob sich das Taxpunktvolumen innerhalb des vereinbarten Korridors bewegt, nötigenfalls könnte korrigierend eingegriffen werden. In gemeinsamen Verhandlungen haben sich curafutura und die FMH auf eine Verlängerung der Kostenneutralitätsphase um ein weiteres Jahr auf neu drei Jahre geeinigt. Als Vergleichsvolumen dient neu das Taxpunktvolumen des Jahres 2022. Der Rest des Konzepts bleibt in­haltlich und methodisch gleich. Parallel wurde die gesamte Transcodierung nochmals ­überprüft und ­angepasst. Aufgrund dieser Anpas­sungen und der Aktualisierung der in den Kosten­modellen hinterlegten Daten ergibt sich ein neuer External ­factor (EF) von 0,83 (bisher 0,86). Weil gleichzeitig – aufgrund der Aktualisierung – auch die Kostensätze ansteigen, kann diese Absenkung auf­gefangen werden.

Vereinfachung versus Sachgerechtigkeit

Sowohl im Prüfbericht als auch in gemeinsamen ­Sitzungen hat das BAG eine weitere Vereinfachung der Tarifstruktur gefordert. Die Tarifpartner haben den gesamten Tarif hinsichtlich Vereinfachungspotenzial analysiert. Generell lässt sich feststellen, dass eine Vereinfachung in vielen Fällen zulasten der Sach­gerechtigkeit ginge. Damit bestünde die Gefahr, dass der Tarif nicht mehr der gesetzlich geforderten Sachgerechtigkeit (Art. 43 Abs. 4 KVG) entspräche. Zudem stünde die Vereinfachung ohne grundlegende ­Anpassungen an anderen Orten (z.B. Kostenmodelle, Regelwerk) im Zielkonflikt mit der Wirtschaftlichkeit. Trotzdem haben die Tarifpartner – wo möglich – die Struktur weiter vereinfacht. So wurden die ­Wechselzeiten, die bisher grundsätzlich separat hätten verrechnet werden sollen, wieder in die Leistungspositionen inkludiert. Auch der OP-Prozess wurde vereinfacht, indem die Anästhesie-Einleitungs- und -Aus­leitungspositionen zusammengefasst wurden.

Umfangreiche Dokumentation

Des Weiteren hat die ats-tms AG dem BAG und den nicht beteiligten Tarifpartnern in den vergangenen Wochen über 1000 weitere Dokumente zur Verfügung gestellt – unter anderem aus den Workshops zu den Anwendungs- und Abrechnungsregeln. Mit den bereits 2019 und 2020 nachgereichten Unterlagen kommen die Tarifpartner auch der vom BAG geforderten Do­kumentationspflicht nach. Noch nie wurde in der ­Geschichte des Ärztetarifs eine so umfangreich dokumentierte Tarifstruktur eingereicht.

Tarifstruktur neu nummeriert

Da TARDOC über viele Jahre gewachsen ist und die Leistungsnummern und Kapitelstrukturen über den ganzen Revisionsprozess aus Gründen der Nach­vollziehbarkeit nicht angepasst wurden, war die Tarifstruktur zuletzt nicht mehr stringent durchnum­meriert. Mit der Nachreichung der Version 1.3 wird TARDOC vollständig neu strukturiert und neu nummeriert. Auch Redundanzen bei den Anwendungs- und Abrechnungsregeln wurden beseitigt.

Nur TARDOC kann TARMED ablösen

Wenn der TARMED mit den zur Diskussion stehenden Tarifstrukturen vollständig abgelöst werden soll, ist dies nur mit TARDOC möglich. Es ist keine andere ­Tarifstruktur so weit fortgeschritten wie der TARDOC. Auch mit Pauschalen bliebe die Ablösung des TARMED dringlich, weil Pauschalen nur einen beschränkten Teil der Leistungen in Arztpraxen und Spitälern abbilden können. Berechnungen der FMH zufolge könnten Pauschalen nur ca. 20 Prozent des gesamten ambulanten Volumens ersetzen. Festzuhalten bleibt, dass der TARDOC nicht in Konkurrenz mit obligatorischen Pauschalen steht, weil diese mit ihrer Genehmigung automatisch einzeltarifierte Leistungen ablösen würden. Damit ist auch bereits konzeptionell die Grundlage für die spätere Einführung von Pauschalen vorhanden; die konkrete Ablösung von Einzelleistungen muss als Bestandteil der künftigen Tarifgesuche erfolgen. Genehmigte Pauschalen wären ohne Weiteres anschlussfähig an den TARDOC, sofern die aus dem TARDOC ab­lösungsfähigen Einzelleistungen ausgewiesen werden können.
DatumVersionWas
12.7.2019TARDOC 1.0Einreichung Genehmigungsantrag der Tarifstruktur TARDOC durch curafutura und FMH beim Bundesrat.
25.6.2020TARDOC 1.1Nachreichung eines gemeinsamen Kostenneutralitäts­konzeptes und vereinzelte Korrekturen in den TARDOC-Kostenmodellen.
20.11.2020 Zustellung eines umfangreichen TARDOC-Prüfberichts durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG).
30.3.2021TARDOC 1.2Erarbeitung und Einreichung einer umfangreichen Stellungnahme zum Prüfbericht des BAG sowie Nachreichung von TARDOC 1.2.
30.6.2021 Der Bundesrat berät sich zu TARDOC. Er hält die Tarifstruktur TARDOC zum damaligen Zeitpunkt für nicht ­genehmigungsfähig. Der Bundesrat fordert die Tarifpartner auf, TARDOC gemeinsam zu überarbeiten und erneut zur Genehmigung einzureichen.
15.12.2021TARDOC 1.3Die FMH wird TARDOC 1.3 der Delegiertenversammlung vorlegen. Falls diese und auch die entsprechenden ­Organe bei curafutura dem TARDOC zustimmen, kann TARDOC 1.3 per Ende Jahr dem Bundesrat nachgereicht werden.

Wie es mit TARDOC weitergeht

Ziel der Tarifpartner ist es nach wie vor, dass TARDOC per 2023 in Kraft gesetzt werden kann und dieser den veralteten und nicht mehr sachgerechten und betriebswirtschaftlich bemessenen TARMED ablöst.
Die ats-tms AG soll TARDOC im Auftrag der Tarifpartner in Zukunft jährlich weiterentwickeln. Dafür stehen der Geschäftsstelle neu entwickelte Tools zur Ver­fügung, darunter die neue Sparten- und Dignitätsdatenbank «LegiData» und das Tarifierungstool «ByronBIS», das in den letzten Jahren aufgebaut und stetig weiterentwickelt wurde. Ebenso wurden die Grund­lagen für ein langfristiges Tarifmonitoring geschaffen. Mit den Erkenntnissen daraus soll TARDOC weiter verbessert und à jour gehalten werden.
Derzeit gibt es keine alternative Tarifstruktur, weder für Einzelleistungen noch für ambulante Pauschalen, welche die ambulanten ärztlichen Leistungen um­fassend, vollständig und dem aktuellen Stand entsprechend abbildet. Die Zeit ist reif für den TARDOC.

Die TARDOC-Tarifpartner

ats-tms AG
Die ats-tms AG wurde 2016 von curafutura, FMH, H+ und der MTK gegründet, um den ambulanten Arzttarif TARMED durch ­einen neuen Tarif abzulösen. Mit einer jährlichen Aktualisierung des Tarifs, wie man es von SwissDRG kennt, soll dieser laufend an den aktuellen Stand der medizinischen Entwicklung an­gepasst werden. Im Verwaltungsrat der ats-tms AG sind aktuell curafutura, die FMH und die MTK vertreten. Die SWICA Krankenversicherung AG ist als Gast vertreten. Mehr über die ats-tms AG erfahren Sie auf der Website www.ats-tms.ch
curafutura
curafutura, der Verband der Krankenversicherer CSS, Helsana, KPT und Sanitas, vertritt in der ats-tms AG, zusammen mit SWICA, über die Hälfte aller krankenversicherten Menschen in der Schweiz.
Medizinaltarif-Kommission UVG (MTK)
Die Medizinaltarif-Kommission UVG (MTK) befasst sich mit der Regelung aller grundsätzlichen Fragen, die sich aus dem Medi­zinalrecht und den Medizinaltarifen für die Träger der obliga­torischen Unfallversicherung, der Militärversicherung und der ­Invalidenversicherung ergeben.
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