Cannabis auf Rezept

Organisationen
Ausgabe
2023/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21220
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(05):39-40

Publiziert am 01.02.2023

Cannabisarzneimittel Das BAG hat Cannabis zu medizinischen Zwecken als Medikament zugelassen. Ärztinnen und Ärzte dürfen Arzneimittel mit erhöhtem THC-Gehalt neu ohne Ausnahmebewilligung verschreiben. Es besteht jedoch eine obligatorische elektronische Meldepflicht zur Behandlung.
Per 1. August 2022 trat eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes in Kraft, welche das Verbot von Cannabis zu medizinischen Zwecken aufhob. Cannabis und Zubereitungen zu medizinischen Zwecken, die Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten, wurden vom Verzeichnis d ins Verzeichnis a der Betäubungsmittelverzeichnisverordnung umgeteilt, und sind damit gleich eingestuft wie etwa Morphin oder Methylphenidat. Sie unterstehen neu dem Bewilligungs- und Kontrollsystem von Swissmedic und sind damit beschränkt verkehrsfähig.
Scientist working at cannabis hemp and gratifying marijuana plantation.
Cannabis als Arzneimittel: Eine Ausnahmebewilligung für das Verschreiben ist nicht mehr notwendig.
© BiancoBlue / Dreamstime
Die Gesetzesänderung hat Auswirkungen auf die Verschreibung solcher Arzneimittel. Bis dato konnten THC-haltige Cannabisarzneimittel nur ausnahmsweise im Rahmen einer beschränkten medizinischen Anwendung verschrieben werden. Dies, wenn andere Therapien eine ungenügende Wirkung zeigten, etwa in der Schmerztherapie bei Krebserkrankungen oder bei Inappetenz und Übelkeit bei HIV. Dazu war jeweils eine Ausnahmebewilligung des BAG erforderlich. Diese restriktive Regelung der medizinischen Anwendung von Cannabis entsprach nicht mehr der Behandlungsrealität: In den letzten Jahren erhielten rund 3000 Patientinnen und Patienten pro Jahr eine Bewilligung für eine entsprechende Behandlung.

Wer setzt Cannabisarzneimittel ein?

Cannabisarzneimittel mit einem Gesamt-THC-Gehalt von mindestens 1% Tetrahydrocannabinol unterstehen dem Betäubungsmittelgesetz (vgl. Betäubungsmittelverzeichnisverordnung, BetmVV-EDI, SR 812.121.11). In der Schweiz ist bisher nur das Cannabisarzneimittel Sativex von Swissmedic als Zusatztherapie zur Symptomverbesserung bei mittelschwerer und schwerer Spastik aufgrund Multipler Sklerose (MS) zugelassen. Daneben kommen zulassungsbefreite Arzneimittel, sogenannte Magistralpräparate, zum Einsatz, die nach ärztlichem Rezept durch eine Apotheke hergestellt werden. Arzneimittel, die andere Cannabinoide, insbesondere Cannabidiol (CBD) (z.B. Epidyolex) enthalten und deren Gesamt-THC-Gehalt unter 1% liegt, unterstehen nicht dem Betäubungsmittelgesetz und sind somit nicht von der Gesetzesänderung betroffen.
Zu den häufigsten Indikationen in der medizinischen Anwendung gehören:

Was ändert sich für die Ärzteschaft?

Die Verantwortung für die Behandlung mit Cannabisarzneimitteln liegt nun ausschliesslich bei den Ärztinnen und Ärzten. Eine Ausnahmebewilligung des BAG ist nicht mehr erforderlich. Verschreibende Ärztinnen und Ärzte sind jedoch innerhalb der ersten Jahre nach Inkraftsetzung der Gesetzesänderung verpflichtet, dem BAG anhand des einfachen online Meldesystems «MeCanna» einige Daten zu übermitteln. Dies gilt bei jeder Neuverschreibung ab dem 1. August 2022, sowie auch bei der Fortführung der Verschreibung im Rahmen einer bereits laufenden Behandlung. Zusätzlich müssen Folgemeldungen nach 1 und nach 2 Jahren der Behandlung oder ein allfälliger Therapieabbruch erfasst werden. Diese Erhebung dient dazu, Behandlungsverläufe über die Zeit untersuchen zu können.

Zweck der Datenerhebung

Die Datenerhebung hat den Zweck, die Entwicklung der Verschreibung von THC-haltigen Cannabisarzneimitteln verfolgen und deren Wirkungen und Nebenwirkungen beobachten zu können. Diese Datenerhebung war eine politische Voraussetzung für die Aufhebung des Cannabisverbots, welche insbesondere von den Kantonen gefordert wurde. Sie soll eine Grundlage für die spätere Evaluation der Gesetzesänderung liefern.
Nicht zuletzt soll die Datenerhebung auch dazu beitragen, mehr Evidenzen zur medizinischen Anwendung von Cannabis zu generieren. Es handelt sich zwar um eine nicht-kontrollierte Beobachtungsstudie. Diese kann aber eine Grundlage für die weiterführende klinische Forschung liefern. Mittelfristig kann dies dazu beitragen, dass mehr solche Arzneimittel heilmittelrechtlich zugelassen und von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet werden.
Die Datenerhebung soll direkt oder indirekt einen Mehrwert für die betroffenen Ärztinnen und Ärzte schaffen: So haben diese zukünftig Zugriff auf die aggregierten Daten in aufbereiteter Form. Je mehr Daten erfasst werden, desto aussagekräftiger werden die Informationen, welche auch für die klinische Praxis relevant sind, z.B. typische Anfangsdosierungen für bestimmte Patientengruppen. Weiter bietet das Meldeportal einen einfachen Zugriff auf relevante Grundlagendokumente wie Behandlungsempfehlungen für verschiedene Indikationen, welche von der Schweizerischen Gesellschaft für Cannabis in der Medizin (SGCM – SSCM) verfasst wurden.

Welche Daten sind meldepflichtig?

Folgende Angaben sind zu erfassen: soziodemographische Angaben zur Patientin bzw. zum Patienten, Angaben zur behandelnden Ärztin oder zum behandelnden Arzt (Name, Adresse und eidgenössische Weiterbildungstitel) und medizinische Angaben betreffend die Therapie und den Therapieverlauf. Dazu gehören die Indikation, inkl. Haupt- und behandlungsrelevante Nebendiagnosen, die Darreichungsform und die Dosierung des Cannabispräparates, sowie dessen Wirkungen, Nebenwirkungen und Symptomveränderungen unter der Behandlung, oder auch symptomrelevante Begleitmedikationen (Präparate, Dosierungen). Es werden lediglich die für den Zweck der Datenerhebung notwendigen Daten erhoben, um den Aufwand für die Ärzteschaft möglichst gering zu halten.
Die Meldepflicht gilt sowohl für zulassungsbefreite, wie für zugelassene Arzneimittel, die «off-label» angewendet werden. Für die von der Swissmedic zugelassenen THC-haltigen Cannabisarzneimittel, welche «on-label» (gemäss der zugelassenen Indikation und Darreichungsform) verschrieben werden (Sativex), ist eine Erfassung im Meldesystem fakultativ.

Vorgehen zum Erfassen der Meldedaten

Das BAG stellt für die Erfassung der erforderlichen Daten ein elektronisches Meldesystem («MeCanna») zur Verfügung. Die Daten werden anonymisiert erhoben. Die Erhebung der Daten im Meldesystem ist anhand der nachstehenden vier Schritten einfach auszuführen:
Schritt 1:
Geben Sie das Betäubungsmittelrezept an Ihre Patientin oder Ihren Patienten ab.
Schritt 2:
Geben Sie im Web folgende Adresse ein: gate.bag.admin.ch/mecanna.
Schritt 3:
Melden Sie sich mit Ihrem HIN-Account an oder registrieren Sie sich einmalig per CH-Login.
Schritt 4:
Erstellen und übermitteln Sie eine neue Meldung im System.

Behandlungsempfehlungen

Hinsichtlich der Wirksamkeit liegen für die meisten möglichen Indikationen – insbesondere bei der Behandlung mit Arzneimitteln nach Formula Magistralis – noch keine ausreichenden klinischen Daten vor. Dennoch gibt es aber zahlreiche Berichte über erfolgreiche Behandlungen mit Cannabisarzneimitteln. Die SGCM – SSCM hat auf Grundlage der bestehenden Studienlage und klinischen Erfahrung Empfehlungen für die Therapie mit Cannabisarzneimitteln ausgearbeitet. Diese umfassen sowohl allgemeine Informationen und Aspekte in der Anwendung von Cannabisarzneimitteln für Patientinnen und Patienten sowie Fachpersonen, als auch konkrete Therapieempfehlungen für spezifische Krankheitsbilder, wie Fibromyalgie, Spastik bei Multipler Sklerose, Trigeminusneuralgie, Restless Legs Syndrom und Morbus Parkinson vor. Weitere Empfehlungen für die Bereiche neuropathische Schmerzen, Onkologie/Palliative Care, Epilepsie und Tourette-Syndrom sind bei der SGCM in Erarbeitung.

Fehlende Wirksamkeitsnachweise

Derzeit werden Cannabisarzneimittel nicht von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) vergütet. Die dazu erforderliche Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Arzneimittel ist noch nicht genügend belegt. Es braucht weitere und qualitativ bessere Studien. Weiterführende Informationen finden sich dazu in einem vom BAG erstellten HTA-Bericht. Die Gesetzesänderung hat an diesen krankenversicherungsgesetzlichen Voraussetzungen nichts geändert.
Eine Vergütung über die Grundversicherung kommt deshalb nur im Rahmen der Einzelfallvergütung (Art. 71a ff. der Verordnung über die Krankenversicherung vom 27. Juni 1995 (KVV) in Frage, d.h. es bedarf einer Kostengutsprache durch die Krankenkasse. Bei entsprechender Deckung ist allenfalls eine Zusatzversicherung leistungspflichtig.

Weiterführende Auskünfte zur Gesetzesänderung

Auf der Webseite des BAG finden Sie weitere Informationen sowie die Plattform zum Erfassen der Erhebungsdaten:
Gesetzesänderung Cannabisarzneimittel: https://t.ly/jANL
Meldesystem Cannabisarzneimittel: https://t.ly/iH5T