Fit im Alter

Editorial
Ausgabe
2022/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21146
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(41):3

Publiziert am 11.10.2022

Ob auf dem Rennvelo oder auf dem Mountainbike: Radfahren ist ein anstrengender Sport. Als Jugendlicher konnte ich dennoch nicht genug davon bekommen und mit 19 war ich davon überzeugt, ich müsse Mountainbike-Profi werden. Nach der ersten Saison stand bereits fest, dass meine Leistungen für Achtungserfolge genügen, ich es aber kaum auf das Podest schaffen würde. Heute sind die meisten Erinnerungen an diese Zeit verblasst. Was mir aber immer noch präsent ist, sind die Teilnehmenden der Wettrennen in der Altersgruppe der Pensionäre. 72-jährige Biker, die an einem vorbeiziehen, wie dazumal Lance Armstrong an Jan Ullrich.
Seither ist es mein Wunsch, im Alter ebenfalls so fit zu sein. Ein realistisches Ziel. Die Lebensqualität in der Schweiz ist hoch, die Gesundheitsversorgung gilt als vorbildlich und – sehr erfreulich – auch in der Altersmedizin tut sich viel. So in der Erforschung und Berücksichtigung von Frailty, einem geriatrischen Syndrom, das sich unter anderem durch verminderte Funktionsfähigkeit und -reserve verschiedener physiologischer Systeme charakterisiert. Die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen dazu ist in den letzten 20 Jahren exponentiell gestiegen. Einen aktuellen Stand der Entwicklung bietet der Übersichtsartikel ab Seite 38.
Die Chancen dafür, dass ich im Alter fit sein und vor allem bleiben werde, stehen wissenschaftlich betrachtet also gut. Doch die Erhaltung der Gesundheit im Alter hängt massgeblich auch mit der Gesundheitsversorgung zusammen. Da scheint zurzeit in den Sternen zu stehen, ob man mich bei Krankheit oder nach einem (Bike-)Unfall rasch und umfassend wird behandeln können. Denn unser Gesundheitssystem leidet unter einem nie dagewesenen Fachkräftemangel.
Gemäss dem Human Development Index der Vereinten Nationen ist die Schweiz das offiziell am höchsten entwickelte Land der Welt, aber in unseren Spitälern können Patientinnen und Patienten wegen des Fachkräftemangels nicht gepflegt werden, Operationen müssen verschoben und sogar Abteilungen geschlossen werden. Das ist mehr als nur ein Fachkräftemangel. Das ist ein zivilisatorischer Rückschritt! Diesen müssen wir aufhalten. Wie das gelingen kann, zeigt unser Hintergrund-Artikel ab Seite 12. Die darin genannten Beispiele stimmen mich hoffnungsvoll, dass ich in 30 Jahren in einem voll besetzten Spital von motivierten und gut gelaunten Pflegekräften umsorgt werde.
George Sarpong
Leitender Chefredaktor EMH Schweizerischer Ärzteverlag
george.sarpong[at]emh.ch