Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin

Dem Fachkräftemangel auf der Intensivstation entgegenwirken

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2022/2728
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20821
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(2728):902-903

Affiliations
a Dr. med., Präsidentin Ärzteschaft Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI), Spital Thun; b Geschäftsführende Präsidentin SGI, ­Universitäts-Kinderspital Zürich

Publiziert am 05.07.2022

Am 31. März fand im Zentrum Paul Klee in Bern das diesjährige Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) statt. Die vergangenen Jahre haben die Bedeutung der Intensivmedizin auf­gezeigt. Das diesjährige Symposium griff deshalb das Thema «Fachpersonal heute und morgen» auf und rundete damit das SGI-Jahresthema «Arbeiten auf der Intensivstation» ab.
Das Programm schlug den Bogen vom Personalmarketing über die Personalrekrutierung bis hin zum Per­sonalerhalt. Hervorragende Referentinnen und Referenten aus den unterschiedlichsten Branchen und Institutionen präsentierten ihre Sicht auf Bedürfnisse des Personals, Arbeits- und Führungsmodelle, Arbeitgeberattraktivität wie auch kommende Trends mit ­Fokus auf die interprofessionellen Berufsgruppen.

Fachkräftemangel macht sich bemerkbar

Der Bedarf an qualifizierten Pflegeleistungen nimmt zu, nicht zuletzt aufgrund der Hochaltrigkeit unserer Bevölkerung sowie der chronischen Erkrankungen und der medizinischen Fortschritte. Trotz dem daraus resultierenden grossen Bedarf an Fachpersonal besteht ein zunehmender Fachkräftemangel. Der Personal­mangel im Pflegebereich war bereits vor der COVID-19-­Pandemie dramatisch.
Auch in der Intensivmedizin herrscht Fachkräftemangel: Am Symposium wurde deshalb über Möglichkeiten zur Personal­erhaltung und Personalrekrutierung gesprochen. ­(Sudok1 | Dreamstime.com)
Pflegefachpersonen machen 59% des gesamten Gesundheitspersonals aus. Der Nationale Versorgungsbericht 2021 zeigt auf, dass Pflegefachpersonen auf dem Arbeits­markt mit Abstand am meisten gesucht werden und schweizweit in allen Spitälern grosse Vakanzen bestehen [1]. Die Zahlen des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums zeigen, dass ca. 34% der Ärzte und Ärztinnen vor dem Alter von 35 Jahren definitiv aus dem Beruf aussteigen [2]. Beim Pflegepersonal beträgt dieser Anteil ca. 32,4%, so Roswitha Koch vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). Lösungsansätze zeigt die Pflege­initiative auf, welche im November 2021 angenommen wurde. Ihre Hauptanliegen sind es, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, in die Ausbildung zu inves­tieren, Berufsausstiege zu verhindern und die Pflegequalität zu sichern.

Gefahren am Arbeitsplatz

Elengo Mohanaradhakrishnan vom Institut für Arbeitsmedizin (ifa) zeigte die Vielfalt der Gefahren auf, welchen Intensivteams am Arbeitsplatz ausgesetzt sein können. Angefangen bei Lärm und Dauergeräu­schen, über chemische und biologische Gefahren wie ­Narkosegase und Infektionen, Hautprobleme und Allergien durch den Kontakt mit Materialien, die konstan­ten körperlichen Belastungen durch das Lagern der Patientinnen und Patienten, die Schichtdienstbelastung und vieles mehr. Die Burnout-Rate ist gemäss ­einer Medscape-Studie in der Notfall- und in der Intensivmedizin relativ hoch, wobei 60% der Befragten die zu hohe bürokratische Belastung als Grund für ein Burnout angegeben haben [3].

Bedürfnisse der Gesundheitsfachpersonen

Interessant war daher die Frage von Monika Brodmann Maeder, Präsidentin des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF), ins Auditorium, welche Bedürfnisse die Ärzteschaft in ­Bezug auf Arbeit und Weiterbildung hat. Häufig genannt wurden «Wertschätzung» und «Zeit für Weiterbildung». Die Umfrage unter den Pflegefachpersonen im Auditorium ergab ebenfalls das Bedürfnis nach «Wertschätzung» und nach «Begegnung im Team auf Augenhöhe». Die Dauer der ärztlichen Weiterbildung ­sowie individuelle Faktoren wie die Elternzeit und Teilzeit­arbeitsmöglichkeiten, aber auch das Bedürfnis nach weniger Administration und eine bessere Aufteilung der Wochenarbeitszeit sind wichtige An­liegen der jungen Kolleginnen und Kollegen. Die Weiter­entwicklung und Modernisierung der ärztlichen ­Aus- und Weiterbildung ist daher ein prioritäres ­Projekt des SIWF. Hierzu gehört auch die Einführung von Entrustable Professional Activities (EPAs), auf Deutsch auch «Anvertraubare Professionelle Tätig­keiten» (APT), um das Lehren und Lernen in kom­pe­tenz­basierter medizinischer Aus- und Weiterbildung zu strukturieren [4].
An den Beispielen Arbeitszeit und Ruhezeit erklärte Deborah Balicki aus dem Ressort Arbeitnehmerschutz des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), wie das Arbeitsgesetz im Gesundheitswesen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen soll.

Rekrutierung im Wandel

Im zweiten Themenblock wurden Strategien zur Per­sonalgewinnung und zum Personalerhalt aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Sonja Auf der Maur von HRbegeistert zeigte schwungvoll auf, dass die zukünftigen Mitarbeitenden aktiv beworben ­und angesprochen werden wollen. Motivationsschreiben seien nicht mehr zeitgemäss, Bewerbungen sollten schnell, mit möglichst wenig Aufwand und unkompliziert online möglich sein. Der erste Eindruck vom ­Arbeitgeber ist zentral, weil er die Candidate Expe­rience prägt.
Sandra Kohler und Patrizia Zwygart von kohler + partner präsentierten dem Publikum Ideen anderer Branchen, um die Mitarbeitenden zu halten.
Die Intensivpflegeexpertinnen Stefanie Stöckel und Gaby Gürber vom Luzerner Kantonsspital gaben mit ihrer Präsentation Einblick in die selbstorganisierte Arbeitsplanung ihres Teams, die die Zufriedenheit der Kolleginnen und Kollegen deutlich erhöht hat.

Erwartungen sind gewachsen

Anna Kühn von fischerAppelt, live zugeschaltet aus Hamburg, machte den Teilnehmenden auf sehr er­frischende Weise klar, dass die Arbeitgeber auf neue Medien setzen müssen, um Personen der Generation Z, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, für sich zu gewinnen. Sie zeigte aufgrund von verschiedenen ­Beispielen auf, wie z.B. unkonventionelle Videos zur Bewerbung des Jobprofils grosse Wirkung haben und dass der Lohn und das Privatleben für diese Generation wichtiger zu sein scheinen als Teamarbeit und Verantwortungsübernahme.
Temporeich präsentierte John Antonakis von der Universität Lausanne seine Forschungsergebnisse zum Thema Leadership und warum Führungsleute mit Charisma und der Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, erfolgreicher sind.
Und gerade im sich rasch wandelnden Gesundheits­wesen, das unter hohem ökonomischem Druck steht, braucht es Organisationen und Menschen, die eine gute Balance zwischen Flexibilität und Stabilität finden und damit auch die Resilienz und Sicherheit ihrer Mitarbeitenden fördern, führte Gudela Grote, ETH ­Zürich, aus.
Die Vorträge und die begleitende Industrieausstellung besuchten ca. 220 Teilnehmende. Das Symposium bildete die Startveranstaltung zum 50-Jahr-Jubiläum der SGI. Die Jubiläumstagung findet vom 14. bis 16. September 2022 im Congress Center Basel statt und steht unter dem Motto: «50 Jahre SGI im Zeichen der Interprofessionalität und Interdisziplinarität». Das Programm der ­Tagung ist auf der Website der SGI einsehbar.

Das Wichtigste in Kürze

• Am 31. März fand das Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin statt, an dem das Thema «Fachpersonal heute und morgen» behandelt wurde.
• Wegen des Fachkräftemangels sowie einer relativ hohen Burnout-Rate in der Notfall- und der Intensivmedizin sind der Personalerhalt und die Personalrekrutierung zentral.
• Eine Umfrage am Symposium zeigte, dass sowohl für die ärztlichen Fachpersonen wie auch das Pflegepersonal die Wertschätzung ihrer Arbeit sehr wichtig ist.
• Für die erfolgreiche Personalrekrutierung sollten ausserdem die neuen Medien (z.B. Videos) genutzt werden.
sgi[at]imk.ch
1 OBSAN Bericht 3/2021 Gesundheitspersonal in der Schweiz – Nationaler Versorgungsbericht 2021.
2 OBSAN Bulletin 7/2016 Berufsaustritte von Gesundheitspersonal.
3 Medscape Lifestyle Report 2022: Race and Ethnicity, Bias and Burnout, Jan 2022.
4 Informationen auf der Webseite des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF): https://siwf.ch