Nur eine Mehrstimmigkeit schafft Lösungen!

FMH
Ausgabe
2022/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20693
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(14):461

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Ambulante Versorgung und Tarife

Publiziert am 06.04.2022

Seit dem 1. Januar 2022 ist der neue KVG-Artikel 47a in Kraft. Der Artikel besagt, dass analog zum stationären Versorgungsbereich (SwissDRG AG) auch im ambu­lanten Bereich eine nationale Organisation für Tarifstrukturen für ambulante Behandlungen geschaffen werden soll. Angesprochen sind primär die Verbände der Leistungserbringer und der Kostenträger, sprich die klassischen Tarifpartner für ambulante Leistungen in der medizinischen Versorgung. Die Aufgabe der Organisation soll die Erarbeitung und Weiterentwicklung sowie die Anpassung und Pflege der Tarifstruk­turen für ärztliche Behandlungen sein. Die Verbände sollen paritätisch in dieser Tariforganisation vertreten sein.
Noch selten war man sich in der Gesundheitspolitik – wie auch bei den Leistungserbringern und den ­Kostenträgern – so einig, dass es einer solchen Organisation dringend bedarf, wie bei diesem Gesetzesartikel. Das leuchtende und hochgelobte Beispiel der SwissDRG AG im stationären Bereich vor Augen, passierte dieser Gesetzesartikel mühelos und weitgehend unumstritten die beiden Kammern des Parlaments. Umso unverständlicher ist deshalb die Tatsache, dass sich ein Teil der Leistungserbringer und der Kostenträger bei der Gründung dieser neuen Tariforganisation besonders schwertut. Wie immer bei solchen Organisationen liegt der Teufel im Detail, und es geht um Einfluss, Machterhalt und Mehrheiten.
Seit Mitte 2021 wird in zahlreichen Arbeitsgruppensitzungen und übergeordneten Entscheidungsgremien daran gearbeitet, eine solche nationale ambulante ­Tariforganisation aus der Taufe zu heben. Bisher sind wir aber keinen Schritt weitergekommen und die Zeit läuft. Der KVG-Artikel 47a hat für die Tarifpartner ein klares Ablaufdatum. Wird unter den Tarifpartnern bis Ende 2023 keine einvernehmliche Lösung gefunden, geht der Auftrag des Gesetzgebers, eine Tariforganisation über den Verordnungsweg zu schaffen und deren Spielregeln festzulegen, an den Bund. Kommt es so weit, wäre dies einmal mehr ein Versagen der Tarifpartnerschaft und würde gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit das fatale Zeichen setzen, dass die Tarifpartner offensichtlich nicht einmal fähig sind, sich auf eine gemeinsame Organisation, geschweige denn gemeinsam auf einen revidierten ambulanten Tarif zu einigen.
Der wichtigste Stolperstein dabei ist sicherlich die Forderung zweier Tarifpartner nach einem Vetorecht für die wichtigen Entscheidungen sowie sogar Einstimmigkeit für die Verabschiedung der Tarifstrukturen. Genau nach diesem Prinzip der Einstimmigkeit ist 2004 die ehemalige tarifpartnerschaftliche Organisation TARMED Suisse gegründet worden. Wie wir während der vergangenen 18 Jahre schmerzlich erfahren mussten, hat diese Vorgabe der Einstimmigkeit dazu geführt, dass die Weiterentwicklung und Pflege des ambulanten Tarifs TARMED über ein Jahrzehnt komplett blockiert war. Die FMH ist deshalb klar der Meinung, dass nur das in der Schweiz seit Jahrhunderten gelebte Mehrheitsprinzip auch in der nationalen ambulanten Tariforganisation zum Ziel führt. Wichtige Entscheide können immer noch mit einem qualifi­zierten Mehr flankiert werden. Nur so kann eine den aktuellen Gegebenheiten angepasste Pflege und sachgerechte Weiterentwicklung der ambulanten Tarifstrukturen auch für die Zukunft gewährleistet werden. Dass dies tarifpartnerschaftlich möglich ist, beweist die bisher einzige gemeinsame Tariforganisation ats-tms AG seit über sechs Jahren. Die einzige bisher tarifpartnerschaftlich entwickelte ambulante Tarifstruktur TARDOC wurde in der Tariforganisation ats-tms AG entwickelt und 2019 von den Tarifpartnern gemeinsam zur Genehmigung beim Bundesrat eingereicht. Noch bleibt Zeit, eine gemeinsame Lösung zu finden, doch die Uhr tickt!