Kommentar

Ärztinnen und Ärzte für ein Gesundheitswesen mit Augenmass

Aktuell
Ausgabe
2022/37
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21059
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(37):34-35

Affiliations
a Dr. med., Präsidentin der FMH; b Dr. med., Präsidentin der Ärztegesellschaft des Kantons Bern; c Leiterin Kommunikation FMH; d Leiter Presse- und Informationsdienst der Ärztegesellschaft des Kantons Bern

Publiziert am 13.09.2022

Gesundheitspolitik Das Parlament plant Gesetzesvorlagen, welche die Versorgung von Patientinnen und Patienten gefährden. Dagegen wehren sich zahlreiche kantonale Ärztegesellschaften mit einer politischen Kampagne. Der Fokus: Ärztinnen, Ärzte und ihre Patienten sind Verbündete. Gemeinsam sprechen sie aus, was sie vom Gesundheitswesen erwarten.
Die Politik droht in einer Weise in das Gesundheitssystem einzugreifen, welche die Versorgung von Patientinnen und Patienten gefährdet. Vor allem ältere, chronisch- und mehrfacherkrankte Patienten würden darunter leiden. Auch Ärztinnen und Ärzte würden zu den Verlierern dieser Reformen zählen. Kostenziele, unter welchem Namen sie auch immer daherkommen, untergraben das Vertrauen zwischen Arzt und Patient. Das ist fatal, weil eine Patientin so nicht mehr sicher sein kann, ob ihre Ärztin eine bestimmte Therapie ablehnt, weil sie die Therapie als nicht geeignet betrachtet, oder weil die Ärztin zum Sparen gezwungen ist.
In dieser alarmierenden Situation haben kantonale Ärztegesellschaften beschlossen, eine politische Kampagne zu führen. Ärztinnen und Ärzte wehren sich mit aller Kraft gegen Massnahmen, die eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung ihrer Patienten zur Folge haben. Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin, Arzt und Patient oder Patientin ist wesentlich in der Medizin und muss geschützt werden. Ärztinnen und Ärzte setzen sich für ein Gesundheitswesen ein, das den Patienten dient. Die Kampagne unterstreicht auch: Ärztinnen und Ärzte setzen sich für eine kosteneffektive Medizin ein. Reformen müssen den Patientinnen und Patienten dienen. Die Kampagne zeigt so auf, dass Ärztinnen, Ärzte und ihre Patienten politisch Verbündete sind. Ärztinnen und Patientinnen sprechen aus, was sie vom Gesundheitswesen erwarten.

Kampagne startete Ende August

Auf die Herbstsession des eidgenössischen Parlaments hin werden in Schweizer Medien Politinserate geschaltet. Konzipiert wurde diese Kampagne zusammen mit dem erfahrenen Politwerber Hermann Strittmatter, GGK. Er begleitet seit vielen Jahren nationale Abstimmungskampagnen. Zusammen mit der Ärztegesellschaft des Kantons Bern hat er die Kampagne vor drei Jahren entwickelt. Angesichts der weitgreifenden Reformvorhaben wurde sie jüngst aktualisiert. Eine Anregung, die weiblichen Formen «Ärztinnen» und «Patientinnen» in den Dialogtexten und im Claim der Inserate häufiger zu verwenden, wurde umgesetzt (siehe dazu die nebenan abgebildeten Dialogsujets).
Ärztegesellschaften, die sich an der Kampagne beteiligen, können ihre kantonalen und/oder regionalen Logos im Absender der Inserate verwenden.
Mehr und mehr kantonale Ärztegesellschaften übernehmen die Kampagne. Die FMH leistet Unterstützung. In einer späteren Etappe erfolgt der Einsatz von Social Media. Die Kampagne ist nur ein erster Schritt auf einem langen Weg hin zu einem Gesundheitswesen mit Augenmass. Vor allem geht es darum, dass Ärztinnen und Ärzte nach medizinischen Kriterien entscheiden können, welche Therapie für einen Patienten richtig ist.
Kommentar
Ärztliche Erfahrung einbringen
Der Kostendruck auf die öffentliche Hand nimmt zu. Dieser überträgt sich auf diejenigen Bereiche, die teuer sind – und das ist die Gesundheitsversorgung in der Schweiz. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier versuchen deshalb, das Kostenwachstum zu steuern. Das ist ihre Aufgabe. Unsere ärztliche Aufgabe ist es, den politischen Entscheidungsträgern zu zeigen, welche Massnahmen helfen und welche schaden – anhand unserer praktischen Erfahrung im direkten Kontakt mit den Patientinnen und Patienten. Das ist das Ziel der Kampagne, die durch die Berner Ärztinnen und Ärzte initiiert wurde.
Den medizinischen Fachpersonen Kostenziele vorzugeben, tönt ebenso verlockend, wie unnötige Behandlungen zu verhindern. Politisch vorgegebene Kostenziele schiessen aber am Ziel vorbei und unterstützen einen Trend, welcher die Qualität der medizinischen Behandlungen verschlechtert und somit den Patientinnen und Patienten schadet. Kostenziele können nur mit hohem Verwaltungsaufwand und pauschalisiert errechnet werden. Bereits jetzt muss eine junge Spitalärztin den grössten Teil ihrer Zeit hinter dem Computer verbringen statt am Bett des Patienten, obwohl wir wissen, dass eine gute therapeutische Beziehung die beste Medizin darstellt. Pauschalisierte Kostenziele ignorieren, dass Menschen keine Maschinen, sondern Individuen sind, und Patientinnen und Patienten je länger je mehr auf eine auf sie persönlich abgestimmte Behandlung angewiesen sind. Ob eine Behandlung notwendig ist oder nicht, entscheidet die Ärztin in der Begegnung mit dem Patienten gemeinsam. Was für eine Person richtig und notwendig ist, kann für die zweite falsch und schädlich sein. Gerade deshalb spricht man von ärztlicher Kunst und von «shared decision making».
Zwei Hauptmotive bewegen Studierende, sich für das Medizinstudium zu entscheiden: der Wunsch, Menschen zu helfen und naturwissenschaftliches Interesse. Die ärztliche Kunst verbindet die Fähigkeit der Pflege der therapeutischen Beziehung zu den Patientinnen und Patienten mit den wissenschaftlich abgestützten intellektuellen und handwerklichen Fähigkeiten, die in einem langen Studium und einer mehrjährigen Weiterbildungsphase erlernt werden. Um ihre hohe Motivation für diesen Kernberuf halten zu können, brauchen insbesondere die jungen Ärztinnen und Ärzte gute berufliche Rahmenbedingungen und motivierte Vorbilder. In den letzten Jahren wurde der Berufsalltag zunehmend belastet mit ineffizientem Verwaltungsaufwand und berufsfremden politischen Eingriffen in die ärztliche Tätigkeit.
Es muss uns gelingen, der Bevölkerung aufzuzeigen, dass Patientinnen und Patienten und medizinische Fachpersonen im Zentrum jeder Gesundheitsversorgung stehen. Jede und jeder von uns kann schon morgen selbst betroffen sein, und hat gemäss Bundesverfassung ein Recht auf eine qualitativ hohe Gesundheitsversorgung, auch wenn sie teuer ist. Dafür brauchen die Gesundheitsfachpersonen Strukturen, die sie in ihrer Professionalität stärken. Dafür stehen wir ein!
Dr. med. Yvonne Gilli, Präsidentin der FMH
Close up caring doctor holding older man patient hands
Kantonale Ärztegesellschaften setzen sich mit einer politischen Kampagne für eine qualitativ hochstehende Patientenversorgung ein.
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