Der Menschenfreund

Porträt
Ausgabe
2022/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21164
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(43):76-77

Publiziert am 25.10.2022

NachrufEin präzis denkender Wissenschaftler, ein belesener Gesprächspartner, ein Mann, der Herz und Verstand vereinte. Das war Ambros Uchtenhagen. Nun ist der Mitbegründer der Schweizer Drogenpolitik im Alter von 94 Jahren gestorben. Ein Rückblick.
Er war einer der wichtigsten Wegbereiter der Schweizer Drogenpolitik: Der Name Ambros Uchtenhagen ist eng verknüpft mit Bildern der offenen Drogenszene auf dem Platzspitz in Zürich. Mit der Not, die Drogenabhängige in Zürich und in der ganzen Schweiz in den 1980er Jahren betraf. «Ambros wusste, dass eine neue Vision nötig war: Drogenabhängige sind nicht Kriminelle, sondern suchtkranke Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Und es ist ihm gelungen, das der Bevölkerung zu erklären.» So fasst Thomas Zeltner eine der zentralsten Leistungen von Ambros Uchtenhagen zusammen. Zeltner traf 1991 als frisch gewählter Leiter des Bundesamts für Gesundheit erstmals mit Uchtenhagen zusammen: «Ambros hat von uns den Auftrag bekommen, einen Forschungsplan für die heroingestützte Behandlung von Suchtkranken aufzusetzen.»
Der Ruf nach der neuen Behandlungsmethode war von Emilie Lieberherr, der Stadträtin von Zürich, gekommen. Sie suchte nach einem Ausweg, als die Zustände der Drogenszene in der Stadt untragbar wurden. Ambros Uchtenhagen war für die Prüfung und Evaluation des Projekts zuständig und konnte bald belegen, dass es Wirkung zeigte. Damit trug er massgeblich dazu bei, die breite Einführung der heroingestützten Therapie von Schwerstabhängigen zu ermöglichen. Weg von einer repressiven Haltung hin zu einer therapeutischen Begleitung. Zeltner erinnert sich: «Ambros hat immer versucht, das Thema von einer emotionalen, humanistischen Seite anzugehen und es dann mit Taten und Fakten zu hinterlegen.»

Der Mensch im Zentrum

Diese Besonnenheit scheint Ambros Uchtenhagen ausgezeichnet zu haben. Das bestätigt auch Toni Berthel: «Ambros war überlegt und ruhig und konnte seine Überzeugungen klar vertreten.» Das habe Glaubwürdigkeit geschaffen – gegenüber der Politik und der Fachwelt. Der Psychiater hatte Uchtenhagen zum ersten Mal getroffen, als er selbst noch Student war und bei den von Uchtenhagen geleiteten Sozialpsychiatrischen Diensten hinein schnupperte.
Berthel betont einen weiteren Verdienst von Ambros Uchtenhagen: «Er hat viel dazu beigetragen, dass man wegkommen konnte von den grossen Kliniken hin zu dezentralen Systemen.» Uchtenhagen hatte den Sozialpsychiatrischen Dienst an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich aufgebaut. Er war Gründer und Mitglied der Interessensgemeinschaft für Sozialpsychiatrie Zürich und Präsident der von ihm gegründeten Schweizerischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie.
© Rüffer & Rub
Uchtenhagen scheute keine Herausforderungen, brach Denkmuster auf und überschritt Grenzen. Das zeigt schon ein Blick auf seinen Lebenslauf. Ursprünglich hatte der gebürtige Basler Philosophie an der Universität Zürich studiert. Erst im Anschluss daran wandte er sich der Medizin zu und absolvierte ein zweites Studium. Letztlich promovierte er in beiden Fächern.
Erste Erfahrungen in der Psychiatrie hatte Uchtenhagen im Burghölzli gesammelt, der Psychiatrischen Universitätsklinik, wo er von 1959 bis 1970 zuerst als Assistenzarzt und später als Oberarzt tätig war. Später wandte er sich ganz der Sozialpsychiatrie zu und war von 1976 bis 1995 Professor für Sozialpsychiatrie an der Universität Zürich.

Schon immer Experte

Doch worauf gründete sein Engagement für Suchtkranke? Weder Zeltner noch Berthel wissen, wann Ambros Uchtenhagen angefangen hatte, sich für Drogenabhängigkeit und Suchtkranke zu interessieren. Im Gespräch mit seinen Weggefährten wirkt es beinahe, als sei er schon immer Experte dafür gewesen. Er war auf nationaler und internationaler Ebene als Berater tätig, unter anderem in der Expertenkommission zu Drogenabhängigkeit und Alkoholproblemen der Weltgesundheitsorganisation. Und nach seiner Emeritierung 1995 gründete und leitete er das Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung. Bis zu seinem Tod blieb er dem Institut als Präsident und Vizepräsident der dazugehörigen Stiftung verbunden. «Er war bis zur letzten Sitzung vor seinem Tod dabei», sagt Thomas Zeltner, der von Uchtenhagen in die Stiftung berufen worden war und 2017 das Präsidium übernommen hatte.
Auch die Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin hatte Uchtenhagen mitgegründet, der Toni Berthel als Präsident vorsteht. Er sagt: «Ambros hat uns bei der Gründung unterstützt und uns geholfen, das Thema in die Medizin hineinzutragen.» Nicht nur in den von Ambros Uchtenhagen gegründeten oder mitgegründeten Gruppen wird seine Arbeit weitergetragen. Auch das Vier-Säulen-Modell der Schweizer Drogenpolitik bestehend aus Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression zeugt nachhaltig von seinem Wirken.
Die Drogenpolitik hat Ambros Uchtenhagen denn auch bis zu seinem Tod beschäftigt. In den vergangenen Jahren arbeite er an einem Buch mit dem Titel «30 Jahre Schweizer Drogenpolitik». Viele seiner Weggefährten aus Wissenschaft und Politik haben einen Beitrag dafür geschrieben. Die Veröffentlichung konnte er nicht mehr erleben – das Buch wird im November erscheinen.

Der heimliche Maler

Eine zweite Leidenschaft begleitete Ambros Uchtenhagen bis ins hohe Alter: die Malerei. Sie sei seine grosse Faszination und sein Hobby gewesen, sagt Thomas Zeltner. Uchtenhagen selbst beschreibt es auf seiner Website so: «Seit meiner Kindheit habe ich gezeichnet, gemalt, es war ein elementarer Drang, ein unersättlicher Eros, und Teil der Bewältigung dessen, was einem im Leben widerfährt.» Für Zeltner spiegelt sich auch in Uchtenhagens Bildern dessen besonnener Charakter: «Seine Bilder sind abstrakt, aber stark strukturiert. Er hat sich auch in der Malerei nicht wild, sondern konzentriert geäussert.» Lange Zeit malte Uchtenhagen nur für sich, erst 2016 zeigte er seine Gemälde der Öffentlichkeit an einer Vernissage. Im selben Jahr verstarb seine Frau Lilian Uchtenhagen-Brunner nach 60 gemeinsamen Ehejahren. Das Paar hatte drei adoptierte Kinder.
Als Humanist wird Ambros Uchtenhagen häufig bezeichnet. Einer, dem die Menschen am Herzen lagen und der auf Unterstützung und Therapie setzte statt auf Druck. Als belesene Person mit weitem Horizont. Ein Mann, der geschätzt wurde und bei dem es sich lohnte, den Menschen hinter dem Wissenschaftler kennenzulernen. Gestorben ist Ambros Uchtenhagen am 10. September. Für alle, die von ihm Abschied nehmen möchten, findet am 29. Oktober um 16 Uhr eine Gedenkfeier im Grossmünster in Zürich statt. In der Stadt also, in der alles begann.

Gedenkfeier

Am 29. Oktober um 16 Uhr findet die Gedenkfeier für Ambros Uchtenhagen im Grossmünster in Zürich statt.