Woher all die Zeit nehmen?

Editorial
Ausgabe
2022/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21102
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(39):3

Publiziert am 27.09.2022

30 Prozent – dies ist der Anteil an der Arbeitszeit, die stationären Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz von Ihrer Arbeitszeit bleibt, um sich ihrer Kernaufgabe zu widmen, nämlich der Betreuung von Patientinnen und Patienten. Dies hebt die Ärztestatistik 2021 der FMH deutlich hervor.
Dass die Zeit einfach zu knapp ist, zeigt auch eine Interviewstudie aus dem Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV). Die eng getakteten Schichten, inklusive der Übergaben, lassen den Weiterzubildenden kaum Spielraum in der Aufteilung des «Zeitkuchens», wie unser Autor Reto Krapf auf Seite 42 moniert. Vor allem gegen Ende einer Schicht fühlen die Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte, dass sie unter anderem die Betreuung von Patientinnen und Patienten sowie deren Familien reduzieren oder vernachlässigen müssen.
Die unbefriedigende Situation erzeugt Frust. Überdies kann die Lage auch gefährlich werden. Hand aufs Herz: Wann haben Sie sich das letzte Mal gefragt, ob Sie in der Eile bei der letzten Patientin respektive dem letzten Patienten nicht etwas übersehen haben?
Was kann man dagegen unternehmen? Den administrativen Aufwand abbauen geht fast nicht, und der wirtschaftliche Druck dürfte ebenfalls weiter zunehmen. Es sind also originelle Lösungen gefragt. Eben solche präsentieren wir in dieser Ausgabe. Gelungene Beispiele sind etwa das Sprechzimmerplus und das Café Med. Diese sind weit mehr als medizinische Versorgungsstationen. Es sind Treffpunkte, an denen man zusammenkommt und in Ruhe über die Anliegen der Patientinnen und Patienten spricht, aber auch über Gott und die Welt diskutieren kann. Wie solche Modelle funktionieren und was sich daraus vielleicht für die eigene Praxis lernen lässt, erläutert der Hintergrund ab Seite 18.
Zeit nehmen sollten sich Ärztinnen und Ärzte nicht nur für ihre Patientinnen und Patienten, sondern auch für den medizinischen Nachwuchs. Dieser will gut ausgebildet sein, um die Qualität der Gesundheitsversorgung hoch zu halten. Bei der Ausbildung kommt es neben der Zeit auch auf die Qualität der Lehrperson an, wie Jan Breckwoldt, Kurt Albermann, Andrea Meienberg vom SIWF schreiben (ab Seite 28). Die frohe Botschaft lautet: Auch lehren ist lernbar. Man muss sich aber, Sie ahnen es schon, die Zeit dafür nehmen.
George Sarpong
Leitender Chefredaktor EMH Schweizerischer Ärzteverlag
george.sarpong[at]
emh.ch