Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin feiert

Organisationen
Ausgabe
2022/37
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20946
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(37):37-38

Affiliations
a Prof. Dr. med., ehem. Präsident SGI und Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften; b MScN , ehem. Präsidentin SGI, Leitung Pflege Intensivmedizin, Universitätsspital Zürich; c PD Dr. med., SGI Gründungsmitglied und ehem. Präsident SGI

Publiziert am 13.09.2022

50-Jahr-Jubiläum Bei der Gründung 1972 war noch nicht sicher, ob sich die Intensivmedizin als eigene Disziplin etablieren würde. Heute begeht die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) ihr Jubiläum. Möglich wurde das unter anderem durch die enge Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Pflege.
© Fabian Fiechter
Vor 50 Jahren haben sich zwei Dutzend Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen in Basel zusammengesetzt, um ein ganz junges medizinisches Gebiet für unser Land zu systematisieren und Regeln zur Betreuung von lebensbedrohlich kranken Patientinnen und Patienten zu erarbeiten. Dazu wurden die Grundlagen der Ausstattung und Organisation von Intensivstationen sowie einer spezifischen Weiterbildung für Pflegepersonen, Ärztinnen und Ärzte entworfen. Als Rahmen für diese Aufgaben gründeten sie 1972 die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI).

Die ersten Fachgesellschaften entstehen

Ende der 1960er- und in den frühen 1970er- Jahren war die Intensivmedizin Neuland und eine Herausforderung in vielerlei Hinsicht, nicht nur für die klinische Praxis. Es fehlten wissenschaftliche Grundlagen für vieles: Das Verständnis für gewisse akute Entgleisungen von lebenswichtigen Organfunktionen und für häufige Komplikationen nach medizinischen Eingriffen oder Unfällen hatte viele Lücken und Daten zu effizienten Therapieansätzen waren selten. Zur Verminderung dieser Defizite wurden zu dieser Zeit in verschiedenen Ländern erste Fachgesellschaften für Intensivmedizin gegründet – so zum Beispiel in den USA, Grossbritannien, Frankreich und der Schweiz. Zudem wurden ein paar spezifische Fachzeitschriften aus der Taufe gehoben, die Intensive Care Medicine in Europa und die Critical Care Medicine in den USA. Auch wissenschaftlich bewegte sich in den 1970er-Jahren einiges: Eine intensive Entwicklung der klinischen Forschung war auch in der Schweiz spürbar und hat besonders in den Bereichen der akuten Herz-Kreislauf-Probleme, der schweren Infektionskrankheiten und dem akutem Lungenversagen viel zu Fortschritten in der Therapie beigetragen.

Schwierige Anfänge

Der klinische Alltag in der Anfangszeit war nicht einfach. SGI-Gründungsmitglied PD Dr. med. Peter Carl Baumann erinnert sich: «Ich konnte mich um 1970 nicht auf etablierte intensivmedizinische Erfahrung stützen: Das «Handwerk» und die Werkzeuge mussten zunächst einmal erarbeitet werden. Fest zugeteiltes und speziell geschultes Intensiv-Pflegepersonal gab es noch nicht und Gleiches galt für die Assistenzärztinnen und -ärzte, die ihre Weiterbildung auch auf anderen Stationen ergänzten. Sehr rasch wurde aber die Notwendigkeit erkannt, das Intensiv-Pflegepersonal (und später auch das ärztliche Personal) systematisch weiterzubilden. Die wenigen zur Verfügung stehenden Apparate (Respiratoren, EKG-Monitore und Defibrillatoren) konnten ihre Aufgaben wegen beschränkter Anpassungsmöglichkeiten oder Störungsanfälligkeit nur ungenügend erfüllen. Eine enorme Entwicklung der technischen Möglichkeiten setzte dann aber nach der Etablierung der Intensivmedizin ein. Auch innerhalb des Spitals hatte die Intensivmedizin anfänglich mit Problemen zu kämpfen, da sie als Konkurrenz empfunden wurde und der Betrieb schon damals recht kostenintensiv war.»

Werte der Intensivmedizin

Gute Intensivmedizin basiert auf drei Grundwerten:
Effizientes Teamwork von spezifisch ausgebildeten Pflegefachpersonen, Ärztinnen und Ärzten
Medizinische Innovationen, welche die Behandlung und damit die Überlebenschancen verbessern
Anerkennen von Werten und Wünschen der Betroffenen für eine optimale (nicht maximale) Intensivtherapie.

Pioniere in der Teamarbeit

Die Gründung der SGI hat eine rasche Entwicklung dieses Bereichs in unserem Land eingeleitet. Richtlinien für eine qualitativ hochstehende Betreuung und für eine spezifische Weiterbildung wurden innert weniger Jahre festgelegt. Allerdings dauerte es noch fast 20 Jahre bis zur Anerkennung eines eigenen Facharzttitels. Die Entwicklung als eigenständiges Fachgebiet wurde von den «Muttergesellschaften» wie Chirurgie, Innere Medizin, Anästhesie und anderen mehrheitlich argwöhnisch beobachtet und als Abspaltung und Verlust empfunden. Dass in der SGI die Schulung der Kompetenzen in der Intensivmedizin und der Wille zur engen interdisziplinären Zusammenarbeit stark betont wurde, konnte diese negativen Haltungen vermindern.
Eine weitere Entwicklung war allerdings noch wegweisender. Gegründet im klassischen Sinne einer rein ärztlichen Gesellschaft für die damals jüngste Disziplin der Medizin, erkannte die SGI sehr schnell, wie essenziell die Teamarbeit für eine gute intensivmedizinische Betreuung ist. Sie realisierte den Zusammenschluss der zwei Berufsgruppen – Pflegende und Ärzteschaft – in einer Fachgesellschaft. Mit der frühen Definition von Teamwork, gemeinsamen Rahmenbedingungen zur Organisation der Intensivstationen, Qualitätsanforderungen und Weiterbildungsrichtlinien hat die Schweiz eine Vorreiterrolle in Europa und darüber hinaus für die Intensivmedizin. Dies wurde sicherlich durch die Dimension des Landes und eine eindrückliche Einigkeit von Intensivärzteschaft und Intensivpflegefachkreisen in allen wichtigen Fragen und bezüglich der Entwicklungsziele ermöglicht. Die fachliche Weiterbildung, gute klinische Forschung und eine Patientenbetreuung, die den ganzen Menschen in den Mittelpunkt stellt, sind fest im Zeitgeist der interprofessionellen Gesellschaft SGI verankert – Pflege und Arztberuf begegnen sich auf Augenhöhe. Davon profitiert auch die Forschung im Pflegesektor. Qualitative und quantitative Studien im interprofessionellen und interdisziplinären Bereich helfen mit, die Sicherheit und das Wohlbefinden der Intensivpatientinnen und -patienten zu fördern.

Optimale statt maximale Versorgung

In unserem Land hat sich die Intensivmedizin langsam aber sicher in den Kreis der medizinischen Fachgebiete, aber auch in die akademische Forschung und Lehre, eingegliedert. In der Klinik übernehmen ihre Vertreterinnen und Vertreter Verantwortung am Krankenbett und auch in den Leitungen unserer Krankenhäuser sowie in den medizinischen Fakultäten.
Auch in unserem (gut gestellten) Gesundheitssystem sind die personellen und materiellen Möglichkeiten vielerorts limitiert. Essenziell scheint uns, dass die Intensivmedizin ihre Mittel nicht für eine maximale, sondern eine optimale und damit sinnvolle Patientenbetreuung einsetzt. Die Schweiz braucht dazu vermutlich nicht mehr Intensivbetten, sondern in erster Linie eine starke Förderung der Motivation, der Ausbildung und der Arbeitsbedingungen für die Pflegeberufe. Für Pflegende sowie für Ärztinnen und Ärzte bleibt der Nachwuchs ein Grund zur Sorge.
Optimale Intensivmedizin bedeutet nicht mehr, sondern noch bessere Medizin, individuell ausgerichtet auf die Wünsche und Werte der einzelnen Patientinnen und Patienten. Diese an sich bekannten Erkenntnisse sind uns während der COVID-19-Pandemie eindrücklich vor Augen geführt worden.

Das Wichtigste in Kürze

Vor 50 Jahren wurde die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) gegründet. Die SGI erarbeitete ein Weiterbildungsprogramm für Pflegende und Ärztinnen und Ärzte sowie Grundlagen für die Ausstattung und Organisation von Intensivstationen.
Schon früh richtete sich die SGI interprofessionell aus und definierte gemeinsam mit der Pflege Rahmenbedingungen für die Organisation von Intensivstationen, Qualitätsanforderungen und Weiterbildungsrichtlinien.
Heute setzt sich die SGI insbesondere für die Förderung der Ausbildung und der Arbeitsbedingungen der Pflegeberufe in der Intensivmedizin ein, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Prof. Dr. med. Peter M. Suter
Ehem. Präsident SGI und SAMW
MScN Paola Massarotto
Ehem. Präsidentin SGI, Leitung Pflege Intensivmedizin USZ
PD Dr. med. Peter Carl Baumann
SGI Gründungsmitglied und ehem. Präsident SGI