Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP)

SGSPP-Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie: Stufe 1

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2022/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.18863
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(12):385-387

Affiliations
a Dr. med., Co-Präsident, Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP), Ärztlicher Leiter Sportpsychiatrie und -psycho­therapie, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich und Privatklinik Wyss AG; b Dr. med., EMBA, Vorstandsmitglied und Kassier SGSPP, Ärztlicher Direktor und Vorsitzender der Klinikleitung, Privatklinik Wyss AG; c Prof. Dr. med., Vorstandsmitglied und Ressortleiter Forschung und Lehre SGSPP, Ordinarius für Psychiatrie, Universität Zürich, Chefarzt und Klinikdirektor, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich; d PD Dr. med. Dr. phil., Co-Präsident und Ressortleiter Alterspsychiatrie und -psychotherapie SGSPP, Chefarzt Psychiatrie St. Gallen Nord; e Dr. med., Vorstandsmitglied, Aktuar, Ressortleiter Erwachsenenpsychiatrie und -psychotherapie und Leiter Arbeitsgruppe Curriculum SGSPP, Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie Romanshorn

Publiziert am 22.03.2022

Psychisches Wohlbefinden und sportliche Leistung sind eng miteinander verbunden. In den Weiterbildungsprogrammen der Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Sportmedizin werden vertiefende Kenntnisse dazu jedoch zu wenig vermittelt. Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) bietet seit dem 1.4.2020 das Zertifikat «Sportpsychiatrische und -psychotherapeutische Basisversorgung» an [1, 2].
In unserer, von Bewegungsmangel geprägten Gesellschaft kommt dem richtigen Mass an Sport und körperlicher Aktivität über die gesamte Lebensspanne eine grosse Bedeutung zu. Dies gilt allgemein im Sinne einer gesunden Lebensführung, zum Beispiel für körperliches Wohlgefühl und innere Balance. Im Beson­deren können Sport- und Bewegungstherapie unter präventiven, therapeutischen und rehabilitativen ­Gesichtspunkten bei psychischen Erkrankungen und Störungen eine wertvolle Ergänzung zu anderen, z.B. pharmakologischen oder psychotherapeutischen Behandlungsansätzen sein [3]. Sie können sich aber auch bei manchen Beschwerdebildern als Alternative präsentieren. Die Anforderungen im Leistungssport setzen sichere Beurteilung und Umgang mit den Belastungen und Risiken für die psychische Gesundheit ebenso voraus wie in der Diagnostik und Behandlung bereits subklinischer psychischer Erkrankungen [4].
Im Leistungssport führen vor allem Jugendliche, Adoleszente und Erwachsene ihren Sport aktiv aus. Die Zeit nach Beendigung der Sportkarriere betrifft dann überwiegend Erwachsene und Ältere. Psychische Gesundheit im Leistungssport ist während der aktiven sport­lichen Laufbahn und über die Lebenszeit, das heisst genauso auch nach Beendigung der Karriere, wichtig. Psychisches Wohlbefinden und (sportliche) Leistungsfähigkeit bedingen sich gegenseitig [5]: Psychische Belastungen und Erkrankungen im Sport können Einfluss auf Leistung und Verletzungsrisiken haben und die Rehabilitation verlängern, während Verletzungen wiederum Einfluss auf die Leistung nehmen und Belastungen und Risiken für die psychische Gesundheit sind. Die hierfür notwendigen, vertiefenden Kenntnisse und Fertigkeiten sind bisher nicht als Bestandteil der Weiterbildungsprogramme der Psychiatrie und Psychotherapie oder der Sport­medizin abgebildet. Die Basisanforderungen an eine spezialisierte Fachdis­ziplin Sportpsychiatrie und -psychotherapie und ihre Tätigkeitsfelder über die Lebenszeit ergeben sich aus den Notwendigkeiten und ­Gegebenheiten im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung. Das Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie soll hierzu eine Vertiefung des bereits ­erworbenen psychiatrischen Wissens und der entwickelten Fertigkeiten ermöglichen.

Vom Grundwissen zur Expertise

Die Teilnahme an der curricularen Weiterbildung der Stufe 1 richtet sich nicht nur an «Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie» und «Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie», sondern steht auch den sich in psychiatrisch-psychothera­peutischer Weiterbildung befindlichen Ärzten ebenso offen wie Sportmedizinern (mit interdisziplinärem Schwerpunkt) und psychologischen Psychotherapeuten. Kenntnisse und Fertigkeiten der sportpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Basisversorgung sind auch für Sportmediziner und psychologische ­Psychotherapeuten wichtig, und der Zugang der Sportmedizin zum Curriculum unterstreicht, dass die Sportpsychiatrie und -psychotherapie nicht nur Teilgebiet der psychiatrischen Fachgebiete und Disziplinen ist, sondern sich auch im Tätigkeitsbereich der Sportmedizin bewegt.
Die Teilnahme an der Stufe 1 des Curriculums dient dem Erwerb eines fundierten Grundwissens. Es sollen definierte Lernziele erreicht werden, die Absolventen des Curriculums in der sportpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Basisversorgung befähigen.

Stufe 1 – Fundiertes Grundwissen

Das Curriculum auf Stufe 1 hat einen Zeitumfang von 80 Unterrichtsstunden bzw. Credits. Der Schwerpunkt liegt in der Vermittlung eines fundierten Grundwissens, wobei neben dem Theorieteil auch praktische Erfahrungen und Inter- oder Supervision gefordert sind. Es sind Lernziele definiert zu erforderlichem Grundwissen und praktischen Erfahrungen. Das Curriculum sollte in 3 Jahren gut zu absolvieren sein und kann ­neben der klinischen Tätigkeit erfolgen. Für die Erlangung des Zertifikats wird der Nachweis folgender Mindestzahlen gefordert (Tab. 1). Alle geforderten Inhalte müssen eigenständig erworben werden und sind in ­einem Logbuch zu dokumentieren sowie durch Nachweise zu belegen. Es können bis zu 10 Credits durch anerkannte eLearning-Portale oder Zeitschriften mit CME-Lektionen angerechnet werden.
Tabelle 1: Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie, Stufe 1, Themenfelder.
Für die Anerkennung von erworbenem Wissen (Vergabe von Credits) bedarf es des Nachweises der Teilnahme an weiteren Ausbildungsveranstaltungen, bei von der SGSPP akkreditierten Aus-, Weiter- und Fortbildern und entsprechend qualifizierten Veranstaltungen. Dies kann sich auch auf Veranstaltungen anderer, von der SGSPP anerkannten Fachgesellschaften, Institute, Kliniken etc. beziehen.
Anträge auf Anerkennung der erbrachten, curricu­laren Leistungen zur Erlangung des Zertifikats «Sportpsychiatrische und -psychotherapeutische Basisversorgung» werden von einer Kommission auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft. Sind die Voraussetzungen zur Erlangung des Zertifikats erfüllt, bekommen Antragsteller das Zertifikat ausgestellt. Den Kriterien nicht entsprechende Anträge können komplett ab­gelehnt oder mit einer Auflage zu einer Nachqualifi­kation versehen werden. Die Rezertifizierung erfolgt nach 5 Jahren. Es sind 30 Unterrichtsstunden Fortbildung gemäss Curriculum nachzuweisen.
Das Curriculum für das Zertifikat «Sportpsychiatrische und -psychotherapeutische Basisversorgung SGSPP» hat am 1.4.2020 begonnen. Eine befristete Übergangsregelung von drei Jahren, im Sinne einer Besitzstandswahrung bereits erbrachter Leistungen, wird eingerichtet (bis 31.3.2023). Dabei kann das Zertifikat durch Selbstdeklaration im vereinfachten Verfahren erlangt werden. Die erbrachten Nachweise bzw. die Selbstdeklaration wird mit den Logbuchinhalten des Curriculums abgeglichen. Ein erster Kurs in der Schweiz ist vom 26. bis 29.5. und vom 17. bis 19.6.2022 geplant.

Ausblick: Die Stufen 2 und 3

Die Stufe 2 des Curriculums («Klinisch-praktische Sportpsychiatrie und -psychotherapie») baut auf den erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten der Stufe 1 auf und setzt diese voraus. Sie ist für die o.g. psychia­trisch-psychotherapeutischen Fachärzte sowie für psychologische Psychotherapeuten offen, wobei das Zertifikat nur von den Fachärzten erlangt werden kann (Abb. 1). Ein Schwerpunkt liegt in der Anwendung von Sport- und Bewegungstherapie zur Prävention und Therapie psychischer Störungen und Erkrankungen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Sammeln praktischer Erfahrungen in der Anwendung von Sport- und Bewegungstherapie. Die Stufe 2 umfasst 80 Unterrichtsstunden weitere Ausbildung, so dass insgesamt 160 Unterrichtsstunden absolviert werden.
Abbildung 1: Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie, Stufe 1–3. 1: Kinder- und ­Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und/oder Psychiatrie und Psychotherapie. Voraussetzung für den Erwerb der «Sportpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Grund­versorgung» ist die Facharztanerkennung; 2: mit Facharztanerkennung in einem Fach der unmittelbaren Patientenversorgung; 3: mit abgeschlossener klinischer Weiterbildung.
Die Stufe 3 des Curriculums («Tätigkeitsbereich Sportpsychiatrie und -psychotherapie») baut auf Stufe 2 auf und setzt diese voraus. Sie ist nur für die eingangs ­erwähnten psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachärzte offen. Hier sollen spezielle, praktische Kompetenzen und Fertigkeiten der Sportpsychiatrie und -psychotherapie, im Sinne der Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von Leistungssportlern, unter Berücksichtigung interdisziplinärer Aspekte (v.a. bezüglich Sportmedizin und Sportpsychologie) vermittelt werden. Zudem sollen praktische, sportpsychiatrisch-psychotherapeutische Erfahrungen im Leistungssport gesammelt werden. Die Stufe 3 umfasst weitere 80 Unterrichtsstunden Ausbildung, so dass, mit den dazu obligatorischen Stufen 1 und 2, insgesamt 240 Unterrichtsstunden absolviert werden. Die Stufe 3 soll für «Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie» und «Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie» zu dem Zertifikat «Tätigkeitsbereich Sportpsychiatrie und -psychotherapie» der Gesellschaft führen.

Das Wichtigste in Kürze

• Psychische Belastungen und Erkrankungen im Sport können Einfluss auf Leistung und Verletzungsrisiken haben und die Rehabilitation verlängern, während Verletzungen wiederum Einfluss auf die Leistung nehmen und Belastungen und Risiken für die psychische Gesundheit sind.
• Die Teilnahme an der curricularen Weiterbildung der Stufe 1 richtet sich nicht nur an «Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie» und «Fachärzte für Psych­iatrie und Psychotherapie», sondern steht auch den sich in psychiatrisch-psychotherapeutischer Weiterbildung befindlichen Ärzten ebenso offen wie Sportmedizinern und psychologischen Psychotherapeuten.
c.gonzalez-hofmann[at]hin.ch
1 Claussen MC, Imboden C, Seifritz E, Hemmeter U, Gonzalez Hofmann C. SGSPP-Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie: Stufe 1. Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP). Swiss Arch Neurol Psychiatr Psychother. 2020;171:w03111.
2 Gonzalez Hofmann C, Claussen MC. Das dreistufige Curriculum Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Schw Z Psychiatr Neurol. 2021;3:14–7.
3 Imboden C, Claussen MC, Gerber M, Gonzalez Hofmann C, Hemmeter U, Seifritz S. Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychia­trie und -psychotherapie: Positionspapier – Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit. Swiss Arch Neurol Psychiatr Psychother. 2021;172:w03199.
4 Claussen MC, Imboden C, Raas MI, Hemmeter U, Seifritz E, Gonzalez Hofmann C. Sportpsychiatrie und -psychotherapie im Leistungssport – Interdisziplinäre und interprofessionelle Versorgung und Zusammenarbeit. Praxis. 2022;111(4), in print.
5 Reardon CL, Hainline B, Aron CM, Baron D, Baum AL, Bindra A, et al. Mental health in elite athletes: International Olympic Committee consensus statement (2019). Br J Sports Med. 2019;53(11):667–99.