smarter medicine

«Top-5-Liste» für Gynäkologie und Geburtshilfe

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2022/35
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20934
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(35):1084-1085

Publiziert am 30.08.2022

Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) erarbeitet und veröffentlicht seit Jahren klinische Empfehlungen, Expertenbriefe, Leitlinien und Guidelines für Gynäkologinnen und Gynäkologen. Jüngst hat sie ihre Kommission für Qualitätssicherung beauftragt, «Choosing Wisely»-Empfehlungen für die Schweiz ­auszuarbeiten. Diese sind evidenzbasiert und beruhen auf einem breiten Konsens.
Die Publikation der Top-5-Liste ist ein weiterer Schritt in Richtung evidenzbasierter gynäkologischer Betreuung in der Schweiz. Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) möchte einerseits Kosten für nicht mehr zeitgemässe Prozeduren verhindern und andererseits Patientinnen vor unnötigen Eingriffen schützen. Weiter hofft die SGGG durch die allgemeine Zugänglichkeit dieser Liste den Dialog zu fördern, Patientinnen zu ­Fragen zu ermutigen und sie im Sinne eines Empowerments zu unterstützen.

Zur Entstehung dieser Liste

Angeregt durch die Publikationen anderer Fachgesellschaften, hat der Vorstand der SGGG ihrer Kommission für Qualitätssicherung (QSK) den Auftrag gegeben, eine Top-5-Liste zu erstellen. Sämtliche eingereichten Punkte wurden evaluiert und in mehreren Vernehmlassungsschritten zwischen Vorstand und QSK auf fünf reduziert. Im Anschluss haben die Mitglieder der QSK alle Punkte mit entsprechender Evidenz hinterlegt. Bei der vorliegenden Top-5-Liste handelt es sich um fünf gynäkologische Themen. Es wurden keine Themen aus der Geburtshilfe aufgegriffen, diese könnten aber Gegenstand in einer späteren Liste sein.
Die SGGG gibt folgende fünf Empfehlungen ab:

1. Keine routinemässige Antibiotikagabe bei unkomplizierter Blasenentzündung und asymptomatischer Bakteriurie.

Die weltweite Zunahme der Antibiotikaresistenzen ist ein grosses Problem, weshalb Antibiotika möglichst sparsam eingesetzt werden sollten. Die Spontanheilungsrate einer unkomplizierten Harnwegsinfektion (HWI) ist mit 50–70% hoch und nur 1–3% der HWI ­gehen unbehandelt in eine Pyelonephritis über. Ein unkomplizierter HWI mit Dysurie, Pollakisurie und suprasymphysären Schmerzen bedarf keiner Diagnostik und kann empirisch behandelt werden: viel trinken (spülen) und NSAR. Asymptomatische Bakteriurien sollen weder bei schwangeren noch bei nicht-schwangeren Frauen routinemässig gescreent und behandelt werden. Die asymptomatische Bakteriurie sollte einzig vor urogynäkologischen Eingriffen gesucht und behandelt werden. In einer Studie zur Behandlung der asymp­tomatischen Bakteriurie konnte gezeigt werden, dass unbehandelte Patientinnen weniger Rezidive und bei den nachgewiesenen E. coli eine tiefere Resistenzrate aufwiesen als jene mit asymptomatischer Bakteriurie, welche mit Antibiotika behandelt wurden. Ausserdem können Schwangerschaftskomplikationen (v. a. Frühgeburt) mittels Behandlung einer asymptomatischen Bakteriurie nicht vermieden werden.

Die Kampagne «smarter medicine»

Der Trägerverein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland», der nebst medizinischen Fach- und Berufsorganisationen auch von Patienten- und Konsumentenorganisationen unterstützt wird, möchte die Öffentlichkeit für die Themen der Über- und Fehlversorgung sensibilisieren. Die Kampagne knüpft an die erfolgreiche amerikanische Initiative «Choosing Wisely» an, die zum Ziel hat, nicht nur «kluge Entscheidungen» herbeizuführen, sondern auch die offene Diskussion zwischen Ärzteschaft, Patientinnen und Patienten und der Öffentlichkeit zu fördern. Weitere Top-5-Listen mit unnützen Behandlungen sind aktuell in Ausarbeitung oder stehen kurz vor der Publikation. Dabei stehen die Empfehlungen der Top-5-Listen auch in einer für Laien verständlichen Sprache zur Verfügung, um gemeinsame Entscheidungen zu unterstützen. Weitere Informationen zum Trägerverein und eine Übersicht über die bestehenden Top-5-Listen sind zu finden unter www.smartermedicine.ch.

2. Kein jährlicher zytologischer Abstrich im Rahmen der regelmässigen gynäkologischen Kontrollen.

Keine andere Krebserkrankung kann durch eine Vorsorgeuntersuchung so effektiv verhindert werden wie der Gebärmutterhalskrebs. Lange wurde ein jährlicher zytologischer Abstrich (sog. «Pap-Abstrich») empfohlen. Die neusten Forschungsergebnisse zeigen aber, dass ein Zeitintervall von drei Jahren zwischen den Screeninguntersuchungen im Alter von 21 bis 70 Jahren genügt. Ein längerer Abstand kann durch Studien nicht unterstützt werden – ebenso wenig ein kürzeres Intervall als alle drei Jahre, da es dadurch zu möglicher Übertherapie mit Folgen wie psychischem Stress, vaginaler Blutung, Infektion und ungünstigem Schwangerschaftsverlauf kommen kann.
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3. Keine routinemässigen Hormonabklärungen bei menopausalen Beschwerden.

Bei klinisch anhand von Symptomen und Amenorrhö diagnostizierter Menopause erübrigen sich Hormonspiegel. Hormonspiegel sollen erst zugezogen werden, wenn die Diagnose im Zweifel steht oder bei Nichtansprechen der Symptome auf Hormontherapie in der üblichen Dosierung zur Verifizierung der Absorption.

4. Keine unbegründete Behandlung von Myomen oder Gebärmutterentfernung wegen Myomen.

Uterine Myome sind sehr häufig und betreffen bis 70% der Frauen im Alter von 50 Jahren. Nur 20–50% der Myome sind symptomatisch und bedürfen einer Therapie. Die Therapie muss auf einer individuellen Basis ­beruhen unter Berücksichtigung der Symptome, der Lebensphase der Frau und eines allfälligen Kinderwunsches. Asymptomatische Myome bedürfen keiner Therapie, da das Risiko einer malignen Entartung ­äusserst gering ist und die Frauen bei fehlender Symptomatik keine Hysterektomie benötigen.

5. Keine operative Entfernung harmloser Ovarialzysten ohne akute Beschwerden.

Wenn keine Beschwerden bestehen, sollten harmlose Ovarialzysten, die bei einer Ultraschalluntersuchung entdeckt werden, nicht operativ entfernt werden. Die Einteilung der Ovarialzysten in benigne/harmlos, suspekt und maligne sollte nach den IOTA-Kriterien (International Ovarian Tumor Analysis) erfolgen.

Das Wichtigste in Kürze

• Die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) hat im Rahmen der Kampagne «smarter medicine» fünf Massnahmen definiert, auf die – unter gewissen Umständen – künftig verzichtet werden soll.
• Die fünf aufgeführten Interventionen, darunter etwa die operative Entfernung harmloser Ovarialzysten, nützen den Patientinnen nichts oder wenig, haben aber unerwünschte Aus- und Nebenwirkungen.
• Es ist ein zentrales Anliegen der SGGG, die hohe Qualität der Gynäkologie in der Schweiz sicherzustellen und gleichzeitig dazu beizutragen, dass Patientinnen vor unnötigen Behandlungen geschützt werden.
smartermedicine[at]sgaim.ch