Prämien und Kosten sind nicht das Gleiche

FMH
Ausgabe
2022/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20827
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(2122):701

Affiliations
Dr. med., Präsidentin FMH

Publiziert am 24.05.2022

Im Jahr 2020 wurden 31,6 Milliarden Franken unserer Gesundheitsausgaben über die Prämien der Grund­versicherung finanziert. Ein deutlich grösserer Teil – nämlich 51,7 Milliarden – wurde aus anderen Quellen finanziert, z.B. durch den Staat (Bund, Kantone, Gemeinden), Selbstzahlungen oder Privatversicherungen.
Obwohl also aktuell «nur» 37,9% unserer Gesundheitskosten über Prämien finanziert werden, richtet sich die politische Diskussion häufig ausschliesslich auf diesen prämienfinanzierten Anteil. Oftmals werden sogar die Krankenkassenprämien mit den ­Gesundheitskosten gleichgesetzt. Selbst im Faktenblatt des BAG zum aktuell im Parlament dis­kutierten Globalbudget per «Zielvorgabe» wird dieser wichtige Unterschied ignoriert.
Warum die Verkürzung der Kostendiskussion auf eine Prämiendiskussion so problematisch ist, können Sie im Artikel «Die Prämien steigen stärker als die Kosten» auf Seite 702 nachlesen. Er zeigt unter anderem, dass im Jahr 1996 erst 29,9% der Gesundheitsausgaben über Prämien finanziert wurden, deutlich weniger als heute. Nur den Prämienanstieg abzubilden, ohne zu erwähnen, dass diese Prämien heute auch einen viel grösseren Teil des Gesundheitswesens finanzieren, ­erzeugt folglich einen falschen Eindruck. Es suggeriert, die Prämien würden ausschliesslich wegen der Kostenzunahme steigen, dies ist jedoch nicht der Fall. Würden wir bis heute nur 29,9% unseres Gesundheitswesens über Prämien finanzieren, wären unsere Kranken­kassenprämien um 21% niedriger. Wer nicht zwischen Prämien und Kosten unterscheidet, präsentiert den Prämienzahlenden einen immer grösseren Teil der Rechnung – und lässt sie in dem Glauben, sie zahlten nur deshalb mehr, weil die Gesamtrechnung höher sei.
Ein solches Vorgehen lässt politisches Kalkül vermuten, dient es doch verschiedenen Interessen. Wer vom Prämienanstieg auf einen Kostenanstieg verallgemeinert, lässt die Entwicklung dramatischer erscheinen, als sie ist – und erhöht den politischen Druck. Das Gleichsetzen von Prämien und Kosten lässt zudem staatliche Regulierungen im OKP-Bereich wirksamer erscheinen, als sie sind, weil unerwähnt bleibt, dass sie sich nur auf 38% der Kosten richten. Vor allem wird aber die Frage vermieden, ob unser Finanzierungs­system denn zukunftsfähig ist – und dies wäre die wichtigste Frage von allen.
Bislang hat die zunehmende Prämienfinanzierung ­unseres Gesundheitswesens vor allem den Anteil privater Zahlungen reduziert. Es wird also mehr über Prämien und weniger über Selbstzahlungen und Privatversicherungen finanziert als früher. In Zukunft dürfte der prämienfinanzierte Anteil unseres Gesundheitswesens jedoch aus einem anderen Grund weiter steigen: Mit den Fortschritten der Medizin wird immer mehr ambulant statt stationär behandelt. Dies spart sehr viel Steuer­gelder für Spitalbehandlungen. Für die Prämienzahler wird es jedoch teilweise sogar teurer, weil sie ambulante Behandlungen allein finanzieren müssen – so will es unser Finanzierungssystem. Wenn durch diese Entwicklung die Gesundheitsversorgung immer mehr über die Prämien und immer weniger über Steuergelder ­finanziert wird, belastet dies vor ­allem einkommensschwache Haushalte. Denn die Kopfprämien bezahlen alle gleichermassen – Steuern nicht.
All dies bleibt unsichtbar, wenn man nur auf die Prämien, nicht aber auf die Finanzierung schaut. Es kann nicht gelingen, immer mehr über die Prämien zu finanzieren – und ihren Anstieg dann mit staatlicher Re­gu­lierung zu bekämpfen. Eine gute Neuregelung der Finanzierung hingegen könnte die Prämienzahler entlasten – und zudem Effizienzgewinne in Milliardenhöhe er­zielen, ohne Einbussen in der Versorgung. Ein Konzept dafür liegt mit der einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS) seit über zehn Jahren vor. Doch dessen Bedeutung erkennt nur, wer weiss: Prämien und Kosten sind nicht das Gleiche.