Kinderschutz: Ein Aspekt kommt zu kurz

Briefe an die Redaktion
Ausgabe
2022/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21262
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(47):23

Publiziert am 22.11.2022

Kinderschutz: Ein Aspekt kommt zu kurz

Die Autorinnen schildern Aufbau, Abläufe und Vorteile einer Kinderschutzgruppe sehr gut und geben einen Einblick in die konkrete Fallarbeit. Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Kinderschutzgruppe sehr viele Fälle innerhalb des Gesundheitswesens behalten und auch lösen kann.
Angesichts des Titels kommt jedoch ein essenzieller Aspekt der Detektivarbeit zu kurz: Am Anfang muss immer eine forensisch korrekte Dokumentation sämtlicher, auch banal erscheinender Verletzungen stehen. Erst diese Beweisaufnahme erlaubt es, Zweitmeinungen einzuholen und Verletzungen eventuell später in einem veränderten Kontext neu einzuordnen. Zudem sind ohne diese Beweismittel den Behörden und Fachleuten, welche im Falle einer Meldung das Geschehene nachweisen müssen, oft die Hände gebunden. Dort, wo die Kompetenz für eine solche Dokumentation fehlt, sollten Pflegende, welche eine Weiterbildung in «forensic nursing» besucht haben (sicher eine gute Investition für sämtliche Kinderkliniken), oder Rechtsmediziner hinzugezogen werden.
Eine zweite Bemerkung gilt der Meldung selbst. Seit Einführung der eidgenössischen Strafprozessordnung sind direkte Meldungen an die Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) äusserst restriktiv geregelt. Ohne Entbindung kommen solche Meldungen praktisch nur in Notsituationen mit akuter Gefährdung und fehlenden Alternativen in Frage. Meldungen sollten deshalb immer zuerst an die kantonale Erwachsenen- und Kinderschutzbehörde (KESB) gehen, welche nötigenfalls ihrerseits die Polizei und/oder Strafverfolgungsbehörden einschalten kann.
Dr. med. Marc Bollmann, Chefarzt, Institut für Rechtsmedizin Graubünden, Chur