Was wissen Sie über die Schweizer Rehabilitationsmedizin?

FMH
Ausgabe
2022/19
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20789
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(19):619

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortliche Stationäre Versorgung und Tarife

Publiziert am 10.05.2022

Seit 1. Januar 2022 ist mit ST Reha die dritte stationäre Tarifstruktur in Kraft gesetzt und wird angewendet. Damit ist mit der Rehabilitationsmedizin – nach der Akutmedizin und der Psychiatrie – der letzte grosse stationäre Gesundheitsbereich in ein leistungsgerechtes Tarifsystem überführt. Vorangegangen sind jahrelange intensive Vorarbeiten auch seitens FMH mit ­ihren ärztlichen Begleitgruppen einerseits und den ­Tarifverantwortlichen der Fachgesellschaften andererseits.
Als Medizinerin einer anderen Fachrichtung habe ich diesen Meilenstein zum Anlass genommen, mir das Gebiet der Schweizer Rehabilitationsmedizin genauer anzusehen, und ich war beeindruckt von den Zahlen und Fakten, auf die ich gestossen bin. Ich habe gelernt, dass mit rund 90 000 stationären Aufenthalten pro Jahr Patientinnen und Patienten insgesamt über zwei Millionen Tage in Rehabilitationskliniken und -abteilungen verbringen, was etwas mehr als 19 Prozent aller Hospitalisierungstage entspricht [1]. Die stationäre Rehabilitation verursachte im Jahr 2020 Kosten in Höhe von 1,86 Mil­liarden Franken, was knapp 10 Prozent der Kosten der gesamten stationären Spitaltätigkeit entspricht [1].
Vor allem im deutschsprachigen Raum erfolgt die ­Rehabilitation hauptsächlich in Kliniken, die spezialisiert sind für bestimmte Fachbereiche (z.B. neuro­logisch, muskuloskelettal, kardial). In der Genfersee­region und im Tessin werden die Behandlungen eher integriert in Zentren eingebettet und in allgemeinen Spitälern durchgeführt – sogenannten «Centres de traitement et de réadaptation» [2].
Die Durchsicht dieser Daten machte mir bewusst, welch substanziellen Anteil die Rehabilitationsmedizin am Schweizer Gesundheitswesen hat. Angesichts dieser Bedeutung war und ist es wichtig, dass sich die FMH für ein leistungsgerechtes Tarifsystem einsetzt, welches die ärztliche Expertise einfliessen lässt. Gespräche mit ärztlichen Tarifexperten aus Deutschland zeigten mir, dass dies nicht selbstverständlich ist. Diese zeigten sich erstaunt ob der Diskussion zwischen FMH und SwissDRG AG, welche stets auf Augenhöhe stattfand. Diese Tatsache ist eine verdiente Teamleistung. Und so möchte ich an der Stelle den Fachgesellschaftsvertretern des FMH-Ausschusses, der FMH-Begleitgruppe ST Reha sowie der Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife herzlich danken für ihr lang­jähriges Engagement.
Sie haben beispielsweise massgeblich zur Abbildung der Rehabilitation in der Prozedurenklassifikation CHOP beigetragen. Dabei gilt es immer abzuwägen zwischen einer detaillierten und leistungsgerechten Abbildung und dem administrativen Aufwand für die Leistungserfassung. Diese Expertise aus der konkreten Anwendung im Alltag können wir Ärztinnen und Ärzte in die SwissDRG AG zurücktragen – damit das lernende System sinnvoll weiterlernt.
Die ersten Evaluationen zeigen denn auch, wo es weiteren Handlungsbedarf gibt. Auf Seite 620 dieser SÄZ-Ausgabe finden Sie ein Interview mit zwei versierten Rehabilitationsmedizinern, die ihre Erfahrungen mit dem neuen Tarifsystem schildern. Eine wichtige Herausforderung, die angegangen werden muss, ist sicher der grössere Aufwand bei der Dokumentation. Die Reduktion des administrativen Aufwands ist eines der erklärten Ziele der FMH. Auch müssen wir darauf achten, dass aufgrund der Tarifvorgaben nicht Anpassungen des Rehabilitationsprogramms zuungunsten unserer Patientinnen und Patienten ausfallen. Weiter weisen die Anforderungen des Tarifs noch Unschärfen auf, welche das Risiko von Konflikten zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern bergen, wenn die Abrechnungsüberprüfungen durchgeführt werden. Die Arbeit wird uns also nicht ausgehen, und wir engagieren uns weiterhin für die Anliegen unserer Mitglieder.
Manch einer aus einem anderen Fachgebiet wird sich in den Nöten und Freuden dieser Kollegen wieder­finden. Denn letzten Endes sitzen wir alle im gleichen Boot und geben unser Bestes, damit unsere Patientinnen und Patienten unter sich ständig ändernden Rahmenbedingungen stets eine qualitativ hochstehende Behandlung bekommen.
Dafür setzt sich auch die FMH mit ihren Fachgesellschaften weiterhin ein – für gute Rahmenbedingungen in der Rehabilitation und in allen anderen Fachgebieten.