«Gesundheit und Umwelt sind die Mega-Themen des 21. Jahrhunderts»

Tribüne
Ausgabe
2022/20
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20786
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(20):691-693

Affiliations
Junior-Redaktorin der Schweizerischen Ärztezeitung

Publiziert am 17.05.2022

Wenn die Erde krank ist, geht es auch uns schlecht. Ärztinnen und Ärzte werden künftig in Praxen und Spitälern mit immer mehr Menschen konfrontiert sein, die an den Folgen des Klimawandels leiden. Höchste Zeit also, ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, wie unsere Gesundheit mit der des Planeten zusammenhängt – und das Thema Planetary Health in die medizinische Aus- und Weiterbildung zu integrieren. Wie ist der Stand in der Schweiz?
Unser Planet ist krank. Seine Temperatur steigt, sein Zustand verschlechtert sich. Und nicht nur das: Er ist ansteckend. Wenn die Erde Fieber hat, leiden auch wir Menschen. Denn wir müssen schon jetzt und künftig noch stärker mit Wetterextremen, einem steigenden Meeresspiegel und vermehrten Hitzeperioden leben. Fakt ist: Unsere Gesundheit leidet, wenn wir unseren Planeten nicht gut behandeln.
In unserer Themenserie zur Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen haben wir bisher über die praktischen Möglichkeiten berichtet, um im Spital und in Praxen Ressourcen zu sparen und nachhaltiges Arbeiten zu fördern. Nun folgt ein Blick auf die Gesundheit der Erde und auf die Frage danach, wie die Gesundheit unseres Planeten und unsere eigene Gesundheit zusammenhängen. Es geht um das Stichwort Planetary Health – und darum, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die menschliche Gesundheit hat.

Schwerpunktserie Nachhaltigkeit im ­Gesundheitswesen

Der Klimawandel ist eine weltweite Herausforderung. Auch das Schweizer Gesundheitswesen kann seinen Beitrag dazu leisten, ihm zu begegnen. In einer Serie betrachten wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven.
Im vergangenen Oktober ist die São Paulo Declaration on Planetary Health erschienen, ein Aufruf der internationalen Planetary Health Alliance [1]. Darin wird davor gewarnt, dass unsere Lebensgrundlage durch den Verlust der Biodiversität sowie die Verschlechterung von Luft, Wasser und Boden mehr und mehr verloren geht. Jeder und jede ist aufgerufen, sich für den Klimaschutz einzusetzen und eine Vorbildfunktion einzunehmen. Das wirft Fragen über die Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten auf. Sollen sie sich öffentlich für den Klimaschutz engagieren? Sollen sie in Patientengesprächen vermehrt auf umweltfreundliche Präventionsmöglichkeiten und auf schädliche Umwelteinflüsse hinweisen? Und wo gibt es fundierte Informationen darüber?

Planetary Health fasst Fuss

Ebenfalls im Oktober 2021 hat die FMH ihre Planetary Health-Strategie verabschiedet, in der sie den Klimawandel als «grösste gesundheitliche Bedrohung» des 21. Jahrhunderts bezeichnet [2]. Sie zeigt darin auf, wie eng der Klimawandel und die medizinische Tätigkeit verbunden sind. Als erstes Ziel nennt sie die «Information» und hält fest, dass Planetary Health in die ärzt­liche Aus- und Weiterbildung integriert werden soll.
Diese Ansicht teilen viele Medizinstudierende, die sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema der Planetary Health auseinandersetzen und sich dafür engagieren, dass es Teil des Curriculums wird. In Deutschland wurde vor drei Jahren an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin die bundesweit erste Professur für Klimawandel und Umwelt an einer medizinischen Fakultät eingerichtet. Und auch in der Schweiz tut sich etwas. An verschiedenen Hochschulen laufen Vorbereitungen, um Planetary Health in den Unterricht zu integrieren. Eine Schwierigkeit dabei: Das Thema ist äusserst transdisziplinär. Eine zweite Schwierigkeit: Das Forschungsgebiet ist noch jung. Es gibt kaum Dozierende mit einem Hintergrund in Planetary Health.
Nachfolgend berichten Melanie Dussy, Medizinstudentin und Planetary Health Coordinator bei der Vereinigung der Schweizer Medizinstudierenden swimsa, Nicolas Senn, Universitätsdozent an der medizinischen Fakultät in Lausanne, sowie Christian Abshagen, Leiter des Certificate of Advanced Studies (CAS) «Umwelt und Gesundheit», darüber, wieso sie sich mit Planetary Health beschäftigen und wie sie sich für die ­Integration des Themas in die medizinische Aus- und Weiterbildung einsetzen.

«Die swimsa fordert, dass Planetary Health in die medizinische Ausbildung integriert wird»

«Ich bin durch eine engagierte Gruppe von Studierenden an meiner Universität auf das Thema der Planetary Health gestossen. Vorher war mir nicht bewusst, dass Umweltschutz, Medizin und Gesundheit so eng vernetzt sind. Wir mussten uns dieses Wissen neben dem Studium erarbeiten.
Die swimsa fordert, dass Planetary Health und der gesamte Themenkomplex der Vernetzungen zwischen der Umwelt und der Gesundheit der Menschen in die medizinische Ausbildung integriert werden. Es ist wichtig, dass im Studium vermittelt wird, dass die Gesundheit unserer Umgebung die Grundlage unserer Gesundheit ist. Das kommt aus der medizinischen Ausbildung, so wie sie jetzt ist, unserer Meinung nach nicht hervor.
Im Lernzielkatalog der medizinischen Ausbildung, den PRO­FILES, ist der health advocate – die Fürsprechperson für die Gesundheit – eine der sieben Rollen, die ein Arzt resp. eine Ärztin einnehmen können sollte. Das bedeutet, dass es auch zu den ärztlichen Aufgaben gehört, sich in der Gesellschaft und der Politik für die Gesundheit einzusetzen. Das beinhaltet aus unserer Sicht, dass wir die Patientinnen und Patienten und die Gesellschaft darüber informieren können, was für gesundheit­liche Risiken die Umweltverschmutzung oder der Klimawandel nach sich ziehen.
Schliesslich haben diese Zusammenhänge auch einen grossen Einfluss auf unsere spezifische Tätigkeit, wenn beispielsweise die Patientenlast wegen schädlicher Umwelteinflüsse grösser wird. Darauf müssen wir vorbereitet werden. Es gibt bereits viele interessierte Dozierende, doch scheint die Dringlichkeit noch nicht allen bewusst zu sein.
Idealerweise würde Planetary Health longitudinal ins Studium integriert, vom ersten Bachelor- bis zum letzten Masterjahr. Es bräuchte einige Vorlesungen, um die Grundlagen kennenzu­lernen. Doch danach könnten die bestehenden Lerninhalte immer wieder damit verknüpft werden. Denn Planetary Health hat mit allem zu tun und verbindet alle Fachgebiete.»
Melanie Dussy, Medizinstudentin an der Universität Basel und Planetary Health Coordinator, Swiss ­Medical ­Students’ ­­Association (swimsa)

«Wir haben die Studierenden gehört»

«Ich habe vor vier Jahren damit angefangen, Nachhaltigkeitsthemen in meinem Unterricht zu behandeln. Planetary Health ist dabei eines von mehreren Konzepten, die ich mit den Studierenden anschaue. Bisher habe ich diese Themen in Form von Wahlfächern und in einer Vorlesung vermittelt. Nun arbeiten wir an der Fakultät daran, diesen Bereich in die reguläre Ausbildung zu integrieren. Es mag so wirken, als hätte man in der Ausbildung zu lange nichts getan, um Nachhaltigkeit zu thematisieren, aber ich finde, zwei bis drei Jahre sind eine eher kurze Zeit, um ein neues Fach ins Curriculum einzuführen.
Der Anstoss dazu kam insbesondere von Studierenden, die sich aktiv für Umweltthemen eingesetzt haben. Wir Dozierenden haben sie gehört und ihre Anliegen wahrgenommen. Nun sind wir es, die sich einsetzen. Unser Dekanat hat das voll und ganz erkannt und kürzlich die Abteilung ‘Nachhaltigkeit ‘ geschaffen, die vom Vize-Dekan Renaud Du Pasquier betreut wird. ­Ausserdem gibt es an der Universität Lausanne mit dem von Nelly Niwa geleiteten Centre de compétences en durabilité ein Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeitsthemen mit Fachpersonen aus verschiedenen Disziplinen, mit denen wir bei der Kursplanung zusammenarbeiten. Dank dieser Entwicklungen konnten wir im vergangenen März die Plattform ‘Durabilité et santé’ lancieren, ein Netzwerk für den Austausch und die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Es gibt eine Debatte darüber, ob Forschende auch politisch ­aktiv sein dürfen. Früher war es üblich, dass Forschung und ­soziales Engagement getrennt werden. Aber vielleicht müssen wir das überdenken. Dieses Engagement muss allerdings diskutiert und reflektiert werden.
Auch für bereits praktizierende Ärztinnen und Ärzte braucht es Weiterbildungsmöglichkeiten. In einer Studie haben wir festgestellt, dass fast 80% der befragten Ärztinnen und Ärzte es wichtig finden, mit ihren Patientinnen und Patienten über Umwelt­themen wie Natur, Mobilität und Ernährung zu sprechen. Aus meiner Sicht haben hier die FMH und die kantonalen Ärztegesellschaften die Aufgabe, Weiterbildungsangebote zu schaffen. Einiges ist bereits in Planung, und es gibt immer mehr Kongresse zum Thema Nachhaltigkeit.»
Prof. Dr. med. Nicolas Senn, Leiter der Abteilung ­Hausarztmedizin bei Unisanté und Mitverantwortlicher der Plattfrom «Durabilité et santé» der Fakultät für Biologie und Medizin, Universität Lausanne

«Die disziplinenübergreifende Zusammenarbeit ist neu und bereichernd»

«Gesundheit und Umwelt sind die Mega-Themen des 21. Jahrhunderts, das ist für viele Disziplinen interessant. Doch sie haben eine besondere Relevanz für Medizinerinnen und Mediziner. Wenn wir Gesundheitserhaltung und -förderung betreiben wollen, dann ist das mehr als die Eins-zu-eins-Betreuung von Patientinnen und Patienten. Ich denke, zum Auftrag primum non nocere (Lat. für ‘erstens nicht schaden’) gehört heute auch, sich Gedanken zu globalen Umweltkrisen zu machen und wenn nötig öffentlich Position zu beziehen, um die Gesundheit der Menschen zu schützen.
In unserem CAS behandeln wir die engen Verflechtungen der menschengemachten Umweltveränderungen und ihre Rückwirkungen auf die menschliche Gesundheit, also Planetary Health. Dann schlagen wir den Bogen zu Sustainable Healthcare und fragen, wo das Gesundheitswesen und -system heute noch nicht ökologisch ist und wie wir das ändern können. Die Weiterbildung steht allen Berufsgruppen offen.
Etliche Medizinische Fakultäten befassen sich zurzeit intensiv mit der Integration von Planetary Health und Sustainable Healthcare in das Medizinstudium, oftmals begleitet von der Mitsprache der Studierendenschaft. Es gibt Studierende weltweit, die sich sehr differenziert mit dem Thema auseinandersetzen. An der Universität Basel darf ich gemeinsam mit einer Kollegin mit Master in Sustainable Development die Verortung des Themas als longitudinale Fachrichtung im Curriculum verantworten. Diese disziplinenübergreifende Zusammenarbeit ist neu und bereichernd.
Als Forschungsthema ist Planetary Health noch relativ jung und sehr transdisziplinär. Im CAS haben wir Referierende aus dem medizinischen Bereich und solche aus den Umweltwissenschaften.
Das Besondere der Planetary Health ist, dass sie gleichzeitig wissenschaftliches Feld und soziale Bewegung ist. Es gibt streng wissenschaftliche Aspekte, wie beispielsweise bei der Untersuchung von umweltschädigenden Einflüssen auf das Herz-Kreislauf-System. Doch daneben ist die Beschäftigung mit dem Thema stark wertebasiert und verfolgt explizit Transformationsansätze.»
Dr. med. Christian Abshagen, Leiter des CAS «Umwelt und Gesundheit», ­Hochschule für Life Sciences FHNW und Leiter Fachstelle Nachhaltigkeit, Universitätsspital Basel