Detox – ein unnützer Luxus?

Zu guter Letzt
Ausgabe
2023/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21367
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(03):82

Publiziert am 17.01.2024

«Detox-Kuren sind unnütz»: Diese unumstössliche Behauptung, die ich auf der Website von Planète Santé lese [1], überrascht mich ein wenig. Wie die meisten von uns, habe ich das Jahr mit zahlreichen Weihnachtsapéros, Betriebsessen und Familientreffen ausklingen lassen und Anfang Januar das Gefühl, meinen Organismus «entgiften» zu müssen. Nicht, dass ich das regelmässig tun würde oder Verfechterin des Fastens wäre. Aber nach den Feiertagen verspüre ich generell eine Schwere in meinem Körper und die Notwendigkeit, ihn zu schonen. Der Artikel beruft sich auf die Meinung von Fachleuten: «Ein Nutzen von Detox-Kuren für unsere Gesundheit ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Im besten Fall sind sie unnütz, möglicherweise erweisen sie sich aber auch als schädlich.»
Die Vorzüge solcher Kuren, die gerade in Mode sind – sei es in Form von Frucht- und Gemüsesäften, harntreibendem Tee oder Getränken mit appetitzügelnder Wirkung – und als Wundermittel angepriesen werden, sind ein Trugschluss: Unser Körper ist ein äusserst gut funktionierender Mechanismus, der sich ohne äusseres Zutun selbst regulieren kann, wenn wir ihm ein Übermass an Nahrung zumuten. Die Leber scheidet die Giftstoffe über den Urin aus, und all das funktioniert wunderbar, solange es sich nur um gelegentliche Ausnahmen handelt und nicht zur Gewohnheit wird. «Fette und Zucker sind – auch gelegentlich im Übermass konsumiert – keine Giftstoffe», erklärt Pierre Maechler, Professor für Zellphysiologie und Stoffwechsel an der Universität Genf, im selben Artikel. Und obwohl ich doch wenigstens für ein paar Tage ohne Schokolade auskommen wollte, erwische ich mich nun dabei, wie ich, bestärkt durch das Gelesene, verstohlen zu der Pralinenschachtel schaue, die ich zu Weihnachten bekommen habe.
Julia Rippstein
Redaktorin Schweizerische Ärztezeitung
Im weiteren Verlauf meiner Recherchen gelange ich zu dem mir wohlbekannten Schluss, dass es am wichtigsten ist, auf seinen Körper zu hören und den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Das bedeutet: gute Ernährungsgewohnheiten haben, bevorzugt Obst und Gemüse essen, nicht auf Lebensmittel verzichten, sondern sie variieren (sich auch kleine Genüsse gönnen!), und regelmässig körperlich aktiv sein. Das scheint mir durchaus machbar … Doch ich sage das als eine Person, die entsprechend sensibilisiert ist und das Glück hatte, in einem Umfeld aufzuwachsen, in dem auf eine gesunde Lebensweise geachtet wurde. Ich kann mir vorstellen, dass ein Teil der Bevölkerung dieses Glück nicht hat und diese grundlegenden Prinzipien nicht unbedingt kennt.
Da wird mir bewusst, dass das Thema «Detox» eine Sorge privilegierter Menschen ist, deren einzige Sorge es eben ist, nicht zu viel zu essen: Überfluss ist ein Luxus und darüber nachdenken zu können, diesen Überfluss einzuschränken, folglich auch. Ein Thema, das vor dem Hintergrund der aktuellen Inflation an Bedeutung gewinnt: Immer mehr Menschen, vor allem junge Erwachsene und einkommensschwache Haushalte, müssen den Gürtel enger schnallen und Mahlzeiten auslassen. So in Grossbritannien, wo die Bevölkerung unter massiven Preiserhöhungen zu leiden hat [2]. Auch in der Schweiz stehen die Wohltätigkeitsorganisationen einer massiven Nachfrage gegenüber und kommen nicht hinterher [3]. Eine von der prekären Situation betroffene Frau erzählte dem Schweizer Radio und Fernsehen, dass sie das nehme, was eben da sei: «Und manchmal habe ich gar nichts im Kühlschrank.» [4]
Und ich, die ich verstohlen zur Pralinenschachtel geschaut habe, halte mich zurück. Anstatt sich auf ein Lebensmittel zu stürzen oder aus Gründen des «Detox» darauf zu verzichten, wäre es sinnvoller, es voll und ganz zu geniessen und sich darüber im Klaren zu sein, wie glücklich man sich schätzen kann, jederzeit das essen zu können, was man will. Wenn sich bei Ihnen wie bei mir die Pralinenschachteln von Weihnachten stapeln oder Sie Ihren Vorrat an Nudeln und Reis aufgestockt haben, sollten wir uns vielleicht fragen, ob wir diese Vorräte wirklich alle brauchen, und sie an Menschen spenden, die keine Vorräte haben.