Reformaktivismus trotz unerreichter Ziele

Das BAG soll keine weiteren Kompetenzen mehr erhalten

FMH
Ausgabe
2022/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20526
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(06):174-175

Affiliations
Dr. med., Präsident mediX schweiz

Publiziert am 08.02.2022

Als wäre das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit der Pandemie nicht schon heillos überfordert, schmiedet es ständig neue Gesetze. Es gibt aber bereits zu viele ­offene Baustellen. Einige davon zerstören teilweise wertvolle Institutionen, die über Jahre Pionierarbeit geleistet haben. Der unselige Aktivismus des BAG verursacht immense Kosten – es sollte dringend über die Bücher und etliche missglückte Projekte neu aufsetzen.
Die Liste der gescheiterten und unerledigten Projekte im BAG ist lang. Trotzdem wird mit einem noch nie ­dagewesenen Reformeifer und einer überhandnehmenden, lähmenden Bürokratie im gleichen Stil weitergemacht. Ganz wie Mark Twain schrieb: «Als wir ­unser Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.» Es ist geradezu traurig mitanzusehen, was damit alles zerstört wird, während gute und dringend nötige Initiativen wie EFAS oder ein zeitgemässer Tarif im ambulanten Bereich nicht vorankommen oder sogar ausgebremst werden.

Untaugliches Qualitätsgesetz

Wir haben ein neues Qualitätsgesetz, das komplett an der Realität vorbei absolut unrealistische Vorgaben zur Qualitätsverbesserung macht. Die Experten in der Eidgenössischen Qualitätskommission quälen sich seit Monaten mit den Vorgaben und Auflagen, die einfach nicht praktikabel sind. Die seltsame Fokussierung auf Qualitätsprojekte zerstört die Mehrheit der langjährigen Qualitätsinitiativen in der Schweiz. Das erste Resultat dieser fehlgeleiteten Aktion ist die Paralysierung der Stiftung für Patientensicherheit. Sie wird leider stillschweigend untergehen. Das neue Qualitätsgesetz ist das eindrücklichste Beispiel dafür, wie das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) und das BAG aus einer gut gemeinten, parlamentarischen Initiative zur Qualitätssicherung in der Medizin ein untaugliches, bürokratisches Monster konstruiert haben. Die Bilanz ist katastrophal. Dieses Gesetz und die Verordnung dazu gehören in die Totalrevision, bevor auch nur das erste Projekt zur nachzuweisenden Qualitätsverbesserung startet. Die gesprochenen 45 Millionen für die nächsten drei Jahre kann man sinnvoller einsetzen.
Das BAG: zu viele Projekte und zu wenig Blick fürs Wesentliche?

Nutzloses EPD

Wir haben ein weiteres Monster beim elektronischen Patientendossier (EPD), das nie funktionieren wird. Der Bundesrat gesteht in seinem Bericht vom 11. August 2021 erhebliche Umsetzungsprobleme ein und bekräftigt: Das EPD wird im Verlauf des Jahres 2021 schrittweise flächendeckend eingeführt. Davon haben wir bis jetzt gar nichts bemerkt. Das EPD ist komplett falsch aufgesetzt und wird nie funktionieren. Ein chaotisches Archiv an PDF-Dokumenten ist nutzlos und rechtfertigt diesen Aufwand nicht. Die Bevölkerung wird sich dem komplizierten Registrierungsprocedere nicht ­unterziehen. Auch wenn das EPD endlich bereit sein wird: Keiner wird es wollen, weil es keinen Nutzen für Patienten und Ärzte bringt. Das hindert EDI und BAG nicht daran, mit einer geradezu grotesken Sturheit weitere Mittel in diesen Rohrkrepierer zu investieren. Bilanz: gescheitert, Übung sofort abbrechen; zurück an den Start und als Erstes die Leistungserbringer konsultieren, welchen Weg sie einschlagen würden.

Elektronisches Impfdossier ohne Zukunft

Das elektronische Impfdossier, meineimpfungen, vom BAG mit jährlich CHF 950 000 und zwei Stiftungsräten unterstützt, ist aus Datenschutzgründen 2021 eingestellt worden. Eine Nachfolgelösung soll über das EPD erfolgen. Das wird dann leider auch ein potemkinsches Dorf bleiben und nie zur Anwendung kommen. Bilanz: Übung sofort abbrechen und eine neue Trägerschaft aufsetzen.

SMB eingestellt, BAG-Ersatz gescheitert

Das Swiss Medical Board (SMB), eine Initiative der kantonalen Gesundheitsdirektionen, hat seit 2008 eine lange Liste von aufsehenerregenden Publikationen zur medizinischen Überbehandlung in der Schweiz ver­öffentlicht. EDI und BAG haben es nun geschafft, das Swiss Medical Board abzuhalftern und das Health Technology Assessment (HTA) seit 2015 selber in die Hand zu nehmen. Das SMB hat seine Tätigkeit Ende 2021 eingestellt. Die HTA-Abteilung des BAG hat ein jährliches Budget von rund fünf Millionen Franken mit acht Vollzeitstellen. Seit fünf Jahren ist kein einziger nennenswerter Bericht publiziert worden. Bilanz: gescheitert, sofort aufhören und neue Trägerschaft ermöglichen.

Veraltetes Meldewesen

Die Digitalisierung des Meldewesens kommt im BAG nicht voran. Nachdem das BAG im Oktober 2020 das Faxgerät abstellte, gab es kein differenziertes Melde­wesen mehr. Zwar fehlten dadurch für die Festlegung der Covid-Massnahmen wichtige Informationen wie zum Beispiel, wo sich die Infizierten angesteckt hatten, aber immerhin musste das BAG dann die Anzahl der positiven Befunde nicht mehr mittels Papierwaage ­ermitteln. Wir haben in der grössten Pandemie in der Geschichte der Schweiz keine richtigen Datensätze über die infizierten Personen – oder das BAG wertet sie nicht aus. Wir stützen uns auf den wichtigsten Para­meter, die Spitaleinweisungen, aber das BAG publiziert nicht, ob die Patienten mit oder wegen Covid hospi­talisiert wurden. Geschätzte 50% der positiv getesteten Patienten treten aus einem anderen Grund ins Spital ein. Das BAG wurde auch bei der Einführung der Covid-Impfungen Ende 2020 auf der digitalen Schiene total überrascht. Die Bilanz ist unglaublich und erschreckend.

Gesundheitspolitischer Reformfuror

Man könnte diese Liste noch lange fortsetzen. Trotz völlig insuffizientem Leistungsausweis des BAG und unter dem Vorwand der Kostendämpfung lanciert Bundesrat Alain Berset weitere monströse Grossprojekte. Dabei wird man den Eindruck nicht los, dass hier gerade die Verstaatlichung des Schweizer Gesundheitswesens geplant wird. Mit dem Massnahmenpaket 2 will Berset eine radikale Umstellung der schweizerischen Gesundheitsversorgung realisieren und greift die beiden naiven und propagandistischen Kostendämpfungsinitiativen der Mitte und der SP als willkommenen Steilpass für ein Globalbudget auf. All dies sind Massnahmen ohne die geringste Chance auf Akzeptanz der Bevölkerung und würde zu noch viel mehr bürokratischer Absurdität führen.
Würden Sie nun dem EDI/BAG weitere neue und weitreichende Kompetenzen und Grossprojekte geben? Möchten Sie eine zukünftige ärztliche Tarifstruktur oder eine Kontrolle über die Einhaltung der Kostenziele dem BAG übertragen? Wir dürfen dem EDI bzw. dem BAG keine einzige weitere neue Kompetenz mehr überlassen. Denn vorher müssen sie ihre Hausaufgaben machen:
– EFAS einführen;
– TARDOC genehmigen;
– HTA neu aufsetzen;
– Digitalen Impfpass vom EPD entkoppeln und auf neuer Basis entwickeln lassen;
– Digitalisiertes Meldewesen aufbauen;
– EPD in jetziger Form verwerfen und neu lancieren;
– Umsetzung Qualitätsgesetz zurück auf Feld eins / an den Start;
– Monströse neue Baustellen einfach einstellen: Massnahmenpaket 2, Globalbudget und Kostenziele ersatzlos streichen und die beiden Parteiin­itiativen in der Volksabstimmung ohne indirekte Gegen­vorschläge ablehnen lassen.
Felix.Huber[at]medix.ch