Mit einem konzilianten «Sowohl-als-auch» ist es nicht getan

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2022/2728
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20888
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(2728):909

Publiziert am 05.07.2022

Mit einem konzilianten «Sowohl-als-auch» ist es nicht getan

Nach langem Tauziehen hat die FMH die SAMW-Richtlinien zur Sterbehilfe in die ­Standesordnung aufgenommen. Yvonne Gilli schliesst in ihrem Artikel, die neuen Richt­linien gewährleisteten «Orientierung und Rechtssicherheit sowohl für Ärztinnen und Ärzte, die Suizidhilfe ablehnen, wie für jene, die diese durchführen wollen». Sind damit die Probleme, die sich in der Sterbehilfe stellen, gelöst? Sie sind es nicht. Hierzu als Beispiel ein Fall, den der Republik-Artikel «Überstürzter Abschied» vom 20.7.2021 thematisiert hat [1]: Die Familie eines Exit-Mitglieds stellte bei ­ihrem sterbewilligen Vater einen Wesenswandel fest und hatte das Gefühl, er fälle einen überstürzten Entscheid. Dafür war im Ablauf von Exit indes kein Platz, der Widerstand der Familie wurde als Nicht-loslassen-Können ­taxiert, der assistierte Suizid zu deren Befremden unbeirrt durchgeführt. Der Verein Ethik und Medizin Schweiz (VEMS) hat den Fall mit verschiedenen Expertinnen und Experten ­besprochen. Wir sind uns einig, dass hier zumindest einiges nicht optimal gelaufen ist. Exit übrigens hat unter anderem argumentiert, bereits die Mitgliedschaft in ihrem Verein bezeuge den Sterbewunsch – wobei gleichzeitig in der Mitgliederwerbung argumentiert wird, für die meisten sei eine solche lediglich eine Rückversicherung, sie würden in der ­Regel keinen Gebrauch vom Angebot machen.
Die Sterbehilfe ist heute zu einem Dienstleistungsbetrieb geworden. Da sie am Ende einer Krankheitsgeschichte steht, wirken Fälle wie der obige auf die Medizin zurück. So begrüs­senswert es deshalb ist, dass die FMH beiden Positionen gerecht werden will, denen, die ­dafür sind, und denen, die dagegen sind: Es ist damit nicht getan. Was nottut, ist, dass die ­offenen Fragen, die sich hier seit längerem stellen und die weder die FMH noch die SAMW beantworten, endlich angegangen werden. Unter anderem ist dies der Einbezug der Angehörigen bei Fällen mit Altersdepression. Diese können oftmals am besten unterscheiden zwischen momentaner Verstimmung und tatsächlichem Sterbewunsch. Des Weiteren fehlt eine Begleitforschung, ebenso eine behörd­liche Supervision der Ausbildung und der Arbeit der Sterbehelferinnen und Sterbehelfer. Der VEMS hat hierzu mit einem Team von Expertinnen und Experten bereits im ­Dezember 2017 einen Katalog offener Fragen erstellt [2]. Diese wären nun endlich anzu­gehen, im Sinne einer Medizin, die sich bis zum Tod für ihre ­Patientinnen und Patienten engagiert.