Auf den Punkt

Wie die Antibiotikaverschreibung verbessert werden kann

News
Ausgabe
2022/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21266
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(47):8-9

Publiziert am 22.11.2022

Antimikrobielle ResistenzNeue Interventionsstudien zeigen, dass die Verschreibungspraxis bei Antibiotika verbessert werden kann – wenn Ärztinnen und Ärzte gezielte Unterstützung durch Antibiotic-Stewardship-Programme und diagnostische Tests erhalten.
Wie schnell und gefährlich sich die Problematik der Antibiotikaresistenzen entwickelt, hängt wesentlich vom Antibiotikagebrauch in der Humanmedizin ab. Eine gute Verschreibungspraxis ist deshalb nicht nur für den Behandlungserfolg entscheidend, sondern auch mit Blick auf die langfristige Wirksamkeit dieser für die moderne Medizin zentralen Medikamente.
Doch gemäss Studien werden in der Schweiz zu viele Antibiotikagaben als unsachgemäss eingestuft, auch wenn das Land diesbezüglich im internationalen Vergleich sehr gut dasteht. Es gilt deshalb, den Blick auf das vorhandene Verbesserungspotenzial zu richten. Dieses haben mehrere Projekte des Nationalen Forschungsprogramms «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) des Schweizerischen Nationalfonds ausgelotet.

Interventionsstudien in Spitälern

Zwei Projekte haben Interventionen in Spitälern erprobt. Im einen boten Infektiologinnen und Infektiologen Schulungen an, prüften wöchentlich die Verschreibungspraxis der Ärztinnen und Ärzte und gaben ihnen direkte Rückmeldungen. Im anderen erhielten Ärztinnen und Ärzte in den hauseigenen Patientenakten ihrer Spitäler Behandlungsleitlinien angezeigt. Wichen sie von diesen ab, mussten sie dies in der Patientenakte begründen. Beide Interventionen führten zu einer besseren Verschreibungsqualität: Es wurden weniger kritische Antibiotika verwendet. Die Reduktion des Antibiotikagebrauchs war hingegen bei beiden Interventionen gering. Das zeigt, dass langfristig verankerte Stewardship-Programme die Verschreibungspraxis in Spitälern kontinuierlich verbessern können, jedoch keine grossen Sprünge von dieser Art Interventionen zu erwarten sind.

Effekte in der ambulanten Medizin

Grossen Erfolg hatte ein Projekt, in dem Hausärztinnen und -ärzte bei Verdacht auf Lungenentzündung einen Procalcitonintest durchführten, der zwischen bakteriellen und viralen Infekten differenzieren hilft. Durch den Einsatz des Tests gaben die Ärztinnen und Ärzte rund ein Drittel weniger Antibiotika bei Atemwegsinfektionen, ohne dass sich dies negativ auf das klinische Outcome ausgewirkt hätte. Aufgrund dieser Ergebnisse hat die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie die Anwendung des Procalcitonin-Tests in ihre Leitlinien zum Behandlungsmanagement von Lungenentzündungen aufgenommen. Die breite Umsetzung hängt nun davon ab, ob die – erwiesenermassen kosteneffektive – Anwendung kassenpflichtig wird.
In einem weiteren Projekt liessen Forschende über 1500 Hausärztinnen und -ärzten alle drei Monate anonymisiert eine Rückmeldung zu ihren Verschreibungen zukommen. Zudem informierten sie diese – ebenfalls anonymisiert – zu Beginn der Studie über die Resistenzlage und den Antibiotikaverbrauch anderer Arztpraxen in ihrer Region. Innerhalb von zwei Jahren führte dies zu keiner Verbesserung der Verschreibungspraxis. Doch im Rahmen des Projekts entwickelten die Forschenden die Grundlagen für ein Monitoring der Antibiotikaverschreibung in der Grundversorgung. Ein solches wäre eine wichtige Grundlage, um den Effekt von Interventionen in der ambulanten Medizin zu messbar zu machen.

Drei Kernempfehlungen

Die Resultate bestätigen insgesamt, dass die Antibiotikaverschreibung in der Schweiz verbessert werden kann. Dazu müssen Ärztinnen und Ärzte gezielte und effiziente Hilfsmittel erhalten. Das Nationale Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz» empfiehlt, 1) langfristige Antibiotic-Stewardship-Programme in Spitälern nach definierten Kriterien des Nationalen Zentrums für Infektionsprävention (Swissnoso) und unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse aus dem NFP 72 umzusetzen, 2) in der Grundversorgung eine nationale Strategie zur Förderung einer guten Antibiotikaverschreibung zu entwickeln und den Antibiotikagebrauch systematisch zu erheben, 3) die Zulassungsverfahren für neue Diagnostika zu beschleunigen und deren Anwendung in der Praxis angemessen zu erstatten.
Mitarbeit: Joachim Frey, Präsident der Leitungsgruppe des NFP 72
Dr. med. Noémie Boillat-Blanco
Infektiologin am Universitätsspital Lausanne (CHUV) und Mitglied der NFP-72-Arbeitsgruppe «Optimized use of antibiotics and behavior changes».
Nicht zu wenig, nicht zu viel. Forschende suchen nach Lösungen, um die sachgemässe Abgabe von Antibiotika zu fördern.
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