Demenzerkrankungen: Die Schlüsselrolle des Hausarztes

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21350
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(0102):72-73

Publiziert am 11.01.2023

Lebensqualität Alzheimer und andere Demenzformen können bis heute nicht geheilt werden. Dennoch lässt sich viel dazu beitragen, die Lebensqualität von Betroffenen zu fördern. Dabei kommt den Hausärztinnen und Hausärzten eine zentrale Rolle zu, welche oftmals die erste Anlaufstelle sind.
Zurzeit leben in der Schweiz schätzungsweise 150 000 Menschen mit einer Demenzerkrankung [1]. Jährlich erkranken rund 32 200 Personen neu an Alzheimer oder einer anderen Demenzform [1]. Obschon das Risiko an Demenz zu erkranken mit dem Alter stark zunimmt, sind in der Schweiz rund 7 700 Menschen vor dem 65. Lebensjahr von einer Demenzerkrankung betroffen [1]. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung wird sich die Anzahl Menschen mit Demenz bis ins Jahr 2050 voraussichtlich mehr als verdoppeln und stellt somit eine grosse Herausforderung für unsere Gesellschaft und das Gesundheitswesen dar [1].
Hausärztinnen und Hausärzte haben als erste Anlaufstelle eine Schlüsselrolle.
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Die Wichtigkeit einer frühzeitigen Diagnose

Gemäss Schätzungen hat rund die Hälfte der Menschen mit Demenz keine fachärztliche Diagnose [1]. Eine frühzeitige Erkennung und Diagnose einer Demenzerkrankung ist jedoch von zentraler Bedeutung, damit mögliche reversible Ursachen von Demenz identifiziert und behandelt werden können. Darüber hinaus ist eine frühzeitige Diagnose von hoher Relevanz, um möglichst früh im Krankheitsverlauf mit geeigneter Unterstützung und Begleitung der demenzerkrankten Person sowie ihren Angehörigen beginnen zu können. Denn obschon Alzheimer und andere Demenzformen zurzeit nicht geheilt oder aufgehalten werden können, erlaubt eine frühzeitige Diagnose den Betroffenen geeignete Unterstützung im Alltag zu organisieren und die gewünschten rechtlichen Vorkehrungen wie ein Vorsorgeauftrag oder ein Testament zu treffen. Dabei kommt den Hausärztinnen und Hausärzten eine Schlüsselrolle zu. Denn oftmals wenden sich Angehörige oder die erkrankte Person bei Demenzsymptomen an ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt [2]. Diese bilden somit eine erste Anlaufstelle und haben eine wichtige Rolle bei der Weichenstellung beim Vorliegen von Anzeichen auf Alzheimer oder andere Demenzerkrankungen [2]. Dennoch wird zurzeit noch zu häufig keine Diagnose gestellt oder die berichteten Symptome werden mit Burnout oder Depression verwechselt.

Nichtmedikamentöse Interventionen

Eine frühzeitige Diagnose erlaubt zudem, dass die Lebensqualität von Menschen mit Demenz stabilisiert wird, indem zum Beispiel nichtmedikamentöse Interventionen rechtzeitig und gezielt angewendet werden. Solche Interventionen umfassen medizinische Therapien (z. B. Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie), die von den Hausärztinnen und Hausärzten verschrieben werden, wie auch kreative Ansätze (z. B. Musik- oder Kunsttherapie). Diese können behaviorale und psychologische Symptome der Demenz (BPSD) lindern, sowie das Wohlbefinden von Demenzerkrankten verbessern [3]. Darüber hinaus haben sie eine stimulierende Wirkung und fördern den Erhalt der kognitiven Fähigkeiten. Solche positiven Auswirkungen, welche in Gruppen- oder in Einzelsitzungen erzielt werden können, tragen dazu bei, dass die an Demenz erkrankte Person länger selbstständig und selbstbestimmt leben kann. Nichtmedikamentöse Interventionen stehen deshalb im Zentrum der Behandlung von Demenzerkrankungen und sind wichtig für den Erhalt der Lebensqualität. Darüber hinaus bilden sie bei der Behandlung von Begleitsymptomen einer Demenzerkrankung (BPSD) die erste Therapiewahl und können gegebenenfalls mit einer medikamentösen Behandlung (z. B. Antidementiva) ergänzt werden [3].

Die Zukunft planen

Nebst der Rolle der Früherkennung für die medizinische und psychosoziale Behandlung, hilft der Erhalt einer spezifischen Diagnose, dass sich Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen besser auf die bevorstehende Zukunft und die krankheitsbedingten Veränderungen vorbereiten können. Einerseits kann eine Diagnose für die betroffenen Angehörigen eine Erleichterung darstellen, indem das untypische Verhalten ihres erkrankten Angehörigen erklärt und somit besser verstanden, sowie damit umgegangen werden kann. Andererseits erlaubt eine frühe Diagnose rechtzeitig eigene Wünsche für die zukünftige Betreuung und Pflege, wenn die Urteilsfähigkeit nicht mehr vorhanden sein wird, mittels einem Vorsorgeauftrag und einer Patientenverfügung zu äussern. Nebst der Vorsorge für die erkrankte Person hilft eine Diagnose auch der Vorsorge der Angehörigen, falls diese selbst erkranken und die Betreuungs- und Pflegeaufgaben nicht mehr übernehmen können. Durch eine eigene Vorsorge können sie die Aufgaben besser wahrnehmen und sich den notwendigen Erholungsbedarf organisieren. Solch eine Selbstsorge der Angehörigen ist bei Demenzerkrankungen besonders wichtig, da die Betreuung häufig mehrere Jahre dauert. Dabei können Hausärztinnen und Hausärzte sowohl die Angehörigen wie auch die Menschen mit Demenz auf geeignete Unterstützungs- und Entlastungsangebote wie zum Beispiel die verschiedenen Angebote von Alzheimer Schweiz und ihren kantonalen Sektionen aufmerksam machen, um sie bestmöglich von Beginn einer Erkrankung zu unterstützen (www.alzheimer-schweiz.ch).
Den Hausärztinnen und Hausärzten kommt somit in vielen Aspekten eine Schlüsselrolle zu. Indem sie sich um eine frühzeitige Diagnose bemühen, Demenzbetroffene über Unterstützungsangebote informieren, bei der Erstellung einer Patientenverfügung unterstützen, sowie nichtmedikamentöse Interventionen empfehlen, können sie einen zentralen Beitrag leisten. Im Allgemeinen gilt je früher eine Diagnose gestellt wird und geeignete nichtmedikamentöse Behandlungsmöglichkeiten begonnen werden, desto besser können diese greifen und somit die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen fördern.
Um auf die Wichtigkeit der nichtmedikamentösen Interventionen aufmerksam zu machen, veranstaltet Alzheimer Schweiz in Partnerschaft mit Public Health Schweiz am 11. Mai 2023 die Nationale Demenzkonferenz zum Thema «Lebensqualität bei Demenz: die Rolle nichtmedikamentöser Interventionen». Die Konferenz richtet sich an Forschende, Fachpersonen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen, sowie an alle interessierten Personen und beleuchtet unterschiedliche Aspekte solcher Interventionen (www.demenz-konferenz.ch).
Dr. phil. Janine Weibel
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und zuständig für Forschungsprojekte und Evaluationen bei Alzheimer Schweiz.
Karine Begey
ist Stv. Direktorin und Leiterin Wissensmanagement und Sektionen bei Alzheimer Schweiz.
1) Alzheimer Schweiz. Demenz in der Schweiz 2022, Zahlen und Fakten. Stand 2022. https://www.alzheimer-schweiz.ch/fileadmin/dam/Alzheimer_Schweiz/Dokumente/Publikationen-Produkte/Factsheet_DemenzCH_2022.pdf (abgerufen am 30.11.2022).
2) Alzheimer Schweiz. Angehörige von Menschen mit Demenz geben Auskunft. Stand 2014. https://www.alzheimer-schweiz.ch/fileadmin/dam/Alzheimer_Schweiz/Dokumente/Publikationen-Produkte/198D_2014_angehoerigenbefragung.pdf (abgerufen am 30.11.2022).
3) Kressig RW. Nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei Demenz. Internistische Praxis. 2017;58(1),116-122.