Einbindung des chirurgischen Fachgebietes mehr als notwendig (mit Replik)

Briefe an die Redaktion
Ausgabe
2022/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21265
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(48):22

Publiziert am 30.11.2022

Einbindung des chirurgischen Fachgebietes mehr als notwendig (mit Replik)

Es ist Herrn Walder und den Präsidenten der SSAPM zu danken, dieses wichtige Thema in der von mehr als 130 000 Fachpersonen gelesenen SÄZ & SMF fundiert, strukturiert und mit klaren Zielvorstellungen versehen publiziert zu haben. Die in diesem Beitrag angesprochenen Zielvorstellungen und Empfehlungen sind entsprechend der Demografie und der damit verbundenen zunehmenden Anzahl an Hochrisikopatienten notwendig. Allerdings fehlt in dieser Ausarbeitung der Hinweis, dass neben dem Fachgebiet Anästhesiologie/Intensivmedizin und Perioperative Medizin eine Einbindung und Sensibilisierung des chirurgischen Fachgebietes mehr als notwendig ist. Auch wenn die Initiative «Enhanced Recovery After Surgery» verschiedener chirurgischer Fachgebiete insbesondere in grossen Zentren zunehmend Einzug findet, so kann eine Umsetzung der perioperativen Medizin nur in enger Zusammenarbeit beider im Spital tätigen Fachgebiete realisiert werden. Der eher nur schleppende teils auch fehlende Einzug des vom Fachbereich Anästhesiologie und Intensivmedizin lancierten perioperativen „Blood Patient Managements“ mag ein gutes Beispiel dafür sein, dass eine intensive Einbindung des chirurgischen Fachgebietes versäumt oder zu wenig intensiviert wurde. Daneben sollte nicht unerwähnt sein, dass die notwendige Forderung nach der Schaffung von spezifischen, permanenten postoperativen Strukturen (wie Intermediäre Care, Einbindung von Geriatern in den Behandlungspfad et cetera) in der aktuell angespannten gesundheitsökonomischen Situation nicht einfach zu realisieren sein wird und ein Umdenken in unserem Gesundheitssystem notwendig sein wird.
Prof. Dr. med. Werner Baulig, Forch

Replik auf «Einbindung des chirurgischen Fachgebietes mehr als notwendig»

Wir danken dem Kollegen für seinen Leserbrief zu unserem Artikel. Er wirft einen kritischen Blick auf das aktuelle perioperative Management mit relevanten Fragen zur Interdisziplinarität, Implementation und Ökonomie.
Bezüglich der Interdisziplinarität teilen wir die Meinung des Kollegen voll und ganz. Die perioperative Medizin weist viele interdisziplinäre Aspekte auf, die eine exzellente Zusammenarbeit mit den interventionellen Fachgebieten verlangt. Fachlich gut ausgebildete perioperative Mediziner können die medizinischen Probleme von Hochrisikopatienten während der perioperativen Periode stabilisieren und Probleme reduzieren. Wo nötig können sie, dank des gesamtheitlichen Blicks, die Fachspezialisten zielgerichtet in eine Gesamtbehandlung integrieren.
Die perioperative Medizin wurde in verschiedensten europäischen Ländern entwickelt, in der Schweiz jedoch eher spät als medizinischer Fortschritt wahrgenommen. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass die Implementierung, wie das genannte Beispiel der perioperativen Anämiebehandlung, erst spät begonnen hat. Um den Outcome der Hochrisikopatienten nachhaltig zu verbessern, braucht es sicher noch deutlich mehr Forschung, um besser die relevantesten Interventionen in der perioperativen Medizin und damit deren Implementation zu definieren.
Interessanterweise entwickelte sich die perioperative Medizin zuerst in Ländern mit staatlichen Gesundheitssystemen (Grossbritannien, skandinavische Länder) mit limitierten Budgets und Ressourcen. Durch ihre einheitliche Datenerfassung konnte gezeigt werden, dass es in der perioperativen Periode noch ein Verbesserungspotenzial gibt. Alle perioperativen Ansätze bei Hochrisikopatienten zielen auf eine Verminderung des Schweregrades der Komplikationen, und damit auf eine Verminderung der Inanspruchnahme von personalintensiven Strukturen (zum Beispiel Intensivmedizin), komplexen diagnostischen und therapeutischen Interventionen, Rehabilitation oder Rehospitalisation. Eine leistungsfähige perioperative Medizin kann einen wichtigen Beitrag zur ökonomischen Nutzung von kostenintensiven Strukturen und Interventionen leisten. Dieser Ansatz ergibt auch einen direkten Mehrwert für Hochrisikopatienten: eine verbesserte Lebensqualität während und nach dieser vulnerablen Periode.
Bernhard Walder, Urs Eichenberger, Michael Ganter