Qualität aus Patientenperspektive

Organisationen
Ausgabe
2023/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21376
Schweiz Ärzteztg. 2023;(16):36-38

Affiliations
a Dr. phil., Dozentin, Berner Fachhochschule, Bern; b MPH, Leiterin Qualitätsmonitoring Nordwestschweizerische Spitäler, Gesundheitsdepartement Basel-Stadt; c KD Dr. med., Leitende Ärztin Rehabilitation, Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Nottwil; d Dr. med., Leiter Departement Innere Medizin und Chefarzt Pneumologie, Klinik Barmelweid AG; e Dr. phil., Leitung Rehabilitation, ANQ, Bern; f Dr. med., Chefarzt Kardiologie, Hochgebirgsklinik Davos; g Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft

Publiziert am 19.04.2023

PROMs Dank Patient Reported Outcome Measures erhält die Patientenperspektive in der Qualitätsbeurteilung von Gesundheitseinrichtungen und -angeboten ihren festen Platz. Gleichzeitig stellen diese Indikatoren Health Care Professionals, Direktionen und Public-Health-Organisationen vor neue Herausforderungen.
Patient Reported Outcome Measures (PROMs) geben Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, ihre Perspektive strukturiert in die Behandlung einzubringen und ihre Lebensqualität und/oder ihren Gesundheitszustand gezielt zu reflektieren. Für Health Care Professionals ergänzen sie die behandlungsrelevanten Informationen. Auf Ebene von Gesundheitsorganisationen können PROMs für klinische Studien und Qualitätsverbesserungen genutzt werden; auf Ebene des nationalen Gesundheitssystems können sie für Leistungsbeurteilungen und zur Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses hinzugezogen werden [1]. Die Stärkung der Patientenperspektive durch den vermehrten Einsatz von PROMs ist zentrales Handlungsfeld der aktuellen Qualitätsstrategie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) [2]. PROMs haben sich in den letzten Jahren in verschiedenen Qualitätsentwicklungsverfahren, Qualitätsinitiativen und im klinischen Management etabliert. Nichtsdestotrotz treten bei der Implementierung noch viele Herausforderungen auf.
Pawn looking in the mirror and seeing a king.
Die Stärkung der Patientenperspektive durch den vermehrten Einsatz von PROMs ist zentrales Handlungsfeld der aktuellen Qualitätsstrategie des BAG.
© Nikolay Litov / Dreamstime
Der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken ANQ koordiniert und realisiert im Auftrag der Leistungserbringer und Kostenträger seit mehr als zehn Jahren national vergleichende Qualitätsmessungen in der stationären Akutsomatik, Psychiatrie und Rehabilitation und veröffentlicht die Messergebnisse transparent mit Spital- und Kliniknamen [3]. In der kardialen, pulmonalen und psychosomatischen Rehabilitation setzt der ANQ PROMs ein, um die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität, Angst und Depression sowie die Beeinträchtigung durch somatische Beschwerden zu erheben. Künftig soll in allen Rehabereichen die Qualität in einer Kombination aus Patientenperspektive mittels PROMs und Behandlerperspektive mittels Clinical Reported Outcome Measures (CROMs) erfasst werden. Im Frühling 2023 startet ein ANQ-Pilotprojekt die Datenerhebung, das die Eignung des generischen PROMs PROMIS GH-10 zur Abbildung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität in allen Rehabereichen testet [4].

Hohe Non-Response-Quoten

Eine Herausforderung der Nutzung von PROMs sind die teilweise sehr hohen Non-Response-Quoten, das heisst der Anteil an fehlenden Antworten der angefragten Patientinnen und Patienten. Die Charité – Universitätsmedizin Berlin analysierte im Auftrag des ANQ-Qualitätsausschusses Rehabilitation die Prädiktoren (Vorhersagevariablen) für Non-Response. Dafür wertete sie 24 572 Datensätze des krankheitsspezifischen PROMs MacNew Heart Disease Lebensqualitätsfragebogen (MacNew) von Patientinnen und Patienten in der stationären kardialen Rehabilitation zwischen 2016 und 2019 aus [5]. Der MacNew wurde ursprünglich für kardiale Patientinnen und Patienten nach akutem Herzinfarkt entwickelt und erfasst ihre subjektiven Einschätzungen und Bewertungen zu einer Reihe von Problemen in Zusammenhang mit dem Herzinfarkt [6, 7]. Die Untersuchung der Charité zur Non-Response des MacNew in der kardialen Rehabilitation zeigte sowohl auf Patientenebene als auch auf Klinikebene Unterschiede in den Non-Response-Quoten. Die Analysen identifizierten auf Patientenebene folgende Merkmale als relevante Prädiktoren für Non-Response des MacNew: weibliches Geschlecht, höheres Alter, Fremdsprachigkeit, allgemein versichert, schlechterer Gesundheitszustand und gewisse Krankheiten (Tabelle) [5].
Tabelle: Prädiktoren für Non-Response beim MacNew in der stationären kardialen Rehabilitation (Ergebnisse eines logistischen Regressionsmodells basierend auf Daten der ANQ-Messungen kardiale Rehakliniken 2016-2019; adaptierte Darstellung von Tabelle 2 aus [5])
PrädiktorEinfluss auf non-response MacNew Heart
Geschlecht
(Ref: männlich)
Weiblich
Alter höheres Alter in Jahren
Sprache
(Ref: «Native Speaker»)
Deutsch, Französisch, Italienisch nicht als Muttersprache
Versicherungsklasse
(Ref: (halb-) privat versichert)
allgemein versichert
Rehadauerlängere Rehadauer in Tagenn.s.
Aufenthaltsort vor Eintritt
(Ref: Zuhause)
Akutspital
Aufenthaltsort nach Austritt
(Ref: Zuhause)
Akutspital
Komorbidität: CIRS-Gesamtscore höherer CIRS-Gesamtscore in Punkten
Diagnosegruppe
(Ref: Chronisch ischämische Herzkrankheit)
Weitere ischämische Herzkrankheiten
Nicht-rheumatische Mitralklappenkrankheiten
Nicht-rheumatische Aortenklappenkrankheiten
n.s.

n.s.
 Sonstige Formen Herzkrankheit
 Krankheiten Arterien, Arteriolen & Kapillaren
 Weitere Herzerkrankungen
 Sonstige Erkrankungen
Ref = Referenzkategorie, CIRS = Cumulative Illness Rating Scale; ↑= statistisch signifikant höhere Chance für non-response bei Vorliegen dieses Merkmals; ↓ = statistisch signifikant niedrigere Chance für non-response bei Vorliegen dieses Merkmals; n.s. = nicht signifikant
Die Gefahr besteht, dass Patientenkollektive mit diesen und weiteren Merkmalen wie eingeschränkter kognitiver Funktionsfähigkeit, niedrigem Bildungsstand oder Nichtzugehörigkeit zur Mehrheitskultur im klinischen Behandlungspfad und im nationalen Klinikvergleich nicht adäquat abgebildet werden.
Diese Erkenntnisse haben eine erhebliche praktische Implikation. Gerade bei den erwähnten Patientengruppen kann eine adäquate Begleitung durch die Health Care Professionals eine Überforderung vermeiden, die schnell in eine Ablehnung der PROMs mündet [8]. Konkrete Massnahmen können einen fixen Termin im Patienten-Tagesplan, einen ruhigen Raum für das Ausfüllen der PROMs, Fragebogen in verschiedenen Sprachen oder einen einfach zu erfassenden Online-Fragebogen beinhalten. Sobald Health Care Professionals aber beim Ausfüllen der Fragebogen helfen, könnte ein Bias die Daten verfälschen. Um Patientinnen und Patienten zur Teilnahme zu motivieren und ihre Perspektive ausreichend abzubilden, sind eine Kultur der Wertschätzung sowie die Sensibilität und Motivation der Health Care Professionals, der Klinikdirektionen und weiterer Stakeholder (zum Beispiel Fachgesellschaften, Zuweiser, Tarifpartner) zentral [9, 10].
Die Analyse der ANQ-Daten zeigte den Klinikfaktor als entscheidenden Prädiktor für Non-Response bei PROMs (Abbildung). Die Unterschiede zwischen den Kliniken können nicht aus den vorhandenen patientenbezogenen Daten erklärt werden. Deshalb steht die Vermutung im Raum, dass es in den Kliniken unterschiedliche Umsetzungsstrategien gibt und dass sich diese auf die Non-Response-Quoten auswirken.
Abbildung: Non-Response-Quoten MacNew-Stichprobe im Klinikvergleich, Kardiale Rehabilitation 2021(adaptierte Darstellung von Abbildung 3 aus [11]).

Führung als Erfolgsfaktor

Aktuelle Forschungsliteratur weist darauf hin, dass die Einstellung der Führung gegenüber der Patientenperspektive entscheidend für die erfolgreiche Implementierung von PROMs im Klinikalltag ist [8, 12]. Betrachtet die Direktion die Patientenperspektive als wichtig und nützlich, entsteht eine PROMs-fördernde Betriebskultur und ein patientenzentriertes Management. Es werden interne Verfahrensregelungen zu PROMs definiert und finanzielle Mittel, zum Beispiel für die digitale Einbettung der Assessments oder für die Schulungen der Mitarbeitenden, gesprochen. Wenn Health Care Professionals die Patientenperspektive hoch bewerten und die PROMs-Ergebnisse unmittelbar in die Behandlung einfliessen, vermitteln sie Kolleginnen und Kollegen sowie Patientinnen und Patienten, dass sich das Ausfüllen der Fragebogen lohnt. Die klinikinterne Haltung zu PROMs schlägt sich deutlich in den Non-Response-Quoten nieder. Diese Quoten können deshalb Grundlage interner Verbesserungsprozesse bilden. Zudem ermöglichen sie interklinische Vergleiche.

Gemeinsam in der Verantwortung

Es wird immer einen gewissen Anteil an Patientinnen und Patienten geben, die das Ausfüllen von PROMs-Fragebogen ablehnen beziehungsweise nicht in der Lage sind, den Fragebogen zu verstehen und auszufüllen. Wenn der messbare Patientenblickwinkel wirkliche Wertschätzung in der Gesundheitsversorgung erfahren soll, sollten diese Assessments den Patientinnen und Patienten direkt zugutekommen, zwingend in die klinischen Behandlungspfade eingebunden und die Ergebnisse für die klinikinterne kontinuierliche Qualitätsentwicklung genutzt werden. Wünschenswert ist, dass die mit der PROMs-Implementierung und -Erhebung verbundenen Mehraufwände der Leistungserbringer anerkannt und vergütet werden. Bestimmte PROMs-Herausforderungen diskutiert der ANQ aktuell für seine Messvorgaben, etwa zusätzliche Sprachversionen der Fragebogen. Für die Stärkung von PROMs ist es jedoch unerlässlich, dass sich alle an der Patientenbehandlung unmittelbar oder mittelbar Beteiligten für die zunehmende Implementierung einsetzen. Diese Initiative kann in der häufig intersektoralen Behandlungskette nicht von einem Leistungserbringer beziehungsweise einem Player allein umgesetzt werden. Vielmehr ist eine übergeordnete Koordination zwingend notwendig – auch um eine Überforderung der Patientinnen und Patienten mit zu vielen Fragebogen zu vermeiden. Diese Koordination ist – ganz im Sinne der Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes KVG [13] zur Stärkung der Qualität – auf nationaler Ebene anzusiedeln.
1 Hostettler S, Kraft E, Bosshard C. Patient-reported outcome measures: Die Patientensicht zählt. Schweiz Ärzteztg. 2018; 99(40): 1348–1352.
3 Busch P. 10 Jahre ANQ – Qualitätsmessungen in Spitälern und Kliniken. Competence. 2019; 11: 10–11.
5 Köhn S, Schlumbohm A, Marquardt M, Scheel-Sailer A, Tobler S, Vontobel J, Menzi L. Predicting non-response in patient-reported outcome measures – Results from the Swiss national external quality assurance program in cardiac inpatient rehabilitation. Journal of Quality in Health Care. 2022; 34 (4), DOI: 10.1093/intqhc/mzac093
6 Höfer S, Benzer W, Brandt D, Laimer H, Schmid H, Bernardo A et al. MacNew Heart Disease Lebensqualitätsfragebogen nach Herzinfarkt. Zeitschrift für klinische Psychologie und Psychotherapie. 2004; 33(4): 270–280.
7 Höfer S, Saleem A, Stone J, Thomas R, Tulloch H, Oldridge N. The MacNew Heart Disease Health-Related Quality of Life Questionnaire in patients with angina and patients with ischemic heart failure. Value in health. 2012; 15(1): 143–150.
8 Steinbeck V, Ernst S, Pross C. Patient-Reported Outcome Measures (PROMs): Ein nationaler Vergleich. Herausforderungen und Erfolgsstrategien für die Umsetzung von PROMSs in Deutschland. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung; 2021.
9 Amini M Oemrwasingh A, Verweij L, Lingsma H, Hazelet J, Eijkenaar F et.al Facilitators and barriers for implementing patient-reported outcome measures in clinical care: a academic center’s initial experience. Health Policy. 2021; 125: 1247–1255.
10 Forster A, Croot L, Brazier J, Harris J, O’Cathain A. The facilitators and barriers to implementing patient reported outcome measures in organisations delivering health related services: a systematic review of reviews. Journal of Patient-Reported Outcomes. 2018; 2:46.
11 ANQ, Nationaler Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken, Charité, Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft (2022). Kardiale Rehabilitation. Nationaler Vergleichsbericht. Bern: 2021.
12 Taylor N, Clay-Williams R, Hodgen E, Braithwaite J, Groene O. High performing hospitals. A qualitative systematic review of associated factors and practical strategies for improvement. BMC Health Services Research 2015; 15: 244–266.
13 Die Revision zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit: Art. 58 KVG trat am 1. April 2021 in Kraft.