Forschung gegen medizinische Über- und Fehlversorgung

Organisationen
Ausgabe
2022/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20990
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(39):37-38

Affiliations
Dr. med., Geschäftsführer «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland»

Publiziert am 27.09.2022

Forschungsgrant Der Verein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» kämpft gegen die medizinische Über- und Fehlversorgung in der Schweiz. Die Organisation hat zur besseren Erforschung dieses Missstands im Jahr 2021 ein eigenes Förderinstrument für Forschungsprojekte geschaffen und schreibt diesen nun erneut aus.
Unnötige Vitamin D-Messungen treiben die Gesundheitskosten in die Höhe.
© Jarun011 / Dreamstime
Unnötige Vitamin D-Messungen oder patientenzentrierte Kommunikation bei der Verschreibung von Antibiotika: Wie unnötige Behandlungen oder Untersuchungen reduziert werden können, zeigen die beiden letztjährig von «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» gekürten Projekte. «Weniger ist manchmal mehr» – nach diesem Motto möchte smarter medicine die Bevölkerung für das Thema der medizinischen Über- und Fehlversorgung im schweizerischen Gesundheitswesen sensibilisieren sowie dazu ermutigen, mitzuentscheiden. «Sowohl in der Diagnose wie in der Therapie werden zu oft unnötige Mittel eingesetzt mit möglichen Schäden – unnötig bedeutet leider nicht harmlos», sagt Prof. Dr. med. Henri Bounameaux, Präsident der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften (SAMW) und Vize-Präsident von smarter medicine.

Bedarf an zusätzlicher Forschung

Durch die Förderung von Forschung zur optimalen Patientenbetreuung möchte der Trägerverein einen weiteren Beitrag zu einer hohen Behandlungsqualität in der Schweiz leisten und vergibt jährlich einen Forschungsgrant zur zielgerichteten Erforschung von low value care. «Forschungsprojekte, welche Massnahmen gegen die medizinische Über- und Fehlversorgung untersuchen, sind rar», sagt Geschäftsführer Dr. med. Lars Clarfeld. «Dies wollen wir mit dem geschaffenen Fördermittel ändern». Die Forschenden PD Dr. med. Carole E. Aubert, MSc, Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, und Berner Institut für Hausarztmedizin der Universität Bern, und Dr. med. Andreas Plate, Institut für Hausarztmedizin, Universität und Universitätsspital Zürich, erhielten die ersten Forschungsgrants des Vereins. Die beiden Forschungsprojekte zeigen exemplarisch, wie unnötige Behandlungen vermindert werden können bzw. wie Patientinnen oder Patienten sowie deren Angehörige gezielt in den Entscheidprozess miteinbezogen werden können («Shared Decision Making»).
PD Dr. med. Carole Aubert, MSc, und Dr. med. Andreas Plate, MSc, erhielten den ersten Forschungsgrant von «smarter medicine» im Jahr 2021.
© smarter medicine / Ramon Lehmann

Gemeinsame Entscheidungen

Nur in seltenen Fällen ist eine Vitamin-D-Messung sinnvoll, da sie nur geringen Einfluss auf den Entscheid zur Supplementierung mit Vitamin D hat. Tatsächlich sind die Vorteile einer zusätzlichen Vitamin-D-Zufuhr ohne vorliegenden Risikofaktor, wie zum Beispiel eine verminderte Nährstoffaufnahme, unklar. Das zeigen internationale Studien. «Nichtsdestotrotz wird das Vitamin D im Blut sehr oft gemessen, was zu einer Supplementierung mit unklarem Nutzen sowie zu unnötigen Gesundheitskosten führen kann», sagt PD Dr. med. Carole E. Aubert. Sie untersucht nun, wie häufig die unnötige Messung und Verschreibung von Vitamin D bei älteren Patientinnen und Patienten in den Schweizer Universitätsspitälern Bern und Lausanne vorkommt und welchen Einfluss zwei verschiedene Interventionen auf das Ausmass der unnötigen Messung und Supplementierung von Vitamin D in der untersuchten Patientengruppe hat.
Dr. med. Plate untersucht mit seinem Forschungsprojekt «The ‘Smarter Decision’ Study», welche positiven Effekte ein Informationsblatt von «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» zur unnötigen Verschreibung von Antibiotika bei Infektionen der oberen Atemwege hat. Es soll Patientinnen und Patienten auf verständliche Art vermitteln, dass Antibiotikatherapien für diese Infektionen in der Regel nicht nötig sind, da diese Infektionen überwiegend durch Viren ausgelöst werden.

Für Patientinnen und Patienten

Neben der Forschungsförderung engagiert sich der gemeinnützige Verein auch stark in der Sensibilisierung von Patientinnen und Patienten zum Thema. Dies aktuell mit einer nationalen Kampagne. Daneben publizieren medizinische Fachgesellschaften und Gesundheitsberufsverbände unter «smarter medicine» sogenannte Top-5-Listen mit je fünf medizinischen Massnahmen, die in der Regel unnötig sind. Inzwischen wurden rund 20 Top-5-Listen veröffentlicht – jeweils eine Liste für Fachpersonen und eine Liste für Laien. Dabei sind die Empfehlungen als Leitlinien zu verstehen, die eine gemeinsame Entscheidungsfindung der medizinischen Fachpersonen mit ihren Patientinnen und Patienten beziehungsweise deren Angehörigen über das weitere Vorgehen bewirken soll. Auch das Partnernetzwerk bestehend aus Spitälern, Fachgesellschaften und weiteren Organisationen wachst stetig: 36 Gesundheitsorganisationen, darunter 15 Universitäts-, Kantons- und Regionalspitäler, medizinische Fachgesellschaften und andere Organisationen wie zum Beispiel die FMH haben sich für die Ziele von smarter medicine verpflichtet und setzen damit ein starkes Zeichen für die optimale Patientenversorgung gegenüber ihren Mitgliedern, Patientinnen und Patienten sowie Regulatoren.

Über smarter medicine

Der Trägerverein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» setzt sich seit seiner Gründung in 2017 für die optimale Patientenbetreuung ein, indem die medizinische Über- und Fehlversorgung in der Schweiz vermieden wird. Getragen wird der Verein durch die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM), der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), dem Verband der Physiotherapeutinnen und -therapeuten Physioswiss, dem Schweizerischen Verband der Berufsorganisationen im Gesundheitswesen (svbg) sowie Konsumenten- und Patientenorganisationen.
Mehr Informationen zu «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» finden Sie unter dem Link www.smartermedicine.ch

Ausschreibung Forschungsgrant 2022

Auch in 2022 schreibt der gemeinnützige Verein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» den Forschungsgrant in der Höhe von bis zu 40 000 CHF aus, welche an mindestens ein Projekt vergeben wird. Bitte beachten Sie, dass nur Projekte berücksichtigt werden, welche die Low-Value-Versorgung in der Schweiz untersuchen, zum Beispiel den Nutzen von Top-5-Listen oder anderen Massnahmen von smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland oder Choosing Wisely International. Alle Arten von Projekten (Interventionen, Beobachtungsstudien, Re-Analysen bestehender Daten, qualitative Studien, etc.) – ob von Nicht-Medizinern oder anderen Fachleuten des Gesundheitswesens durchgeführt – sind willkommen. Personen, die in der letztjährigen Ausschreibung leer ausgegangen sind, können ihre Projekte in der diesjährigen Ausschreibung erneut einreichen.
Frist: 30. September 2022, 23:59 Uhr
Weitere Informationen finden Sie unter www.smartermedicine.ch