Welche Rolle soll der Staat bei der Digitalisierung einnehmen?

FMH
Ausgabe
2022/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20956
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(3132):961

Affiliations
Dr. med., Mitglied des Zentralvorstandes und Departementsverantwortlicher Digitalisierung/eHealth

Publiziert am 03.08.2022

Gleich mehrere wichtige politische Vorstösse im Bereich der Digitalisierung sind in der Herbstsession in den beiden Räten traktandiert. Hierin versteckt sich die Unzufriedenheit mit den Bemühungen des Bundes, die digitale Transformation im Gesundheitswesen vorwärtszubringen. Allen voran – Sie ahnen es bereits – soll der Bundesrat beauftragt werden, Massnahmen rund um das elektronische Patientendossier (EPD) zu ergreifen. Zwischen den Zeilen der Antragstexte lässt sich lesen, dass Parlamentarier und Parlamentarierinnen zunehmend fordern, der Bund solle zusätzliche Kompetenzen erhalten, um das Datenmanagement zentral steuern zu können. Begründet wird dies vor allem durch die Erfahrungen während der Covid-Pandemie, in welcher der in der Schweiz traditionell starke Föderalismus zu einer, wie viele meinen, Schwäche geworden sei [1].
Dabei ist die Rolle des Bundes bei der Digitalisierung in der Schweiz noch lange nicht geklärt. Die Diskussion darüber müsste in einer lebendigen Demokratie aber unbedingt geführt werden. Bereits mit dem Referendum zur umstrittenen e-ID-Gesetzesvorlage im letzten Jahr wurde die Frage aufgeworfen, wofür der Staat bei der Digitalisierung zuständig sein soll und was die Bürgerinnen und Bürger von ihm erwarten dürfen.
Nicht nur hierzulande galt lange Zeit die Auffassung, dass für die Digitalisierung in erster Linie privatwirtschaftliche Unternehmen zuständig sein sollten. In den USA wurden die Firmen von Elon Musk in den letzten Jahren mit zig Milliarden öffentlicher Gelder gefördert, damit Musk seine Automobil- und Weltraumflugideen umsetzen konnte. Auffällig ist, dass der Staat in den USA dabei nicht selbst in Aktion trat, sondern Unternehmen dafür «instrumentalisierte» [2].
Inwieweit dieses Vorgehen auch für die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen passend wäre, ist noch nicht abschliessend geklärt. Klar sind jedoch Tendenzen ersichtlich, die in diese Richtung weisen, beispielsweise wenn es darum geht, aus Effizienzgründen das EPD zu zentralisieren.
Einen völlig anderen Weg der Digitalisierung hat bisher Taiwan eingeschlagen. Taiwan hat eine äusserst bemerkenswerte Ministerin für Digitalisierung. Sie setzt darauf, Technologie in der Gesellschaft partizipativ und konstruktiv einzusetzen, wobei der Einzelne dabei nicht zwischen seiner Privatsphäre und seiner Zugehörigkeit zu einem grösseren System abwägen müssen soll. Ziel soll dabei die Demokratisierung der Technologie und der Daten sein und nicht deren Zentralisierung [3]. Technologie wird hier als Wert verstanden, der eine engagierte oder involvierte Gesellschaft ermöglichen soll.
Damit die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen partizipativ und konstruktiv umgesetzt und eingesetzt werden kann, sind wiederholte Standortbestimmungen aller Involvierten vonnöten. Eine solche Standortbestimmung ist auch der von der FMH seit drei Jahren durchgeführte Digital Trends Survey. Diese Umfrage holt die Nutzeneinschätzung und die Bedürfnisse der Ärzteschaft und der Bevölkerung gegenüber digitalen Gesundheitsanwendungen entlang der Patient Journey ab. Die in diesem Jahr letztmalig durchgeführte Umfrage beschäftigt sich mit digitalen Gesundheitsanwendungen im Bereich der Nachsorge und Prävention. Die Entwicklung neuer Technologien geht auch in diesem Bereich am «Ende der Behandlungskette» rasant vor sich. Deshalb sollten wir uns auch hier Gedanken darüber machen, welche Rolle der Staat einnehmen soll, um eine partizipative und konstruktive Digitalisierung zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten zu können.
3 Taiwan’s Digital Minister Audrey Tang Highlights Opportunities in Social Innovation | Asia Society: asiasociety.org/texas/taiwans-digital-minister-audrey-tang-highlights-opportunities-social-innovation