Zur Einführung des Anordnungsmodells

Briefe an die Redaktion
Ausgabe
2022/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21070
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(39):24

Publiziert am 27.09.2022

Zur Einführung des Anordnungsmodells

Bringt der Wechsel vom Delegations- zum Anordnungsmodell Vorteile für die Versorgung der Patienten, für die Therapien, die Kosten und die betroffenen Psychologinnen, Psychotherapeuten sowie Psychiaterinnen?
Die erhöhte Anordnungs- und Antragsfrequenz erschwert den Zugang zu einer Therapie und erhöht die Patientenunsicherheit. Die Tendenz zu Kurztherapien und damit zu Psychopharmaka wird gefördert, während Langzeittherapien unattraktiv werden. Ob so mehr Therapien durchgeführt werden können, ist zu bezweifeln. Seitens der Psychiater dürften es sogar weniger werden.
Der Tarif wird voraussichtlich um 150.–/Std. statt wie bisher rund 120.–/Std. betragen. Dazu kommen eine Mengenausweitung auf bisher nicht abrechenbare Positionen und die Mehrleistungen der Psychiater. Die Gesamtkosten werden voraussichtlich also ansteigen.
Die Psychologinnen bleiben von Psychiater abhängig, und ihre therapeutische Freiheit wird noch mehr eingeschränkt. Zudem dürften die Mehreinnahmen die Fixkosten für die Selbständigkeit kaum aufwiegen. Sieht so eine Besserstellung aus?
Psychologinnen in Weiterbildung bzw. ohne Berufsausübungsbewilligung dürfen nur noch in autorisierten Zentren arbeiten, was einerseits zu erhöhter Arbeitslosigkeit führen, andererseits das Therapieangebot zusätzlich reduzieren dürfte. Psychotherapeuten mit verschiedenem gesundheits- und sozialberuflichem Hintergrund, die mit Zusatzausbildungen bisher delegiert arbeiten durften, wird die Berufsausübung künftig verunmöglicht. Zumindest diese beiden Gruppen sollten weiterhin im Delegationsmodus arbeiten dürfen.
Und schliesslich wird den Psychiaterinnen neben Beurteilung und Kontrolle ein schlecht honorierter administrativer Mehraufwand aufgebürdet, der zu einer Reduktion ihrer eigenen therapeutischen Tätigkeit führen wird.
Die Eingangsfrage muss also verneint werden: Das Anordnungsmodell bringt kaum Vor-, dafür umso mehr Nachteile. Statt die Durchführung von Therapien allen verfügbaren Kräften weiterhin zu ermöglichen, schränkt es vielmehr den Zugang dazu ein. Es erstaunt deshalb, dass die an der Ausarbeitung beteiligten Berufsverbände zu einem derartigen Fehlkonstrukt beitragen konnten.
Dr. med. Matthias Gurtner, Bern