Wie Schweizer Spitäler ökologischer werden können

Tribüne
Ausgabe
2022/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20733
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(18):606-608

Affiliations
Freier Journalist und Medizinstudent

Publiziert am 03.05.2022

Klimawandel und globaler Temperaturanstieg treiben den Puls der Gesellschaft in die Höhe. Die Spitäler versuchen mit systemischen Massnahmen ihren Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten. Doch für die einzelnen Ärztinnen und Ärzte ist ressourcenschonendes Arbeiten noch mit viel Mühe verbunden.
Schweizer Spitäler werden immer grüner. Nicht weil OP-Kleidung für alle zur Pflicht geworden ist. Sondern weil im Zuge der Klimabewegung auch die Akteure des Gesundheitswesens immer mehr auf Ökologie und Nachhaltigkeit setzen. Das neue Bewusstsein für die Umwelt steht im Einklang mit der offiziellen Position der Schweizer Ärzteschaft. So hat die FMH erst letztes Jahr ein Strategiepapier mit dem Ziel eines klima­freundlichen Gesundheitswesens offiziell angenommen [1]. Verschiedene Fachgruppen arbeiten nun an ­einer Umsetzung der Ziele für die Praxis.
Potenzial zur Einsparung von CO2 gibt es im Gesundheitswesen einiges. Medizinische Institutionen sind laut der Nichtregierungsorganisation Healthcare With­out Harm für 4,4% des weltweiten Treibhausgas-Ausstosses verantwortlich [2]. Spitäler erwiesen sich in mehreren Studien dabei mit einem Anteil von etwa einem Drittel all dieser Emissionen als der grösste Faktor innerhalb des Gesundheitssystems [3]. Und gemäss Matthias Stucki, Studienleiter «Green Hospital» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ist eine Reduktion der Umweltbelastung um 50% möglich, ohne dass Abstriche bei der Leistung entstehen [4].
«Die Bereiche mit der grössten Umweltbelastung im Schweizer Durchschnittsspital sind Verpflegung, Gebäudeinfrastruktur und Energieversorgung», erklärt Regula Keller, Forscherin beim vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekt «Green Hospital». Zur Treibhausgasemission trägt zudem die Herstellung der Medikamente massgeblich bei [5]. Der Einsatz von Textilien und von elektronischen Geräten ist bezüglich der Treibhausgase weniger relevant, dafür sind sie bei der Gesamtumweltbelastung bedeutender. Eine mittlere Signifikanz haben Abfall und Abwasser. Nicht allzu stark ins Gewicht fällt dagegen die Herstellung von ­medizinischen Grossgeräten wie CTs oder MRIs. Das Gleiche gilt für Papier und Druck sowie für die Wäsche.

Der Ball liegt bei den Spitalleitungen

Verbesserungen für eine umweltschonendere Medizin lassen sich vor allem mit systemischen Massnahmen erzielen. Ein grosses ökologisches Verbesserungs­potenzial in Bezug auf die Umweltauswirkung ortet das Forschungsprojekt Green Hospital Schweiz etwa beim Strom- und Wärmebezug. «Ein Umstellen auf Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien würde die Umweltbelastung der Spitäler merklich verringern», erklärt Regula Keller. Diese Forderung ist wegen des Ukrainekonflikts und der Kontroverse um russisches Gas gerade besonders aktuell und findet deshalb auch in der Spitalpolitik Gehör. So will beispielsweise das Inselspital Bern seinen Standort in Aarberg noch in diesem Jahr an ein Fernwärmenetz anschliessen. Nächstes Jahr soll das Spital Tiefenau folgen, wodurch der Erdgasbezug der Inselgruppe halbiert werden wird, wie Nina Tammler, Leiterin Nachhaltigkeit, schreibt. Dem Beispiel folgen einige andere Spitäler, die zum Beispiel mit eigenen Photovoltaikanlagen ihren Energiemix verbessern wollen.
Entscheidend ist daneben die Infrastruktur der Spitalgebäude. Hier können umweltfreundlichere Baumaterialien verwendet und die Lebensdauer der Gebäude verlängert werden, indem eine flexible Bauweise spätere Anpassungen an neue Bedürfnisse vereinfacht.
Besonders schnell und direkt kann beim Thema Verpflegung etwas für die Umwelt erreicht werden. Regula Keller: «Mit 25% an der gesamten Umweltbelastung ­eines Spitals ist die Verpflegung der wichtigste Einflussfaktor.» Eine Reihe an Studien konnte zeigen, dass etwa jedes siebte Spitalmenü unangetastet zurückgeht, vom verarbeiteten Essen bleiben gar 30% liegen [6]. Solche Zahlen machen nicht nur den Köchen Bauchweh. «Mit einem elektronischen Bestellungssystem kann etwas gegen Food-Waste getan werden», sagt Regula Keller. Mit Hilfe solcher Systeme können Patienten tagtäglich befragt werden, ob sie gerade Hunger haben und etwas zu essen wünschen. So erhalten nur jene ein Menü, welche das auch wirklich wollen. Keller empfiehlt zudem, der Umwelt zuliebe nicht das Fleischmenü, sondern das vegetarische mit grosser, an­sprechender Auswahl als Standard anzubieten. Eine Vorreiterrolle beim Essen spielt das Luzerner Kantonsspital, das bereits vor fünf Jahren mehr als 30 Massnahmen zur Reduktion des Food-Waste imple­mentierte – unter anderem mit der Senkung der Portionengrösse. Auch das Kantonsspital Graubünden zeigt sich kreativ: Hier können Patientinnen je nach Hunger auch zwischen halben, Viertel- und anderthalb Menüportionen wählen.

Schwerpunktserie Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen

Der Klimawandel ist eine weltweite Herausforderung. Auch das Schweizer Gesundheitswesen kann seinen Beitrag dazu leisten, ihm zu begegnen. In einer Serie betrachten wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven.

Fehlende Anreize punkto Klimaschutz

Neben den grossen Einflussfaktoren gibt es jene, in die Ärzte direkt involviert sind, namentlich etwa die Verschreibung von Medikamenten. Gewisse als Heilmittel gebrauchte Substanzen sind wahre Klimakiller, vor ­allem Narkosegase oder beispielsweise die im Asthma­inhalator verwendeten Hydrofluoroalkane. Laut einer Studie des britischen National Institute for Health and Care Service stossen nur fünf Dosen eines solchen Inhalators gleich viel Treibhausgas aus wie ein Auto bei einer 14 Kilometer langen Fahrt [7]. Die klimaschädlichen Inhalatoren werden in der Schweiz heute häufig gebraucht [8]. Dabei gibt es Alternativen wie Puder-­Inhalatoren, die 25-mal weniger umweltbelastend sind.
Hier wird es allerdings kompliziert. Fachärzte argumentieren, dass die klimafreundlicheren Inhalatoren aus medizinischen Gründen nicht für alle Erkrankten infrage kommen. Die Abklärung verursache zusätz­lichen Aufwand und generiere Kosten, ausserdem sei der Impact eines Medikaments aufs Klima nicht immer so klar wie im Fall von hydrofluoroalkanhaltigen Inhalatoren. Noch existieren keine grossen Datenbanken, in welchen der Einfluss von Medikamenten aufs Klima untersucht wurde und in denen ökologischere Alternativen gelistet sind. Klimaschonendere Medi­kamentverschreibung ist deshalb heute mit zeitintensiver Literaturrecherche und Mühe verbunden. Doch das Beispiel des Universitätsspitals Basel zeigt, dass hier mit Initiativen aus der Ärzteschaft Fortschritt ­erreicht werden kann: So hat die Anästhesiologische Klinik des Spitals Ende letzten Jahres beschlossen, in Zukunft auf das klimaschädliche Narkosegas Desfluran zu verzichten. Laut Chefarzt Dr. Luzius Steiner entsteht dadurch kein Nachteil in der medizinischen Behandlung, wie es in einer Medienmitteilung heisst [9].

Drei Nachhaltigkeits-Tipps für den Praxisalltag

Stärkung der Telemedizin: Häufig gehen Patienten zu Ärzten in die Praxis, obwohl keine körperliche Untersuchung oder medizinische Massnahme nötig ist. Das belastet die Umwelt wegen des Anfahrtsweges und kostet Praktikerinnen und Patienten unnötig Zeit. Einfache medizinische Fragestellungen könnten in Zukunft deshalb mit Video­telefonie gelöst werden.
Umstellung auf Mehrwegprodukte: Häufig sind Mehrweginstrumente ökologischer als Wegwerfprodukte. Entsprechend kann sich ein Umstieg auf wiederverwertbare Werkzeuge lohnen. Besonders Instrumente mit Metallkomponenten, die nur einmal gebraucht werden können, sind schädlich für die Umweltbilanz. Achten Sie ­dabei aber auf die regulatorischen Bestimmungen.
Achtung vor blindem Technikkauf: Die elektronische Krankengeschichte ist aus umwelttechnischer Sicht nicht in jedem Fall überlegen. Ein eigenes Gerät für jeden ­Mitarbeiter verbraucht schnell mehr Ressourcen, als es Papier tun würde. Darum lohnt es sich aus finanzieller wie ökologischer Sicht, nur in notwendige elektronische Geräte zu investieren, welche multifunktional sind.
In der nächsten Ausgabe lesen Sie mehr über Nachhaltigkeit in der Arztpraxis.
Initiativen für eine umweltfreundliche Medizin sind nicht nur wegen des Konflikts zwischen Klimaschutz und medizinischer Behandlung kompliziert. In Spitälern werden heute für sehr viele medizinische Eingriffe Wegwerf-Instrumente verwendet. Das resultiert in Abfallmengen von bis zu 20 Kilogramm pro Patient pro Tag [10]. Die ökologische Alternative sind wiederverwendbare Instrumente, die nach Gebrauch gereinigt werden. Doch die Sterilisation unterliegt strengen regulatorischen Anforderungen und kostet manchmal mehr als ein Plastikröhrchen. Dazu kommen versicherungstechnische Probleme, denn im Falle einer Krankheitsübertragung durch ein wiederverwendetes Produkt bezahlt dessen Hersteller nicht. «Auch werden die regulatorischen Hürden für Wiederverwertung von Instrumenten tendenziell höher und aufwändiger», erklärt Matthias Schlegel, Präsident der Schwei­zerischen Gesellschaft für Spitalhygiene und stell­vertretender Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen. Trotzdem würden Fachpersonen für Infektionsprävention versuchen, möglichst auch ökologische Über­legungen beim Entscheid für oder gegen ein Produkt zu berücksichtigen.
Im Jahr 2050 soll die Schweiz nach den Plänen des Bundesrats klimaneutral sein, das Gesundheitssystem mit eingeschlossen [11]. Bis dahin werden noch eine Reihe von ökologisch-medizinischen Fragestellungen geklärt werden und insbesondere Hilfestellungen und klare Anreize für Kliniker eingeführt werden müssen. Denn mit den üblichen Massnahmen allein wird das Fieber bei Patientin Erde nicht gesenkt werden können.