Hoffnungslos der Hoffnung verfallen

Zu guter Letzt
Ausgabe
2022/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21331
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(5152):82

Publiziert am 21.12.2022

Eigentlich wollte ich diese Kolumne mit einem Witz beginnen. Ich war überzeugt, dass es doch einige Witze geben muss, in denen der Patient irgendwann sagt: «Herr Doktor, glauben Sie, es besteht noch Hoffnung für mich?» (in diesen Witzen spielen Frauen nur eine Rolle, wenn es um Sex geht …). Aber da hatte ich mich wohl getäuscht. Es gibt zwar jede Menge schwarzen Humor, aber offenbar nicht mit dieser Formulierung. Was ich aber gefunden habe, ist ein Chat, in dem jemand fragt, warum Ärzte jeweils ihren Patienten wenig bis gar keine Hoffnung machen. Er (oder sie?) meint, Ärzte seien doch dafür da, sie gesund zu machen, und nicht, ihnen ihre letzte Hoffnung zu rauben.
Christina Aus der Au
Prof. Dr. theol., Mitglied der Redaktion Ethik
Puh, da war ich also gleich im ernsthaften Bereich gelandet. Natürlich teilten sich dann die Chat-Teilnehmenden ihre Geschichten mit. Solche mit Happy End und solche ohne. Lieber keine, als falsche Hoffnungen, schrieb einer. Und: Einfach sagen, wie es ist, meinte ein anderer. Hm, geht das denn, einfach nur nackte Fakten kommunizieren? Darf man den Patienten, die Patientin alleine lassen mit dem Röntgenbild, den Blutwerten, der Diagnose? «So sieht’s aus, mehr wissen wir nicht. Und deswegen sagen wir auch nicht mehr.» Wäre das der ideale Arzt, die ideale Ärztin?
Hoffnung machen heisst, etwas in Aussicht stellen. Falsche Hoffnungen sind es dann, wenn es anders kommt. Aber dazwischen passiert etwas. Hoffnung bezieht sich nicht nur auf die Zukunft, sie verändert die Gegenwart. So bewirken zum Beispiel Placebo-Medikamente oft eine Verbesserung des Gesundheitszustandes, ohne dass entsprechende Wirkstoffe darin enthalten wären. Mit der Erwartungshaltung der Person verändern sich Körperfunktionen, sie entspannt sich, ihre körpereigenen Heilkräfte werden aktiviert oder der auf Pillen konditionierte Körper löst die entsprechende Reaktion aus.
Tatsächlich ist dies sogar der Fall, wenn sie weiss, dass sie nur ein Placebo erhält. Eine Studie, die gemeinsam von Psychologinnen aus Basel und Harvard durchgeführt wurde, zeigte überraschende Befunde: Probanden, die ein Placebopräparat erhielten und eine Viertelstunde lang über die erwiesene Wirkung von Placebos informiert wurden, berichteten ebenso von einer signifikanten Abnahme des Schmerzes, wie diejenigen, die das Medikament erhalten hatten. Keine Wirkung spürten allerdings diejenigen, welche das Placebo offen, aber ohne jeden Kommentar dazu erhielten [1]. Das Fazit der Forschenden: Medizinerinnen und Mediziner sollten sich bewusst sein, dass eine überzeugende Geschichte hinter einer Intervention zu besseren Ergebnissen führt.
Eine überzeugende Geschichte ist eine Geschichte, die Hoffnung macht: «Die Pille wirkt, Ihr Zustand wird sich verbessern!» Und genau deswegen wirkt sie. Der Mensch ist hoffnungslos der Hoffnung verfallen. Dum spiro spero – solange ich atme, hoffe ich, das wusste schon Cicero. Der Mensch will, dass es gut wird, und genau damit trägt er dazu bei, dass es gut wird. Das klappt natürlich nicht immer. Aber offenbar doch besser, als man denkt.
Es ist nicht nur das Medikament, das wirkt. Hoffnung wirkt – und noch mehr, wenn sie in einer Geschichte kommt. Damit braucht es jemanden, der oder die sie erzählt. Die Ärztin, die sich Zeit nimmt zu erklären, warum das Medikament wirkt. Der Arzt, der uns zutraut, unsere eigenen Heilungskräfte zu aktivieren. Es braucht ein Gegenüber, das uns Grund gibt, zu hoffen.
1 C. Locher et al, Is the rationale more important than deception? A randomized controlled trial of open-label placebo analgesia. PAIN, July 2017, 1-9.