Bundesrätlicher TARDOC-Entscheid

«TARDOC ist der Einzelleistungstarif der Zukunft»

FMH
Ausgabe
2022/2526
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20875
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(2526):840-841

Affiliations
Leiterin Abteilung Kommunikation der FMH

Publiziert am 22.06.2022

Die neue Tarifstruktur für den ambulanten Bereich TARDOC wurde Anfang Juni vom Bundesrat abgelehnt. Die FMH muss das Projekt nun in Absprache mit den ­Tarifpartnern überarbeiten. Die Präsidentin der FMH, Dr. med. Yvonne Gilli, spricht über die Enttäuschung, die bevorstehenden Herausforderungen, aber auch über die Hoffnung, dass der TARDOC bald zustande kommt.
Am 3. Juni 2022 hat der Gesamtbundesrat entschieden, den TARDOC vorerst nicht zu genehmigen. Er hat den TARDOC als noch nicht genehmigungsfähig beurteilt und erwartet eine weitere Überarbeitung und eine erneute gemeinsame Einreichung mit allen Tarifpartnern (FMH, H+, curafutura und santésuisse) bis Ende 2023. Was bedeutet dies für die FMH und ihre Mitglieder?
Dr. med. Yvonne Gilli,
Präsidentin der FMH
Für die Stärkung einer guten und kosteneffizienten ambulanten medizinischen Versorgung ist es von zentraler Bedeutung, dass der veraltete TARMED endlich abgelöst wird. Mit dem TARDOC liegt ein aktueller sachgerechter und betriebswirtschaftlich bemessener Tarif vor, der den TARMED vollständig ablösen kann. Derzeit gibt es keine Alternative zum TARDOC. Die Pauschalen sind noch lange nicht so weit, decken nur einen Bruchteil der Leistungen ab, und es gibt kein umfassendes Konzept zur kostenneutralen Überführung der Pauschalen. Die FMH war zwar enttäuscht, dass der TARDOC vorerst noch nicht genehmigt wird. Wir nehmen aber als positives Zeichen wahr, dass der TARDOC als Einzelleistungstarif für den Bundesrat gesetzt ist, und mit den formulierten Auflagen die Grundlage für den neuen ambulanten Arzttarif darstellt.
Der Bundesrat bemängelt Punkte wie Kostenneutra­lität, Transparenz und Wirtschaftlichkeit am ein­gereichten Vorschlag. Können Sie diese Beurteilung nachvollziehen? Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für die Ablehnung?
Die Kostenneutralität ist in der KVV, Art. 59c verankert, und es liegt beim TARDOC ein detailliertes Konzept zur Umsetzung vor. Auf Forderung des Bundesrates wurde die Kostenneutralität des Tarifstrukturwechsels, ­welche nach Art. 59c Abs. 1 lit. c KVV vorgeschrieben ist, sogar auf drei Jahre verlängert mit klaren 
Eingriffsgrenzen und Korrekturmechanismen bei Überschreiten des vereinbarten Korridors! Die Skepsis bezüglich Kostenneutralität ist für uns somit nicht nachvoll­ziehbar. Auch bezüglich Transparenz und Wirtschaftlichkeit können wir die Kritik nicht nachvollziehen, denn noch nie war ein Tarif derart transparent dokumentiert wie der TARDOC. Dies wurde uns in Gutachten von unabhängiger Seite bestätigt. Wir haben inzwischen bereits diverse Gespräche mit den beteiligten Akteuren geführt und werden mit Hochdruck am TARDOC weiterarbeiten.
Haben Sie mit diesem Resultat gerechnet, bzw. gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?
Wir haben befürchtet, dass es schwierig wird, weil wir die kritischen Stimmen vernommen haben. Wir haben aber regelmässig das Gespräch gesucht, versucht, unseren Standpunkt einzubringen, und waren offen, den Genehmigungsprozess aktiv zu begleiten. Leider hat das BAG seit der letzten Einreichung Ende Dezember 2021 bis zum Entscheid des Bundesrats nie das Gespräch mit uns gesucht, keine Rückfragen gestellt, und es liegt bis dato auch kein umfassender Prüfbericht dieser Version 1.3 vor. Insofern hilft wahrscheinlich nur eine hartnäckig lange Ausdauer. Ich sehe keinen Schritt, mit dem wir besser, ­rascher oder sicherer ans Ziel gekommen wären.
Warum konnten die FMH und curafutura H+ und santésuisse nicht für den TARDOC gewinnen?
H+ war bei der Entwicklung der Leistungsstruktur mit am Verhandlungstisch und hat uns lange in der Tarifpartnerschaft begleitet. Aktuell hat sich auch H+ gegenüber dem Bundesrat für eine Genehmigung aus­gesprochen. Das sind sehr deutliche Signale, und wir hoffen auf eine weitere gute Zusammenarbeit. Es ist aber auch verständlich, dass der TARDOC allein viele Herausforderungen der Spitäler nicht löst, weshalb u.a. für sie auch die Entwicklung von Pauschalen bedeutsam ist.
santésuisse verfolgt andere Interessen und spricht diese auch in ihren Publikationen an. Unsererseits bleiben wir offen für eine konstruktive Zusammen­arbeit, betonen aber klar, dass santésuisse bei der Frage der Genehmigung des TARDOC kein Vetorecht gewährt werden darf, schon gar nicht, weil ein grosser Versicherer der santésuisse-Gruppe, nämlich die Swica, die Genehmigung des TARDOC ebenfalls klar unterstützt. In dieser Konstellation vertritt santé­suisse nur noch eine Minderheit der Versicherer.
Wie geht es jetzt weiter? Hält die FMH nun trotz allem am TARDOC fest? Gäbe es eine Alternative zum TARDOC?
Wir analysieren nun die Forderungen des Bundesrats und schauen mit den angeschlossenen Ärztegesellschaften, wie wir weiterarbeiten. Eine realistische und sach­gerechte Alternative zum TARDOC gibt es aus unserer Sicht nicht. Ohne TARDOC wäre die Ärzteschaft gezwungen, mit dem völlig veralteten TARMED weiterzuarbeiten. Das heisst, die Ärzteschaft muss weiter verzichten auf ein eigenes 
Hausärztekapitel, auf die Berücksichtigung der Interprofessionalität, der Digitalisierung oder der Palliativmedizin. Es ist ­offensichtlich, dass darunter letztendlich die Patientenversorgung leidet. Deswegen arbeiten wir weiterhin auf die Genehmigung des TARDOC durch den Bundesrat hin. Die baldige Genehmigung ist auch ein Bekenntnis des Bundesrates zur Tarifpartnerschaft, welche im KVG verankert ist und die schweizerisch hohe Qualität der Gesundheitsversorgung mitprägt.
Welches sind nun die nächsten geplanten Schritte seitens FMH?
Wir haben eine Einladung zum Gespräch mit Bundesrat Berset, wofür wir dankbar sind. Dieses Gespräch werden wir abwarten. Wir werden ebenso unsere Gespräche mit H+ und santésuisse weiterführen in der neu zu gründenden Tariforganisation.
Sehen Sie – trotz der aktuellen Situation – einen Silberstreifen am Horizont?
Absolut! Der Gesamtbundesrat hat die geleisteten Arbeiten gewürdigt und steht einer zukünftigen Genehmigung des TARDOC weiterhin offen gegenüber. Es wird jetzt wichtig sein, dass die Gründung der nationalen ambulanten Tariforganisation nicht scheitert. Der Zusammenarbeit mit dem Spitalverband H+ wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen.
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