Neue Bestimmungen bei genetischen Untersuchungen

Aktuell
Ausgabe
2022/4950
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21302
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(4950):26-29

Affiliations
Dr. iur., Juristin Abteilung Rechtsdienst FMH

Publiziert am 07.12.2022

GenetikSeit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen im Jahr 2007 kam es zu grossen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten im Bereich genetischer Untersuchungen. In der Folge beauftragte das Parlament den Bundesrat, die geltenden gesetzlichen Bestimmungen mit Bezug zum technologischen und medizinischen Fortschritt zu überprüfen.
Am 15. Juni 2018 verabschiedete das Parlament das revidierte Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG). Nationalrat und Ständerat nahmen das revidierte Gesetz in der Schlussabstimmung einstimmig an.
Das Ausführungsrecht – dazu zählt die Verordnung über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMV) und die Verordnung über die Erstellung von DNA-Profilen im Zivil- und Verwaltungsbereich (VDZV) – wurde ebenso revidiert.
Das revidierte Gesetz und das Ausführungsrecht traten zusammen am 1. Dezember 2022 in Kraft. Ziel des Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen am Menschen ist, in Kongruenz mit den wissenschaftlichen Fortschritten, die Menschenwürde und die Persönlichkeit von betroffenen Personen zu schützen, missbräuchliche genetische Untersuchungen und die missbräuchliche Verwendung genetischer Daten zu verhindern sowie die Qualität der genetischen Untersuchungen und der Interpretation ihrer Ergebnisse sicherzustellen.
Genetische Untersuchungen beim Menschen unterliegen speziellen Bestimmungen, die beachtet werden müssen.
© Vchalup / Dreamstime

Wichtigste Änderungen

«Das revidierte Gesetz regelt nun nahezu alle genetischen Untersuchungen. Neu unterliegen auch genetische Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs sowie genetische Untersuchungen von nicht erblichen Eigenschaften dem Gesetz. Ausgenommen bleiben beispielsweise genetische Untersuchungen, die im DNA-Profil-Gesetz geregelt sind oder in den Geltungsbereich des Humanforschungsgesetzes fallen» [1].

Struktur des neuen Gesetzes

Das neue GUMG unterscheidet zwischen Untersuchungen im medizinischen und ausserhalb des medizinischen Bereichs.
Geregelt wird unter welchen Voraussetzungen genetische und pränatale Untersuchungen beim Menschen durchgeführt werden dürfen:

Grundsätze

Grundsätze wie unter anderem das «Diskriminierungsverbot» [2], die «Zustimmung und Aufklärung bei genetischen Untersuchungen», das «Recht auf Information», das «Recht auf Nichtwissen» und die «Vermeidung von Überschussinformationen» werden im Gesetz geregelt.

Zustimmung und Aufklärung

Aus juristischer Sicht sind die «Zustimmung» [3] und die «Aufklärung bei genetischen Untersuchungen» [4] wichtige Punkte zum Schutz der betroffenen Person. Dabei geht es um die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechtes. Eine betroffene Person kann einer genetischen und pränatalen Untersuchung nur dann zustimmen, wenn sie die Information verstanden hat und ausreichend über Zweck, Art und Aussagekraft der Untersuchung informiert wurde. Das bedingt, dass die Aufklärung bzw. die genetische Beratung, die im Kontext von klinisch-diagnostischen Überlegungen und klinischen Untersuchungen steht, durch eine dafür qualifizierte Fachärztin bzw. einen dafür qualifizierten Facharzt durchgeführt wird.
Die Aufklärungspflicht dient aber nicht nur dem Schutz der freien Willensbildung der Patientin oder des Patienten bzw. der betroffenen Person, sondern auch dem Schutz seiner körperlichen Integrität. Die medizinische Behandlung ohne ausreichende qualifizierte Aufklärung ist gemäss Rechtsprechung eine Körperverletzung. «Ein zu Heilzwecken vorgenommener ärztlicher Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten ist widerrechtlich, sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund – insbesondere die Einwilligung des ausreichend aufgeklärten Patienten – vorliegt» [5]. Allein die betroffene Person ist grundsätzlich befugt, über den Zweck des Eingriffs bzw. der genetischen Untersuchung – vorausgesetzt einer verständlichen und hinreichenden Aufklärung – zu entscheiden.
Neu muss die betroffene Person über die Möglichkeit aufgeklärt werden, dass Überschussinformationen entstehen können [6].
Ausserdem muss gewährleistet werden, dass das Ergebnis der Untersuchung nur der betroffenen Person mitgeteilt wird (Recht auf Information) [7] und sie selber entscheiden kann, ob sie vom Ergebnis der Untersuchung Kenntnis nehmen will («Recht auf Nichtwissen») [8]. Zudem werden Anforderungen festgehalten für den Fall, dass Proben und genetische Daten zu anderen Zwecken verwendet werden sollen. Neben den allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Bundes und der Kantone gelten spezifische Vorgaben zum Schutz von Proben und genetischen Daten (z. B. zu Datensicherheitsvorkehrungen).

Wissenschaft und Technik

Art. 15 GUMG knüpft daran an, dass genetische und pränatale Untersuchungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt werden müssen. Hier steht die Sorgfaltspflicht der Behandelnden im Focus.
Mit den Worten des Bundesgerichts: «Dem Arzt ist sowohl in der Diagnose wie in der Bestimmung therapeutischer oder anderer Massnahmen nach dem objektiven Wissensstand oftmals ein Entscheidungsspielraum gegeben, welcher eine Auswahl unter verschiedenen in Betracht fallenden Möglichkeiten zulässt. Sich für das eine oder das andere zu entscheiden, fällt in das pflichtgemässe Ermessen des Arztes, ohne dass er zur Verantwortung gezogen werden könnte, wenn er bei einer Beurteilung ex post nicht die objektiv beste Lösung gefunden hat. Eine Pflichtverletzung ist daher nur dort gegeben, wo eine Diagnose, eine Therapie oder ein sonstiges ärztliches Vorgehen nach dem allgemeinen fachlichen Wissensstand nicht mehr als vertretbar erscheint und damit ausserhalb der objektivierten ärztlichen Kunst steht» [9]. Die vom Bundesgericht entwickelten Grundsätze der ärztlichen Sorgfaltspflichtverletzung beschränken sich nicht auf die Ärztin bzw. den Arzt, sondern erfasst werden auch die Angehörigen der Gesundheitsberufe.
Es obliegt aus juristischer Sicht den einzelnen Fachärztinnen und Fachärzten, sofern es sich um eine klinische Beurteilung handelt, die Delegation an nicht-ärztliches Gesundheitspersonal zu bestimmen und vorzunehmen. Die Ausübung der medizinischen Heilkunde muss jedoch in der Verantwortung und Durchführung der medizinischen Fachkompetenz liegen. Im Einzelfall liegt die haftungsrechtliche Verantwortung im Rahmen der Delegationsmöglichkeiten bei der delegierenden Fachärztin bzw. bei dem delegierenden Facharzt.

Im medizinischen Bereich

«Als genetische und pränatale Untersuchungen im medizinischen Bereich gelten diagnostische, präsymptomatische und pränatale genetische Untersuchungen, pränatale Risikoabklärungen, Untersuchungen zur Familienplanung sowie weitere zu medizinischen Zwecken durchgeführte genetische Untersuchungen, insbesondere zur Abklärung der Wirkungen einer möglichen Therapie» [10].
Dem medizinischen Bereich werden genetische Untersuchungen zugeordnet, die Information zu aktuellen oder künftigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder medizinisch relevante Informationen geben.
Grundsätzlich dürfen genetische Untersuchungen im medizinischen Bereich nur von Ärztinnen und Ärzten veranlasst werden, die zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind und die über einen eidgenössischen Weiterbildungstitel in dem Fachgebiet verfügen, dem die betreffende Untersuchung zugeordnet wird; oder die über eine besondere Qualifikation im Bereich der Humangenetik verfügen [11].
Der Gesetzgeber spezifiziert weiter, der Bundesrat könne nach Anhörung der Expertenkommission die Veranlassung auf Ärztinnen und Ärzte mit einem bestimmten eidgenössischen Weiterbildungstitel oder mit einer anderen besonderen Qualifikation einschränken, sofern genetische Untersuchungen, die erhöhte Anforderungen insbesondere an die Aufklärung, die Beratung oder die Interpretation der Ergebnisse stellen, durchgeführt würden [12].
Des Weiteren wird seitens des Gesetzgebers vorgesehen, dass bei genetischen Untersuchungen, die keine besonderen Anforderungen stellen, der Bundesrat nach Anhörung der Expertenkommission folgenden Personen die Veranlassung von genetischen Untersuchungen erlauben kann: Ärztinnen und Ärzten, die oben zitierte Voraussetzungen nicht erfüllen und weiteren Fachpersonen, die nach Art. 20 Abs. 1 GUMG zur Ausübung eines Medizinal-, Psychologie- oder Gesundheitsberufes in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind [13].
Die Kompetenz des Bundesrates – nach Anhörung der Expertenkommission – zusätzlichen Fachpersonen, die Veranlassung von genetischen Untersuchungen im medizinischen Bereich, die keine besonderen Anforderungen stellen, zu erlauben beziehungsweise die Möglichkeit zur Aufhebung des Arztvorbehaltes im medizinischen Bereich vorzusehen, ist aus juristischer Sicht als heikel anzusehen.
In diesem Kontext ist auf die Rechtsprechung zu verweisen, demnach sich der Sorgfaltsstandard nach den durch die medizinische Wissenschaft aufgestellten und generell anerkannten Regeln richtet und dem jeweiligen Stand der Wissenschaft zu entsprechen hat [14].

Ausserhalb der Medizin

Als genetische Untersuchungen zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften der Persönlichkeit ausserhalb des medizinischen Bereichs gelten Untersuchungen, die nicht zu medizinischen Zwecken erfolgen und die Folgendes betreffen:
Für die Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften der Persönlichkeit gelten zusätzliche Anforderungen in Bezug auf die Veranlassung der Untersuchung (Art. 34 GUMG), die erforderliche Bewilligung zur Durchführung der Untersuchung (Art. 35 GUMG) und im Ausland durchgeführte Untersuchungen (Art. 36 GUMG).
Die Probe (in der Regel Speichel oder Wangenabstrich) muss im Beisein der veranlassenden Gesundheitsfachperson entnommen werden [16]. Bei den übrigen genetischen Untersuchungen kann die Person, die eine solche Abklärung wünscht, die Probe bei sich selber entnehmen und zur Analyse an ein entsprechendes Laboratorium schicken [17]. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, auf die Strafbestimmungen Art. 56 ff GUMG hinzuweisen. Mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich bei einer urteilsunfähigen Person eine genetische Untersuchung veranlasst oder in Auftrag gibt, die weder für den Schutz von deren Gesundheit notwendig ist noch die Anforderungen nach Art. 16 Abs. 2 GUMG erfüllt [18].

Verordnung (GUMV)

Veranlassung von genetischen Untersuchungen im medizinischen Bereich, die keine besonderen Anforderungen stellen: Die Verordnung präzisiert das Gesetz und bestimmt die Fachpersonen, die nebst spezialisierten Fachärztinnen und -ärzten (vgl. Art. 20 Abs. 3 GUMG) genetische Untersuchungen im medizinischen Bereich veranlassen dürfen (Art. 5–8 GUMV).
Ärztinnen und Ärzte, die zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind, dürfen folgende Untersuchungen auch dann veranlassen, wenn sie weder über einen eidgenössischen Weiterbildungstitel in dem Fachbereich verfügen, dem die Untersuchung zugeordnet wird, noch eine besondere Qualifikation im Bereich der Humangenetik ausweisen:
Die Ergebnisse der Untersuchung dürfen nur von zur Veranlassung zugelassenen Fachpersonen mitgeteilt werden. In der Zahnmedizin, Pharmazie und Chiropraktik dürfen der betroffenen Person nur Ergebnisse mitgeteilt werden, die dem Zweck der Untersuchung entsprechen; die Mitteilung von Überschussinformationen ist unzulässig.

Schützenswerte Eigenschaften

Hier wird unterschieden zwischen genetischen Untersuchungen physiologischer Eigenschaften [23], genetischen Untersuchungen persönlicher Eigenschaften [24] und genetischen Untersuchungen ethischer oder anderer die Herkunft betreffende Eigenschaften [25].
Die Verordnung legt fest, welche Gesundheitsfachpersonen genetische Untersuchungen im nicht-medizinischen Bereich veranlassen dürfen. Genetische Untersuchungen zu besonders schützenswerten Eigenschaften ausserhalb des medizinischen Bereichs dürfen folgende Gesundheitsfachpersonen, die zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind, veranlassen (Art. 40 GUMV):
Die Abklärung physiologischer Eigenschaften kann zudem veranlasst werden durch:

Fazit

Ziel der Revision ist, die gesetzlichen Bestimmungen dem medizinischen Fortschritt anzupassen mit dem Hauptfokus die Menschenwürde und die Persönlichkeit von betroffenen Personen zu schützen. Diese neuen Gesetzesbestimmungen über genetische Untersuchungen zeigen aber auch auf, dass die Anforderungen an die Fachkompetenz sehr hoch sind, da im konkreten Fall bei mangelnder Fachkompetenz ein Schaden bei der betroffenen Person die Folge sein könnte.
Aus haftungsrechtlicher Sicht lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Die Verordnung genetischer Laboruntersuchungen, die Aufklärung und genetische Beratung sind eine fachärztliche Aufgabe, da eine genetische Beratung meist nicht isoliert erfolgt, sondern im Kontext von klinisch-diagnostischen Überlegungen, klinischer Untersuchung des Patienten, Differentialdiagnosen, Indikationsstellung laborgenetischer und genomischer Untersuchung. Massgebend ist die Wahrung des medizinisch-wissenschaftlichen Standards – die Delegation sollte dem Facharzt vorbehalten sein, soweit eine Massnahme «gerade dem (Fach)Arzt eigene Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzt» [26].
2 Art. 4 GUMG: Niemand darf wegen seines Erbguts diskriminiert werden.
3 Art. 5 GUMG: 1. Genetische und pränatale Untersuchungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn die betroffene Person nach hinreichender Aufklärung frei und ausdrücklich zugestimmt hat. 2. Die betroffene Person kann die Zustimmung jederzeit widerrufen. 3. Ist die betroffene Person urteilsunfähig, so ist die Zustimmung der zu ihrer Vertretung berechtigten Person erforderlich. 4. Urteilsunfähige Personen sind so weit als möglich in das Aufklärungs-, Beratungs- und Zustimmungsverfahren einzubeziehen.
4 Art. 6 GUMG.
5 BGE 117 Ib 197.
6 Art. 6 Buchstabe d GUMG: Botschaft zum Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen vom 5.7.2017, S. 5606: «Die Komplexität dieser neuen Technologien sowie die Möglichkeit, mit nur einer Analyse viele Erkenntnisse über das Erbgut zu erhalten, auch solche, nach denen nicht gesucht wurde (sog. Überschussinformationen), werfen neue Fragen auf. Diese betreffen insbesondere Regelungsaspekte der Aufklärung, Beratung und Zustimmung, des Rechts auf Nichtwissen sowie der Aufbewahrung und Weiterverwendung von Proben und genetischen Daten».
7 Art. 7 GUMG: 1. Die betroffene Person hat das Recht auf Mitteilung der aus einer genetischen oder pränatalen Untersuchung hervorgehenden Informationen. 2. Einer anderen Person dürfen die Informationen aus einer genetischen oder pränatalen Untersuchung nur mitgeteilt werden, wenn die betroffene Person zugestimmt hat.
8 Art. 8 GUMG: Jede Person hat das Recht, die Kenntnisnahme von Informationen über ihr Erbgut ganz oder teilweise zu verweigern.
9 BGE 120 Ib 411 E. 4a.
10 Art. 19 GUMG.
11 Art. 20 Abs. 1 GUMG.
12 Art. 20 Abs. 2 GUMG.
13 Art. 20 Abs. 3 GUMG.
14 BGE 130 IV 7 E. 3.3.
15 Art. 31 Abs. 1 GUMG.
16 Art. 34 Abs. 3 GUMG.
17 Art. 31 Abs. 2 GUMG.
18 Art. 56 Abs. 1 Buchstabe c. GUMG.
19 Art. 5 GUMV.
20 Art. 6 GUMV.
21 Art. 7 GUMV.
22 Art. 8 GUMV.
23 Art. 37 GUMV.
24 Art 38 GUMV.
25 Art. 39 GUMV.
26 BGH, Urteil vom 24.06.1975 (VI ZR 72/74).