«Die Verständigung funktioniert in der Musik ohne Worte»

Horizonte
Ausgabe
2022/3334
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20951
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(3334):1060-1061

Affiliations
Junior-Redaktorin der Schweizerischen Ärztezeitung

Publiziert am 17.08.2022

Von der Klinik in den Konzertsaal: Das nächste Benefizkonzert des Schweizer ­Medizinerorchesters steht an. Matthias Zürcher, Kinderarzt und Gründungsmitglied des Orchesters, erklärt, wie die Medizinerinnen und Mediziner die Zeit zum Üben finden – und weshalb sie dieses Mal für ein Kinderhospiz musizieren.
Matthias Zürcher was hat Sie dazu motiviert, das Orchester ins Leben zu rufen?
Seit einigen Jahren spiele ich zusammen mit Freunden aus der Schweiz im World Doctors Orchestra mit, vereinzelt auch im European Doctors Orchestra. Während einer intensiven Woche üben dort Medizinerinnen und Mediziner aus der ganzen Welt ein Konzertprogramm ein und spielen als Abschluss ein Konzert. Bei den Proben haben wir weitere Musizierende aus der Schweiz getroffen und uns gefragt: Warum gibt es so etwas nicht auch bei uns? Deshalb haben wir 2019 die Initiative ergriffen und das Schweizer Medizinerorchester gegründet.
Ihr Gründungskonzert konnten Sie trotz Pandemie im Frühling 2020 mit rund 40 Personen durchführen. Wie haben Sie so schnell Mitglieder gefunden?
Die Teilnehmerzahl ist tatsächlich schnell gewachsen. Freunde haben Freunde angefragt, so sind wir Stück für Stück grösser geworden. Und das ist auch ganz in unserem Sinn. Wir möchten immer offen ­bleiben für neue Mitglieder. Unser Orchester steht ­allen Medi­zinerinnen und Medizinern offen, die auf ­hohem ­Niveau ein Instrument spielen und klassische Musik lieben.
Der Name lautet bewusst «Schweizer Medizinerorchester». Haben Sie denn auch Leute aus der ganzen Schweiz?
Die Mehrheit kommt aus der Deutschschweiz, genauer gesagt aus der Region Bern. Aber wir haben auch viele Leute aus dem Wallis, der übrigen West- und Ostschweiz und sogar aus dem Tessin. Mediziner, die ein Blechblasinstrument spielen, sind ein rares Gut, es freut uns aber sehr, dass für unsere Konzerte treue Kollegen aus Deutschland anreisen. Wir finden es wichtig, die Zweisprachigkeit zu pflegen. Bei den Proben sprechen wir eine Mischung aus Deutsch, Französisch und natürlich ein bisschen Englisch. Das kommt auch noch auf den Dirigenten an. Glücklicherweise funktioniert die Verständigung in der Musik häufig gar ohne Worte.
Bei den Konzerten arbeiten Sie mit Berufsmusikerinnen und -musikern zusammen. Wie kam es dazu?
Es ist uns wichtig, professionelle Dirigenten zu haben. Jeder Dirigent bringt andere Ideen und Vorstellungen mit, was für uns spannend und lehrreich ist. Bis jetzt haben wir mit Philippe Bach, Kaspar Zehnder und Christopher Morris Whiting zusammengearbeitet und für das nächste Konzert konnten wir Johannes Schläfli gewinnen. Für die Stelle der Konzertmeisterin oder des Konzertmeisters und für die Solostücke wählen wir ebenfalls Berufsmusiker. Das ist für uns als Orchester sehr bereichernd und wir kommen mit jedem Konzert einen Schritt weiter. Sie merken: Wir sind durchaus ­ambitiös.
Dr. med. Matthias Zürcher ist Kinderarzt und arbeitet auf der Abteilung für pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Inselspital Bern. Ausserdem ist er Präsident des Schweizer Mediziner­orchesters (Foto: zVg).
Es kostet einiges an Geld, Berufsmusikerinnen und -musiker zu engagieren. Wie finanzieren Sie sich?
Wir haben zwei Einnahmequellen: Das sind zum einen die Mitgliederbeiträge und zum anderen finanzieren wir uns pro Konzert, also pro geplantem Projekt, über Sponsoren. Ziel ist, dass wir mit diesen Quellen all unsere Kosten für die Proben und das Konzert decken, damit wir einen möglichst grossen Anteil des Ticketverkaufes dem jeweiligen Benefizpartner spenden können.
Sind Ärztinnen und Ärzte besonders musikalisch?
Wenn man über die Grenze rausschaut, gibt es sehr viele Ärzteorchester, die auf sehr hohem Niveau spielen. Wenn man ein Instrument spielt, braucht es eine grosse Disziplin, um ein hohes Niveau zu erreichen. Ich glaube, Mediziner bringen diesen Willen, dranzubleiben, mit. Ich denke aber auch, dass viele Mitglieder aus Familien kommen, in denen ihnen die Musik sozusagen in die Wiege gelegt wurde.
Wie gelingt es, so viele bestimmt vielbeschäftigte Ärztinnnen und Ärzte an einem Ort zusammenzubringen?
Wir organisieren uns ähnlich wie die internationalen Orchester in Projekten. In der Regel treffen wir uns pro Projekt an drei Wochenenden. Die Mitglieder erhalten im Voraus die Noten und bereiten sich wirklich sehr gut vor. An den ersten beiden Terminen proben wir zuerst im Orchester und am zweiten Probenwochende dann jeweils noch mit den Solisten. Am dritten Wochenende schliessen wir das Projekt mit ein bis zwei Konzerten ab.
Für das nächste Konzert am 28. August haben Sie sich für Griegs Klavierkonzert in a-Moll und Tschaikowskis 5. Sinfonie entschieden. Wie legen Sie fest, welche Stücke eingeübt werden?
In der Regel entscheiden wir uns erst für einen Dirigenten und dann schauen wir, wo wir spielen wollen und wie gross das Orchester sein wird. Danach suchen wir gemeinsam ein Musikprogramm. Für das aktuelle Projekt haben wir Johannes Schläfli von der Zürcher Hochschule der Künste angefragt. Er hat uns die Werke vorgeschlagen und wir fanden: Das ist fantastische Musik, das wollen wir spielen.
Wie ist es zur Idee gekommen, immer Benefizkonzerte zu machen?
Es ist wunderschön, mit unserer Musik einen wohl­tätigen Zweck erreichen zu können. Wir wählen dabei bewusst lokal verwurzelte medizinische Orga­ni­sationen. Bei unserem zweiten Konzert in La Chaux-­de-Fonds im August 2021 haben wir für die Stiftung Les Perce-Neige gespielt, eine Organisation, die sich für schwerbehinderte Menschen im Kanton Neuenburg einsetzt, und beim dritten Konzert für die Kinderspitex Nordwestschweiz. Mit dem Konzert diesen Sommer werden wir die Stiftung allani Kinderhospiz unterstützen.
Yann Mingard / SMOMS
Wie sind Sie auf den Verein allani gekommen?
Darauf aufmerksam gemacht hat uns Eva Bergsträsser, eine Pionierin in der Kinderpalliativmedizin. Wir ­haben uns die Organisation angeschaut und waren ­begeistert. Diese Organisation baut mit dem Kinderhospiz etwas auf, was es so in der Schweiz noch nicht gibt. Allani ist in Bern, so ist es dazu gekommen, dass wir unser nächstes Konzert im Casino in Bern spielen werden.
Wollen Sie mit dem Ärzteorchester auch als Botschafter für Ihren Beruf auftreten?
Wir wollen eigentlich nicht Werbung für den Arzt­beruf machen, sondern mit unseren Benefizkonzerten neben der finanziellen Unterstützung vor allem auch ein Zeichen der Anerkennung setzen. Es gibt zahlreiche Organisationen in der Schweiz, die eine unglaublich wertvolle Arbeit in unserem Gesundheitssystem leisten, und dies zu einem grossen Teil unentgeltlich und von der Öffentlichkeit oft wenig wahrgenommen. Schwer kranke und behinderte Menschen werden jahrelang gepflegt und unterstützt, damit sie ein würdiges Leben führen können. Wenn es diese Institutionen nicht gäbe, dann würde unserer Gesellschaft viel fehlen. Wir Ärztinnen und Ärzte wollen Anerkennung und Dankbarkeit zeigen.