In memoriam Johan Cullberg (1934–2022)

Forum
Ausgabe
2022/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21236
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(5152):22

Publiziert am 21.12.2022

Nachruf Der schwedische Psychiater Johan Cullberg ist am 14. Juni 2022 im Alter von 88 Jahren in Stockholm verstorben. Er gehörte zu den Vorreitern eines stärker auf die menschliche Beziehung ausgerichteten Ansatzes in der Psychiatrie. Trotz seiner bedeutenden Arbeiten traf er damit in Fachkreisen nicht überall auf Verständnis.
Johan Cullberg wurde am 6. Januar 1934 im schwedischen Uppsala geboren. Seine prägende Jugenderfahrung war die Betreuung seines schizophreniekranken Bruders. Er beschloss, Medizin zu studieren und Psychiater zu werden.
© Daniel Frank / Unsplash
Anlässlich seiner Doktorarbeit über die verschiedenen, durch die Antibabypille hervorgerufenen Symptome bei Frauen, entstand ein fruchtbarer Schriftverkehr mit Prof. Manfred Bleuler.
Einige wenige Vorreiter, darunter Johan Cullberg, befürworteten einen stärker auf die menschliche Beziehung ausgerichteten Ansatz in der Psychiatrie. Als Anhänger dieser Strömung wurde er Psychoanalytiker – entgegen dem in der schwedischen Psychiatrie vorherrschenden biologisch-pharmakologischen Ansatz. Er musste lange kämpfen.
Er forschte über die Sektorisierung der psychiatrischen Dienste, deren unbestreitbare positive Auswirkungen er nachweisen konnte. Eine weitere Forschungsarbeit beschäftigte sich mit der interdisziplinären Erstbetreuung von Jugendlichen mit psychotischen Störungen, die als skandinavisches Modell bekannt wurde und zweifellos den Ansatz darstellt, den er sich für seinen Bruder gewünscht hätte.

Leiden als Motor der Kreativität

Neben seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Büchern über Psychosen sowie einer Abhandlung über dynamische Psychiatrie mit beeindruckender Auflage, die auch in den sogenannten paramedizinischen Kreisen geschätzt wird, hat Johan Cullberg unter dem Titel «Kris och Utveckling» («Krise als Entwicklungschance») auch einen Ratgeber für die breite Öffentlichkeit verfasst, in dem menschliches Leiden als kreativitätsfördernder Faktor für jedes Individuum beschrieben wird. Das Buch wurde ein Bestseller.
Er beschrieb unter diesem Aspekt das Leben und die schöpferische Kraft namhafter schwedischer Autoren, darunter Dagerman, Fröding und Strindberg. Sein humanistischer Ansatz und sein tiefes Verständnis des menschlichen Daseins erreichten nicht nur Literaturschaffende, sondern auch die breite Öffentlichkeit.
Die dank der grossen Auflagen seiner Bücher eingenommenen Mittel ermöglichten es dem Verlag Natur & Kultur in Stockholm, eine nach Cullberg benannte Stiftung zu gründen, die Auslandsstipendien für Psychiatriestudierende vergibt.

Internationales Ansehen

Trotz seiner hochinnovativen Forschungsarbeiten und bedeutenden Publikationen wurde er von seinen Fachkollegen nie zum Professor ernannt – was mit institutionellen Dogmen verbundene Rivalitäten und Konflikte widerspiegelt. Den Titel erhielt er schliesslich auf Veranlassung der Regierung.
Im Laufe der Jahre wurde Johan Cullberg zum international renommierten Nestor der Psychiatrie in Schweden.
Denjenigen von uns, die das Privileg hatten, Johan persönlich kennenzulernen, war dieser beispielhaft bescheidene, tiefgründige Denker ein Freund im nobelsten Sinne der Wissenschaft. Er wird uns sehr fehlen.
Göran Kjellberg
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Genf

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