Der Zweck heiligt die Mittel in der Mitte

FMH
Ausgabe
2022/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20613
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(10):305

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Public Health und Gesundheitsberufe

Publiziert am 08.03.2022

Die erste Ausgabe 2022 der Synapse der kantonalen Ärzte­gesellschaften beider Basel, «Mut zur Offensive», scheint den Finger auf wunde Punkte gelegt zu haben. Wohl ­unabhängig von der Synapse liegt unser Mitglied Felix Huber bei der Diagnose der Schwachstellen, die er in den Medien aufzählt, völlig richtig: EPD, willkür­liche Blockade des TARDOC … Nur, was die Ursachen betrifft, schätzen wir die Lage anders ein: Die Pro­bleme beim Bundesamt für Gesundheit BAG rühren nicht daher, dass Bundesrat Berset das BAG nicht führt, sondern im Gegenteil, dass er über die Massen führt und direkt Einfluss nimmt. Ein Bundesamt muss primär fachlich integer sein. Nur so kann es seine Glaubwürdigkeit bewahren, zumindest in Fachkreisen. Wird fachliche Integrität politischer Ideologie, gleich welcher Art, geopfert, wird es schwierig. In der Schweiz gibt es keine Kostenexplosion im Gesundheitswesen, sondern ein Problem mit der Lastenverteilung. Die Lasten wurden in den letzten Jahren zunehmend auf die Prämienzahler abgewälzt. Hier bietet EFAS eine Lösung. Auch TARDOC bietet mehrere Lösungen, unter anderem eine für die sich ­verschärfende Problematik des Fachkräftemangels. Die ­demographische Entwicklung wird in den nächsten Jahren zu einem zunehmenden Bedarf an medizinischer Versorgung führen. Immerhin, Bundesrat Berset muss man zugutehalten, dass er die Initiative «Kinder ohne Tabak» angeregt hat und dass der Föderalismus für ein optimales Pandemiemanagement eine sehr grosse Herausforderung war und ist. Eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens ist aber keine gute Idee, insbesondere nicht auf der Grundlage von Ansätzen, die in Deutschland nach über 10 Jahren grandios gescheitert sind. Wenn man schon spät dran ist, sollte man zumindest die Fehler anderer nicht wiederholen, um dann ­genauso grandios zu scheitern. Mit dem Sparartikel 47c im KVG begrüsst der Krankenversichererverband santé­suisse im Gegensatz zu curafutura eine Zweiklassen­medizin, da ein lukratives Geschäft mit privaten Zusatzversicherungen winkt. Was erstaunt: Die SP ist die Initiantin der Einführung dieser Zweiklassenmedizin nach deutschem Vorbild, sekundiert von der Mitte. Leiden werden alle Patientinnen und Patienten mit einer oder mehreren chronischen Erkrankungen.
Bei der Mitte geht es dem Parteipräsidenten und einer prominenten Politikerin, die primär im Sold von santésuisse steht, um Wahlkampfprofilierung mit Artikel 47c, damit man sich in der Folge doch nicht exponieren muss mit der eigenen Kostenbremse-Initiative: Opportunismus und Feigheit, politische Winkelzüge oder ein Schmierenstück, genannt «Rückkommen», bis einem das Ergebnis passt. Natürlich können beide so zusätzlich die Umsetzung der Pflegeinitiative torpedieren, auch die Verankerung der Hausarztmedizin in der Bundesverfassung perlt an ihnen ab. Beide haben zudem die Initiative «Kinder ohne Tabak» abgelehnt, wohlwissend, dass sie damit vermehrt Kinder und Jugendliche in die Nikotinabhängigkeit führen und jährlich Milliarden von Gesundheitskosten verantworten. Es geht eben um Wahlkampf. Die Leistungen, die das Gesundheitspersonal während der Pandemie erbracht hat, sind beiden egal.
Glücklicherweise gibt es einige Mitglieder der Mitte, zum Beispiel aus dem Kanton Glarus, die geholfen haben, dass zum ersten Mal eine Initiative angenommen wurde, die Kinder und Jugendliche vor Nikotinabhängigkeit schützt. Diese Minderheit erkennt auch die Problematik einseitiger Sparübungen. Ein herzliches Dankeschön an alle, die trotz Parteidoktrin Sachpolitik betreiben. Mit der Umsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak» werden wir Gesundheitskosten sparen, ohne Qualitätseinbussen in der Patientenversorgung. Es brauchte das Korrektiv der Volksabstimmung, um die entfremdete Bundeshauspolitik auf den Boden der Realität zurückzuholen. Die Ärzteschaft wird sich genauso gegen eine Staatsmedizin, Zielvorgaben und ein Globalbudget wehren, um auch in Zukunft den heutigen guten Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle zu sichern.