In memoriam Ernst Gemsenjäger (1931-2022)

Forum
Ausgabe
2023/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21337
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(0102):22

Publiziert am 11.01.2023

NachrufEin disziplinierter Arzt, ein vorbildlicher Mentor und ein guter Freund – so bleibt der Chirurg Ernst Gemsenjäger seinen Kolleginnen und Kollegen in Erinnerung. Im vergangenen September mussten sie von ihm Abschied nehmen.
Am 7. September 2022 ist Ernst Gemsenjäger im 92. Lebensjahr verstorben, nachdem er während Wochen schwere gesundheitliche Krisen durchgemacht hatte. Seine Angehörigen trauern um einen grossherzigen und grosszügigen Familienvater. Er selber hätte sich aus Bescheidenheit vermutlich gegen die Publikation dieser Zeilen ausgesprochen. Für uns ist sie aber ein Herzensanliegen, denn wir verlieren mit ihm nicht nur einen hochgeschätzten hervorragenden Chirurgen, sondern auch einen vorbildlichen klinischen Lehrer und Mentor.
Prof. em. Dr. med. Ernst Gemsenjäger

Berufliche Stationen

Aufgewachsen in Weinfelden, besuchte Ernst Gemsenjäger das Gymnasium in Schiers. Das Medizinstudium absolvierte er in Lausanne, Wien, Paris und Bern, wo er auch promovierte. Nach Assistenzjahren im Tiefenauspital übersiedelte er mit seiner Gattin nach Hamburg und lernte bei Prof. Friedrich Stelzner das chirurgische Handwerk à fond. Es folgten Aufenthalte unter anderem an der Mayo-Klinik in den USA und am King’s College Hospital in London. Nach der Rückkehr in die Schweiz widmete er sich unter Prof. Alfred L. Meier der Abdominal- und Strumachirurgie am St. Claraspital in Basel und habilitierte an der Universität Basel. 1988 übernahm er die Chefarztstelle am Spital Neumünster in Zollikerberg.
Die anfängliche hausärztliche Zurückhaltung, einem von Basel nach Zürich übersiedelten Kollegen Patienten zuzuweisen, wich wachsendem Vertrauen. Dies insbesondere dadurch, dass Ernst Gemsenjäger seine Klinik zu einer anerkannten Adresse für die Chirurgie von Schilddrüse und Nebenschilddrüse machte.
Seine Arbeit auf diesem Gebiet, die entscheidend von der Schilddrüsen-Forschung von Prof. Hugo Studer profitierte, gelangte zu internationaler Anerkennung durch die Publikation seines «Atlas of Thyroid Surgery». Die bis anhin aus Angst vor Rekurrensläsionen und Hypoparathyreoidismus noch durchgeführte subtotale Thyreoidektomie führte leider oft zu Strumarezidiven. Ernst Gemsenjäger vertrat hingegen die anatomisch korrekte Operationsweise durch blutungsfreie Dissektion von Organkapsel und Grenzlamelle, die sogenannte Kapseldissektion. Die zweite viszeralchirurgische Spezialität von Ernst Gemsenjäger war die anorektale Chirurgie.

Im Dienst der Patienten

Diszipliniertes, auf den Eingriff bezogenes Sprechen fern jeder Phrase begleitete die chi-rurgische Arbeit. Einen Disput zweier assistierender Kollegen beendete er wie folgt: «Bitte meine Herren, nach der Arbeit und sine ira [Lat.: ohne Zorn].» Schnörkellos und auf das Wesentliche konzentriert nahm er seine Verantwortung wahr und fasste sie im Grundsatz zusammen: «Während der Arbeit voll und ganz beim Patienten sein». Sein Kontakt zu Patientinnen und Patienten und Pflegefachleuten war respektvoll, höflich und diszipliniert. Das spiegelte sich in der grossen Achtung und dem soliden Ansehen, welches er genoss, sowie in der hohen Motivation der Pflegefachleute und einer geringen Personalfluktuation.
Nach der Pensionierung 2002 befasste er sich weiterhin mit den Voraussetzungen und Lernbedingungen für solides chirurgisches Handwerk: «Neurowissenschaften und Chirurgie – Das Hirn des Chirurgen», so der Titel eines Essays. Darin diskutierte er Grundsätzliches zur chirurgischen Weiter- und Fortbildung. Er sah als besten Weg dafür die erlebte Realität des Operationssaals und registrierte den zunehmenden Umfang ärztlicher administrativer Arbeit mit wachsender Sorge.

Kunst und Chirurgie verbinden

Ernst Gemsenjäger verband eine lebenslange Liebe zu den Künsten. Aufgrund einer familiären Beziehung zu Henri Matisse (seine Schwiegermutter war ein bekanntes Modell des Künstlers) setzte er sich in einer kulturhistorischen Fallbesprechung mit den diagnostischen und therapeutischen Aspekten der jahrelangen schweren abdominalen Erkrankungen des Malers auseinander sowie den dadurch bedingten Veränderungen in der künstlerischer Ausdrucksweise von Matisse.
Als Chirurg und klinischer Forscher hat er einen Kreis von Schülerinnen und Schülern geprägt, denen er genaues Beobachten, sorgfältiges Operieren und eine klare und behutsame Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten vorgelebt hat. Er bleibt uns gegenwärtig als pflichtbewusste und verantwortungsvolle Arztpersönlichkeit, als sauber denkender, souveräner Chirurg und als unvergesslicher guter Freund, der uns nie enttäuscht hat.
Prof. em. Dr. med. Max Stäubli
Ehemaliger Chefarzt Innere Medizin Spital Zollikerberg
Dr. med. Peter Guyer
Ehemaliger stellvertretender Chefarzt Chirurgie Spital Zollikerberg
Dr. med. Ingrid Schweizer
Ehemalige Oberärztin Spital Zollikerberg
Dr. med. Hans-Peter Weisflog
Ehemaliger Chefarzt Anästhesiologie Spital Zollikerberg