SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod»

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2022/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20767
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(18):596

Publiziert am 03.05.2022

SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod»

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen
Die meisten von Ihnen kennen mich aus der Presse, weil ich mich intensiv mit dem pola­risierenden Thema des begleiteten Freitodes auseinandersetze. In der letzten Schweizeri­schen Ärztezeitung wurden wir darauf vorbereitet, dass die Abstimmung über die Übernahme der neuen Richtlinien der SAMW «Umgang mit Sterben und Tod» bevorsteht. Ausser der FMH und den Kolleginnen und Kollegen, welche an den Ärztekammersit­zungen teilnehmen, wissen wahrscheinlich höchstens einzelne Kolleginnen und Kollegen, was diese neuen Richtlinien beinhalten. 2018 hat die SAMW unter der Leitung Schei­degger/Kind Richtlinien ausgearbeitet, welche der FMH zu liberal waren. Diese wurden nicht gutgeheissen.
Ist sich die FMH und die Ärzteschaft bewusst, dass mehrere Gerichtsentscheide bestehen, welche aufzeigen, dass die SAMW-Richtlinien nicht dem Volkswillen entsprechen? Ist der FMH bewusst, dass das Schweizer Volk und der Bundesrat 2011 klar geäussert haben, dass keine Einschränkung des liberalen Schweizer Gesetzes gewünscht wird? Die alten Richt­linien von 2004 waren eine massive Einschränkung, weshalb sie revidiert werden mussten. Werden die nun abgeänderten liberalen Richtlinien von 2018 wieder restriktiver, und weniger dem Volkswillen entsprechen? Dies ist zu erwarten.
Ich war am 9.12.21 am Bundesgerichtsverfahren unseres Kollegen Dr. Pierre Beck, Hausarzt und langjähriger Präsident von EXIT Welsche Schweiz. Die Bundesgerichtspräsidentin hat als Begründung des Freispruches unter anderem betont, dass das Schweizer Volk nie befragt wurde zu den SAMW-Richtlinien, dass diese Vereinsrecht sind und nicht dem liberalen Schweizer Gesetz entsprechen. Dass das Menschenrecht auf die eigenhändige Beendigung des Lebens nicht durch ein Vereinsrecht eingeschränkt werden darf.
Wenn die Richtlinien einschränkender sind als die von 2018, dann möchte ich meine Bedenken äussern, dass durch ein restriktives Verhalten der FMH in Bezug auf «Umgang mit Sterben und Tod» Ärztinnen und Ärzte sich der Gefahr der Anklage wegen Verstosses gegen die Sorgfaltspflicht aussetzen. Insbesondere dann, wenn sie wie Kollege Beck einen wohlüberlegten Todeswunsch eines höchstbetagten Menschen respektieren, und ihm nicht nur den unbegleiteten Suizid offenlassen, sondern auch den ärztlich begleiteten Tod, der in Sicherheit und in Anwesenheit der Familie ablaufen kann.
Kanada hat 2016 den ärztlich begleiteten Freitod legalisiert. Die Ärzte in Kanada arbeiten mit der Universität, der Ärztegesellschaft ­zusammen. In Kanada wird er «Medical Aid In Dying» (MAID) als ärztliche Tätigkeit akzeptiert. Da frage ich mich: Quo Vadis, Schweiz?
In der Hoffnung, dass dereinst in der Schweiz in Bezug auf Sterbehilfe die gesetzlichen Regelungen und die Empfehlungen der SAMW/FMH nicht mehr so diametral auseinanderstehen, müssen wir der Dinge harren, die da kommen werden von der FMH, die aber uns alle betreffen. Denn auch wir Ärztinnen und Ärzte müssen einmal sterben mit dem kleinen Unterschied, dass jeder rezeptierende Arzt die Möglichkeit hat, sich das NAP selber zu verschreiben, unabhängig von seinem ­Gesundheitszustand.
Wenn ein Staatsanwalt darüber entscheiden darf, wessen Leiden unerträglich ist, und ob jemand mit 86 Jahren «gesund» ist, dann sind wir auf dem falschen Weg. Nur der Leidende selber kann darüber urteilen, ob für ihn sein Leiden unerträglich ist.