Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die ärztliche Weiterbildung

SIWF
Ausgabe
2022/38
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21016
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(38):36-39

Affiliations
a MA, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Consumer Behavior ETH Zürich; b Dr., Senior Researcher, Consumer Behavior ETH Zürich; c PD Dr. med., MME, Präsidentin SIWF; d Prof. Dr. phil., Professor für Consumer Behavior, ETH Zürich

Publiziert am 20.09.2022

WeiterbildungDie COVID-19-Pandemie stellte das Schweizer Gesundheitswesen vor grosse Herausforderungen und wirkte sich auch auf die Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte aus. So wurde ein Teil der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung kurzfristig von ihren Abteilungen abgezogen und auf COVID-Intensivstationen eingesetzt, während andere wiederum in Kurzarbeit geschickt wurden [1].
Um die pandemie-bedingten Einschränkungen in der ärztlichen Weiterbildung zu regeln, hat das SIWF im Jahr 2020 sogenannte Notstandsregelungen erlassen [2]. In diesen ist definiert, wie Ausfälle von Kongressen oder Facharztprüfungen zu handhaben sind, wie Kurzarbeit als Weiterbildungszeit angerechnet werden kann oder wie bei kurzfristig geänderten Weiterbildungsperioden vorzugehen ist. Durch die erlassenen Massnahmen konnte den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung sowie auch den Weiterbildungsstätten in administrativen Belangen entgegengekommen werden.
Offen bleibt weiterhin die Frage nach dem Ausmass der Folgen der Pandemie auf die inhaltliche Weiterbildung oder Weiterbildungszeit der Beteiligten. Auf lange Sicht können auch kurzfristige Einschränkungen in der Weiterbildung dazu führen, dass den Ärztinnen und Ärzten wichtige theoretische und praktische Grundlagen für die Facharztausbildung fehlen, oder dass sich die Weiterbildungszeit verlängert.
Um das Ausmass der Auswirkungen der Corona Pandemie auf die ärztliche Weiterbildung schweizweit zu untersuchen, wurde das Thema in den Modulfragen 2021 der jährlich durchgeführten Befragung der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sowie der Leiter und Leiterinnen der Weiterbildungsstätten aufgegriffen.

Methode und Fragebogen

In der Umfrage von 2021 erhielten alle 12 738 gemeldeten Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung einen Fragebogen, wovon 8922 diesen retournierten (Rücklaufquote: 70%). Im Rahmen der Erhebung der statistischen Grundlagen 2021 nahmen zudem 1556 Leiterinnen und Leiter einer Weiterbildungsstätte an der Befragung teil (Rücklaufquote: 96%). Die Vorgehensweise sowie die Rücklaufquote entsprachen derjenigen der letzten Jahre [3].
Im Modul «COVID-19-Pandemie» wurden die Teilnehmenden gebeten, einzuschätzen, wie die Pandemie die eigene Weiterbildung oder die Weiterbildung an deren Weiterbildungsstätte allgemein beeinflusst hat. Weiter wurde gefragt, ob die Pandemie den Arbeitsaufwand und die zur Verfügung stehende Zeit für die Weiterbildung reduziert oder erhöht hat. Die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung wurden zusätzlich gebeten anzugeben, ob Kongresse und Prüfungen abgesagt oder verschoben wurden, ob sich ihre Weiterbildungszeit durch die Pandemie verlängern wird und ob die Vermittlung von Weiterbildungsinhalten durch die Pandemie erschwert wurde.
Während der Pandemie fielen Prüfungen aus oder wurden verschoben, etwa in der Chirurgie.
© BildCopyright

Ergebnisse

Die Pandemie hat die Weiterbildung negativ beeinflusst: Über die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (n = 4849) gaben in der Befragung 2021 an, dass die COVID-19-Pandemie ihre Weiterbildung sehr negativ (8%) oder eher negativ (47%) beeinflusst hat.Von den Leiterinnen und Leitern der Weiterbildungsstätten waren knapp zwei Drittel der Meinung, dass die Pandemie die Weiterbildung an deren Weiterbildungsstätte sehr negativ (10%) oder eher negativ (54%) beeinflusst hat. Nur rund 10% der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung und der Leiterinnen und Leiter fanden, dass die Pandemie einen (eher) positiven Einfluss auf die Weiterbildung hatte.
4 von 5 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (78%, n = 6662) stimmten der Aussage zu oder eher zu, dass die Vermittlung von Weiterbildungsinhalten durch die Pandemie erschwert wurde. Weiter gab ein Grossteil der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung an, dass sie voll (57%) oder eher (19%) davon betroffen waren, dass Kongresse abgesagt oder verschoben wurden. Bei den Prüfungen war dies bei 26% der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung voll oder eher der Fall.
Die Weiterbildungszeit wird sich für ein Teil der Personen in Weiterbildung verlängern: Rund ein Fünftel der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (n = 1731) geht davon aus, dass sich ihre Weiterbildungszeit durch die Pandemie verlängern (8%) oder eher verlängern (14%) wird. Am höchsten ist dieser Anteil bei der Fachrichtung Orthopädische Chirurgie. Dort ist fast die Hälfte (48%) der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sich sicher oder eher sicher, dass sich ihre Weiterbildungszeit verlängern wird. Ebenfalls hoch zeigt sich dieser Anteil bei der Fachrichtung Chirurgie (40%) und Gynäkologie (38%). Bei der Fachrichtung Kinder- und Jugendmedizin sind nur 7% der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung der Meinung, dass sich ihre Weiterbildungszeit sicher (1%) resp. eher sicher (6%) verlängern wird.
Abbildung 1: Antworten der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (n = 8814) zum Einfluss der COVID-19-Pandemie auf ihre Weiterbildung und Antworten der Leiterinnen und Leiter der Weiterbildungsstätten (n = 1547) zum Einfluss der Pandemie auf die Weiterbildung an ihrer Weiterbildungsstätte.
Abbildung 2: Antworten der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung auf die drei folgenden Aussagen: «Die Vermittlung von Weiterbildungsinhalten wurde durch die Pandemie erschwert (zum Beispiel wegen digitalem Unterricht)», «Ich bin/war davon betroffen, dass Kongresse abgesagt oder verschoben wurden», «Ich bin/war davon betroffen, dass Prüfungen abgesagt oder verschoben wurden». N reicht von 8526 bis 8536.
Abbildung 3: Antworten der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung auf die folgende Aussage: «Meine Weiterbildungszeit wird sich durch die Pandemie verlängern» aufgeteilt nach Fachrichtungen der Weiterbildungsstätte und Total.

Diskussion

Die vorliegenden Resultate zeigen, dass der Einfluss der Corona Pandemie auf die ärztliche Weiterbildung sowohl von den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung als auch von den Leiterinnen und Leitern der Weiterbildungsstätten im Durchschnitt als eher negativ wahrgenommen wurde. Insbesondere die Vermittlung von Weiterbildungsinhalten wurde von den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung durch die Pandemie bedingt als erschwert empfunden. Ein Grossteil der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung war davon betroffen, dass Kongresse abgesagt oder verschoben werden mussten. Bei den Prüfungen traf dies auf einen kleineren, aber dennoch substanziellen Anteil zu. Besonders in den Fachrichtungen Orthopädische Chirurgie, Chirurgie sowie auch in der Gynäkologie mussten Prüfungen überdurchschnittlich oft abgesagt oder verschoben werden. Das SIWF hat versucht, pragmatische Lösungen für die ausgefallenen Kongresse und Prüfungen zu finden. Unter anderem wurden durch Änderungen des Prüfungsreglements Online-Prüfungen zugelassen.
Ausserdem erliess das SIWF Empfehlungen zum digitalen Lernen mittels Online-Veranstaltungen und E-Learning-Programmen in der Fortbildung [4].
Rund ein Fünftel der Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung rechnet mit einer pandemiebedingten verlängerten Weiterbildungszeit. In den Fachrichtungen Orthopädische Chirurgie und Chirurgie sind die Anteile der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, welche von einer verlängerten Weiterbildungszeit ausgehen, am höchsten. In diesen zwei Fachrichtungen müssen die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung einen Operationskatalog mit Mindestanforderungen an operativen Tätigkeiten während ihrer Weiterbildungszeit erfüllen. Durch das Verschieben von nicht dringlichen Eingriffen war es jedoch nur erschwert möglich, diesen Vorgaben nachzukommen.
Seit 2007 erfolgt durch das SIWF und die FMH ein Monitoring der Länge der ärztlichen Weiterbildung [5]. Dabei zeigen sich unterschiedliche Tendenzen. So hat sich die Weiterbildungszeit in einigen Gebieten wie der Orthopädischen Chirurgie verlängert, in anderen Fachrichtungen wie der Kinder- und Jugendmedizin ist diese hingegen kürzer geworden. Über alle Fachgebiete gemittelt ist die Weiterbildungszeit von 7,5 im Jahr 2007 auf 7,0 Jahre im Jahr 2021 zurückgegangen. Die nächsten Jahre werden nun zeigen, ob die Pandemie kurz- oder mittelfristig einen negativen Einfluss auf diesen Trend Richtung kürzere Weiterbildungszeit haben wird.
Die Resultate dieser Umfrage verdeutlichen, dass die Corona Pandemie die ärztliche Weiterbildung nicht nur kurzfristig beeinflusst hat, sondern dass auch langfristige Auswirkungen zu erwarten sind. So wird ein zahlenmässig nicht zu unterschätzender Anteil an Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung ihre Weiterbildung nicht nach Regelzeit beenden können. Dies kann den Anteil an Ärztestellen (verfügbaren und nachfolgend abschliessenden) beeinflussen, was wiederum die ärztliche Versorgung beeinträchtigen könnte. Durch die teilweise abgesagten Weiterbildungen und Kongresse oder Kurse konnten die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zudem wichtiges theoretisches und praktisches Wissen nicht erwerben.
Ein Grossteil der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung hat zwei Jahre der gesamthaften Weiterbildungszeit unter den Auswirkungen der Corona Pandemie absolviert. Im Sinne einer qualitativ hochstehenden Weiterbildung ist es wichtig, dass die durch die Pandemie fehlenden theoretischen und praktischen Erfahrungen der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung nachgeholt werden. Dabei sind innovative Lerninstrumente wie medizinische Simulationen hilfreich. Diese können der Vermittlung von allgemeinen Kompetenzen, wie das Beherrschen von Notfallsituationen oder das Überbringen von schlechten Nachrichten mithilfe von Simulationspuppen beziehungsweise Schauspielpatienten und -patientinnen, dienen.
Es ist notwendig, dass langfristige Auswirkungen der Pandemie auf die Weiterbildung sowohl von den Entscheidungsträgern als auch von den Beteiligten beobachtet werden und, falls nötig, angemessen reagiert wird.
ETH Zürich
Institute for Environmental Decisions (IED)
Consumer Behavior
CHN J 76.3
Universitätstrasse 22
CH-8092 Zürich
1 Jakob D, Kündig P, Thomasin R, Stettler S, Brodmann, M. Ärztliche Weiter- und Fortbildung unter Corona: Es muss weitergehen. Schweiz Ärzteztg. 2021:102(18): 602–4.
2 Hänggeli C. Notrecht in der Weiterbildung? Wie das SIWF auf die Herausforderungen von Corona reagierte. Schweiz Ärzteztg. 2020;101(31-32): 924.
3 Luchsinger L, Berthold A, Bauer W, Brodmann M, Siegrist M. Vom Studium in den Alltag als Arzt und Ärztin in Weiterbildung: Resultate der Umfrage 2021 zur Beurteilung der Weiterbildung. Schweiz Ärzteztg. 2021;102(29-30):944–7.
4 SIWF. Digitales Lernen (Online-Veranstaltungen, E-Learning-Programme) in der ärztlichen Fortbildung:Empfehlungen des SIWF zuhanden der Fachgesellschaften. 2021. URL: https://www.siwf.ch/files/pdf24/empfehlungen_e_learning_d.pdf. [07.07.2022]
5 SIWF/FMH-Ärztestatistik. 2007-2021. Grafik zur Weiterbildungszeit auf Anfrage verfügbar.