Ein unvergesslicher Skandal

Zu guter Letzt
Ausgabe
2022/3334
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20976
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(3334):1066

Affiliations
PhD, MS, Geschäftsführerin EMH

Publiziert am 17.08.2022

Die globale Alzheimer-Forschungscommunity sieht sich in diesen Tagen mit einem Fälschungsskandal konfrontiert. 2006 publizierte der französische Neurowissenschaftler Sylvain Lesné, Forscher an der University of Minnesota, USA, in der Fachzeitschrift Nature ein Bild eines bis dahin unbekannten Moleküls namens Aβ*56, dessen Existenz nun grundsätzlich in Frage steht. Es schien in Ratten Demenz auszulösen. Zu einer Zeit, in der immer noch mehrere Ideen zur Entstehung der Krankheit kursierten, untermauerte die Studie vermeintlich die Hypothese, dass amyloide Plaques im Gehirn Alzheimer entstehen lassen. Sie wurde in der Folge von anderen Forschenden rege ­zitiert. Seither manipulierte Lesné mutmasslich Abbildungen in weiteren 20 Publikationen. Die Untersuchungen dazu sind noch im Gang. Bis diese abgeschlossen sind, wird sich auch die University of Minnesota nicht zum Vorfall äussern.
Interessant und für EMH relevant erscheint mir in diesem Zusammenhang die Reaktion der Community. Sie illustriert, wie die Wissenschaft und das wissenschaft­liche Publizieren funktionieren.
Wichtige Exponenten im Feld konnten nämlich die Resultate von Lesné nicht reproduzieren und entschieden sich aus diesem Grund, den Resultaten für ihre ­eigene Forschung keine Beachtung zu schenken. Trotzdem publizierte niemand diesen Negativ­befund und viele Forschende zitierten die Studie wacker weiter. Die Wissenschaft basiert grundsätzlich auf Vertrauen. Man geht daher wohl davon aus, der Grund für ein nicht nachvollziehbares Resultat sei eher Unvermögen als Fehlverhalten. Eigenes Unvermögen oder das der anderen.
In einer Community, in der jede jeden kennt, ist es nicht ganz einfach, auf Fehler und Ungereimtheiten hinzuweisen. Zu viel hängt davon ab: die Karriere, das Renommee, und nicht zuletzt Forschungsgelder. Negative Resultate werden so kaum publiziert. Solche Artikel sind genauso aufwändig, aber weit weniger befriedigend als Positives, Neues.
Auch die Community, die ihre Arbeiten bei den Zeitschriften von EMH einreicht, ist überschaubar. Die Zeitschriften sind eine Plattform für Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz; eine Publikation ist vielleicht ­sogar eine Visitenkarte für andere Engagements. Für viele Nachwuchskräfte hängt ausserdem das Erlangen eines Facharzttitels von der Veröffentlichung eines Fallberichtes im Swiss Medical Forum oder in Primary and Hospital Care ab. Und auch hier gibt es positive wie negative Dynamiken, die wir als Verlagshaus wahrnehmen, von grossartiger Unterstützung bis versuchter Einflussnahme.
Um die Qualität der Artikel hoch zu halten, setzen wir in unseren Aktivitäten stark auf den regelmässigen Austausch mit den externen Fachredaktionen und ­einen sorgfältigen Peer-Review, auch wenn uns natürlich bewusst ist, dass dieser nicht ohne Schwächen ist.
Die wissenschaftlichen EMH-Zeitschriften sind Mitglieder von COPE, dem Committee on Publication Ethics. Entsprechend verpflichten wir uns bei EMH zur Transparenz und setzen bei unseren Publikationen auf konstruktive kritische Reviews von mehreren externen Personen. Für den Fall, dass wir dennoch mit wissenschaftlichem Fehlerverhalten konfrontiert werden sollten, gibt es genaue Abläufe, bis hin zum Mittel der Retraction, um zu verhindern, dass Manipulationen die Forschung behindern.
Als Verlag wollen wir möglichst nur wissenschaftlich Korrektes publizieren. Gleichzeitig möchten wir aber auch wissen, sollte etwas von uns Publiziertes nicht stimmen. Nur so können wir entsprechend handeln. In solchen Fällen kann man sich von einem unserer Editoren oder mir auch Anonymität zusichern lassen.
Mit diesen Massnahmen sind wir unseres Erachtens gut vorbereitet, um den unterschiedlichen Mechanismen im wissenschaftlichen Publizieren zu begegnen, allfälliges wissenschaftliches Fehlverhalten frühzeitig zu entdecken oder angemessen und ethisch darauf zu reagieren.
Oder was finden Sie in diesem Zusammenhang wichtig?
sandra.ziegler[at]emh.ch