Buchbesprechungen

Horizonte
Ausgabe
2022/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20545
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(10):334-335

Publiziert am 08.03.2022

Glücksmomente für Menschen mit Demenz Wie Fachkräfte unterstützen können
Stefanie Helsper, Harriet Heier
München: Ernst Reinhardt; 2021
Sachbuch
Der Umgang mit demenziell erkrankten Menschen ist oft schwer. Dazu benötigen Fachleute und Angehörige viel Feingefühl, eine gute Beobachtungsgabe und die Bereitschaft, sich mit der Lebensgeschichte der betroffenen Person auseinanderzusetzen. Die richtige Kommunikation hilft, Glücksmomente auszulösen, und diese wiederum helfen, dass das Erinnerungsvermögen möglichst lange erhalten bleibt.
In diesem Leitfaden beschreiben die Autorinnen auf einfache und leicht verständliche Weise die verschiedenen Erkrankungsformen von Demenz, wie demenziell Veränderte agieren und wie man den Schlüssel dazu findet, Emotionen des Glücks zu wecken. Zahlreiche hilfreiche Fallbeispiele mit Lösungsansätzen umrunden das Werk.
Näher beleuchtet werden folgende Handlungsschwerpunkte in der Arbeit mit Patientinnen und Patienten: Die Wahrnehmung von Verhaltensauffälligkeiten, eine einfühlsame und wertschätzende Kommunikation, die Kunst des gegenseitigen Verstehens sowie die Aktivierung von Vergangenheitserinnerungen. Zudem wird erklärt, wie wichtig es ist, sich mit der Biographie der betroffenen Person auseinanderzusetzen, um zu erkennen, in welchem Lebensabschnitt sich die Person zu befinden glaubt, und somit bestmöglich ­darauf zu reagieren.
Ziel ist, die Balance für die erkrankte Person zwischen Ruhe, Entspannung und Bewegung zu finden. Denn durch positive Erinnerungen und Komplimente können wahre Glücks­gefühle geschaffen werden, der sogenannte «Feel-Good-Cocktail».
Abschliessend wird für Betreuungspersonen die Wichtigkeit der Selbstwahrnehmung und Abgrenzung thematisiert, um die Fähigkeit zu erhalten, die eigene «Powerbank» der Seele zu füllen.
Die neue Einsamkeit
Diana Kinnert
Hamburg:
Hoffmann und Campe; 2021
Sachbuch
Gemäss einer Umfrage von 2019 leiden in Deutschland besonders junge Menschen ­vermehrt unter Einsamkeit. Auch in der Altersmedizin ist das Problem längst bekannt: Einsamkeit macht krank und erhöht die Sterbewahrscheinlichkeit. Die CDU-Politikerin und Unternehmerin Diana Kinnert spricht wegen der rasanten Zunahme gar von einer «Epidemie».
Dabei ist Einsamkeit kein neues Phänomen, wie beispielsweise die Bilder von Edward Hopper zeigen. Doch obwohl Einsamkeit spätestens seit der Moderne viel beklagt wird, dia­gnostiziert Kinnert, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine neue Einsamkeit angebrochen sei.
Der Grund dafür liege in der Digitalisierung und dem durch das kapitalistische Marktwesen propagierten Ideal der Individualisierung. Dadurch hätten die Menschen Werte wie ­Verantwortung und Verbindlichkeit verloren und seien nicht mehr fähig, Intimität zu ­leben. Das treibe die Vereinzelung voran und gehe gegen das Grundbedürfnis des Menschen nach sozialen Kontakten. Als Lösungsansatz fordert die Autorin mehr Mut zur Nichtlinearität, zur Auflehnung gegen ein System des Individualismus. Ergänzt wird dies durch praktische Vorschläge wie den stärkeren Einbezug von Begegnungsflächen bei der Stadtplanung.
Sprachgewaltig und in schnellem Tempo ­verknüpft Kinnert für ihre Analyse Beispiele aus Geschichte und Kunst mit aktuellen psychologischen Studien sowie Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben. Prägenden Hintergrund bildet die Corona-Pandemie, die zwar nicht den Beginn der neuen Einsamkeit bezeichnet, aber dazu beigetragen hat, Ein­samkeit sichtbar und damit «besprechbar» zu machen.
L’écologie et la narration du pire
Récits et avenirs en tensions
Alice Canabate
Paris: Editons Utopia; 2021
Essai
Alice Canabate, socio-anthropologue et historienne de l’Université Paris-Descartes, pose dans cet ouvrage très bien informé et structuré un regard aiguisé sur la crise, l’anthro­pocène et la collapsologie – sans être collapsologue. Une exposition-explicitation dense de la situation incertaine où nous nous trouvons: «La crise sanitaire covid a vu la bataille des ‘mondes d’après’. Cette profusion est un gage de vitalité démocratique et d’engagement de la société civile mais contient également un risque fort d’éparpillement. Tribunes, appels et manifestes se sont multipliés qui ont tenté de constituer une voix commune.»
Serions-nous face à un effondrement? «Il y a un effondrement lent et tragique de la capacité critique, de l’honnêteté et de la modestie, de nos capacités de réexamen.» L’auteure discute les émotions liées à la crise écologique. Nous devons gérer, dit-elle, une situation de franchissements de seuils critiques, de ruptures, qui s’alimentent mutuellement pour frapper de plein fouet les générations montantes. Soulignant l’importance de développer de nouveaux récits et des scénarios, ainsi que le fait l’Institut des futurs souhaitables, «école de la réinvention».
Ces nouveaux récits doivent redonner de l’espoir face au spectre de lendemains toujours plus sombres, conclut l’épilogue: «Nous avons sans doute à refuser de vivre en redoutant d’être demain, comme si le monde nous était extérieur, inaccessible [...] Le monde est création perpétuelle, refus de rassasiement comme le disait Mansur Al-Hallaj, mystique persan du IXe siècle.»
Sterben müssen – sterben dürfen?
Freitodbegleitung und die Rolle des Arztes
Isabell Rüdt, 
Christophe Huber
Bern: Stämpfli Verlag; 2021
Sachbuch
Sterben dürfen? Wir müssen! Ja, meint Christophe Huber, Augenarzt und langjähriger Konsiliararzt bei Suizidhilfeorganisationen, aber es kommt sehr darauf an, wie. Oder vielleicht noch mehr, wann.
Zusammen mit der Texterin Isabell Rüdt hat er ein Buch geschrieben über die Freiheit, ­selber entscheiden zu können, wann man das eigene Leben beenden möchte. Nicht nur, wenn man an einer tödlichen Krankheit leidet, auch am «ennui», der Freudlosigkeit, dem Lebensüberdruss. Huber setzt sich ein für den Altersfreitod. Es war schön, es kann nur schlechter werden. Jetzt reicht es. Er erzählt in fünfzehn berührenden Porträts, wie Menschen zu solchen Entscheidungen kommen. Die Rolle der Ärztin oder des Arztes dabei ist zentral, nicht nur im Ausstellen des Sterbemedikaments, sondern in der Begleitung, im Gespräch, in der Seelsorge.
Und Huber liefert zwischen den Geschichten auch Kästchen mit Begriffsklärungen, Regeln und Kriterien und dem rechtlichen Rahmen für ärztliche Fachpersonen: «in der Theorie klar, in der Praxis kompliziert». Ethisch heikel wird es für ihn dort, wo der Patientin oder dem Patienten die Freiheit zur Entscheidung entschwindet. In der Demenz zum Beispiel. Früh sterben oder verblöden?, fragt Huber.
Es ist ein Buch über die Freiheit zur eigenen Entscheidung. In aller Zustimmung bleibt mir leise die Frage: Kann das nicht auch zum Zwang werden – zum Zwang zur Entscheidung? Parallel dazu habe ich Abschied von Hermine von Jasmin Schreiber gelesen (Goldmann 2021). Für die Biologin ist der Tod Teil des Lebens. Vielleicht ist vertrauensvolles Loslassen ebenso Ausdruck von Freiheit?