Aducanumab: Blockbuster oder Flop?

Zu guter Letzt
Ausgabe
2022/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20388
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(04):128

Affiliations
Prof. Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publiziert am 25.01.2022

Die Food and Drug Administration (FDA) hat Aducanumab von Biogen im Juni 2021 als Medikament zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zugelassen. Diese Entscheidung ist vorläufig: Biogen muss bis 2030 endgültige klinische Studienergebnisse vorlegen.
Aducanumab ist, wie andere ähnliche Wirkstoffe, ein monoklonaler Antikörper, der gegen die bei der Alzheimer-Krankheit beobachteten Amyloid-Aggregate im ­Gehirn gerichtet ist. Die Tatsache, dass er sie praktisch zum Verschwinden bringen kann, hat grosse Hoffnungen für die Behandlung dieser schrecklichen Krankheit geweckt. Mehrere Studien wurden jedoch aufgrund negativer klinischer Ergebnisse abgebrochen; auch Biogen gab vorerst enttäuschende Ergebnisse bekannt.
Eine erneute Prüfung der Resultate von zwei Studien mit hohen Dosen von Aducanumab veranlasste Biogen, die Substanz bei der FDA zur Zulassung einzu­reichen. In einer der Studien waren die Ergebnisse jedoch immer noch negativ. In der anderen kam es zu einer statistisch signifikanten Verbesserung ­einiger neuropsychologischer Parameter. Laut einer von der FDA beauftragten Kommission wissenschaftlicher Expertinnen und ­Experten waren diese ­Ergebnisse jedoch klinisch unbedeutend. Entgegen ­ihrer einstimmigen Meinung (bei ­einer Enthaltung) hat die FDA diese Substanz dennoch zugelassen. Diese ­Entscheidung wird von Autorinnen und Autoren in verschiedenen Leitartikeln in renommierten Fachzeitschriften angefochten.
Die FDA räumt ein, dass die klinische Wirkung nicht sehr überzeugend ist. Beeindruckt von dem spektakulären und fast vollständigen Verschwinden der Amyloid-Körperchen, traf sie ihre Entscheidung anhand dieses Surrogatmarkers. Die Hypothese, dass Amyloid-Ablagerungen das pathogene Element beim Fortschreiten der Demenz sind, ist jedoch nicht endgültig bewiesen. Darüber hinaus ist es riskant, ein Medikament nur aufgrund eines Surrogats zu akzeptieren, wie beispielsweise die Verwendung von Fluor bei Osteoporose aufgrund einer verbesserten Knochendichte gezeigt hat. Die FDA hat zwar noch keine endgültige Zulassung für Aducanumab erteilt, aber die Zeit, die sie Biogen für den Nachweis der klinischen Wirksamkeit bis 2030 eingeräumt hat, erscheint sehr lang.
Die FDA gab das Medikament zunächst für die «Alzheimer-Krankheit» frei, obwohl die klinischen Studien nur Patientinnen und Patienten mit Demenz im Frühstadium umfassten. Kein Wunder, dass durch diese Ankündigung der Aktienkurs von Biogen um 40 Prozent ­gestiegen ist.
Der jährliche Preis einer Behandlung wurde von Biogen zunächst auf 56 000 Dollar fixiert, nicht eingerechnet die Untersuchungen, die für die genaue Diagnose im Vorfeld notwendig sind, sowie PET-Scan und MRI, die während der Behandlung ­wegen der Gefahr von Mikroblutungen unerlässlich sind. In der Tat zeigten etwa 40 Prozent der behandelten Personen Anzeichen einer intrakraniellen Hypertonie, und nur etwas mehr als die Hälfte beendete die klinischen Studien. Vor kurzem musste Biogen den Preis reduzieren, was die Aktien wieder fallen liess ...
Warum also hat die FDA Aducanumab zugelassen? Wurde sie von den mächtigen Alzheimer-Lobbys beeinflusst oder, schlimmer noch, durch zu enge Kontakte mit Biogen? Diese Verdachtsmomente sind Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker, die hinter jeder Zulassung eines Medikaments (oder Impfstoffs!) ein Komplott zwischen Indus­trie und staatlichen Behörden vermuten.
Die Entscheidung wirft ebenfalls wichtige ethische Fragen auf. Sollen wir unsere dementen Patientinnen und Patienten schwerwiegenden Untersuchungen und zweifelhaften Behandlungen mit erheblichen Nebenwirkungen aussetzen, die zudem das Risiko ­bergen, das Leiden zu verlängern, ohne den tödlichen Ausgang zu ändern? Wie steht es um die informierte Zustimmung bei Patientinnen und Patienten mit Demenz?
Zum Glück ist die EU-Arzneimittelagentur (EMA) der leidigen Entscheidung der FDA nicht gefolgt und hat die Registrierung von Aducanumab verweigert. Hoffen wir, dass Swissmedic der EMA folgen wird und so falsche Hoffnungen für unsere Alzheimerpatientinnen und -patienten und ihre Familien nicht aufkommen lässt.