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Hintergrund
Ausgabe
2023/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21380
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(03):14-18

Publiziert am 17.01.2024

ZulassungssteuerungDie Zulassung ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte soll beschränkt werden. Welche Risiken und Nebenwirkungen für die Fachkräfte und das Gesundheitswesen zu erwarten sind – und was die Ärzteschaft davon hält.
Die Kantone sollen die Zulassung von ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten beschränken, die zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen. Sie haben noch bis zum 30. Juni 2023 Zeit, um die neue Regelung umzusetzen. Welche Folgen wird das für die Ärzteschaft haben? Wir haben Vertreterinnen und Vertreter von Fachgesellschaften und Berufsverbänden gefragt, wie sie dieses Thema bewerten.
Es gibt neue Regeln für die Zulassung ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte, die auch Höchstzahlen beinhalten.
© Erwan Hesry / Unsplash
Nora Bienz, Vizepräsidentin des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte, sieht in der Neuregelung zwar manche Vorteile: So müssen etwa Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland Sprachkompetenzen nachweisen und mindestens drei Jahre lang in einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben. Aber sie warnt vor den Nebenwirkungen der Zulassungssteuerung: Erfahrene Medizinerinnen und Mediziner bleiben bei einem Zulassungsstopp länger im Spital, wodurch es weniger Stellen für Nachwuchskräfte gibt. Diese Sorge treibt auch Marc Reynaud de la Jara um, Vertreter der Swiss Medical Students’ Association.
Fulvia Rota, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, betont, dass die Kantone das ambulante Angebot unbedingt bedarfsgerecht steuern müssen. Doch Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbands, befürchtet, dass die Kantone das Angebot falsch steuern könnten.

«Missglückte Gesetzesvorlage»

Das Parlament hat in der Sommersession 2020 nach jahrelangem Ringen in einer KVG-Reform das Zulassungsrecht für Leistungserbringer im Gesundheitswesen überwiesen. Ende Juni 2021 hat der Bundesrat das Ausführungsrecht, das per 1.7.2021 in Kraft getreten ist, verabschiedet. Wenige Monate nach Inkrafttreten der Reform sind Vorstösse hängig, die eine Anpassung verlangen. Dies ist ein Indikator einer völlig missglückten Gesetzesvorlage. Dass insbesondere in ländlichen Gebieten ein Mangel an Grundversorgern besteht, ist bekannt. Man muss nur auf die überlasteten Notfallstrukturen hinweisen. Diese Überlastung ist zumindest teilweise auf die fehlenden Hausärzte zurückzuführen. Diesem Phänomen mit einer Beschränkung der Zulassungen zu begegnen, ist geradezu absurd. Das Gesetz weist aber auch weitere Probleme auf: Die Datenlage für die Berechnung der Versorgungslage und der notwendigen Vollzeitäquivalente ist völlig ungenügend. Dies führt zu Verzerrungen, die Gefahr, dass falsch gesteuert wird, ist immens.
Dr. med. Jürg Lareida ist Präsident des Aargauischen Ärzteverbands.
Die Entwicklung im Gesundheitswesen zeigt, dass die Konsultationen kürzer werden und die Zahl der Patienten zunimmt. Die Annahme, dass diese Zunahme arztgesteuert ist, entbehrt jeder Grundlage. So haben Erstkonsultationen zugenommen, was patientengesteuert sein muss. Werden nun Vollzeitäquivalente reduziert, führt das zu längeren Wartezeiten und einer qualitativen Verschlechterung der Versorgung. Krankheiten werden später erkannt und behandelt, was zu einer Zunahme der Hospitalisationen und zu einem Kostenanstieg führen wird. Zudem wird in der Bevölkerung die Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem abnehmen. Dabei gibt es auch Kantone, in welchen die Zulassungssteuerung funktioniert und Qualitätsansprüche berücksichtigt werden. So haben wir im Aargau mit der bisher gültigen Regelung gute Erfahrungen gemacht, ohne dass ein administratives Monster geschaffen wurde. Die dreijährige Tätigkeit an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte ist ebenso enthalten, wie die Voraussetzung die Sprache zu beherrschen (C1). Es ist zu hoffen, dass die eidgenössischen Räte diese gesetzliche Regelung grundsätzlich neugestalten.

«Es gibt viele Nebenwirkungen»

Von der Zulassungssteuerung sind unsere Mitglieder, die Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte in der Schweiz, wie kaum eine andere Gruppe innerhalb der Ärzteschaft betroffen. Der vsao begrüsst einzelne Elemente der Steuerung, insbesondere qualitätsorientierte, wie den Nachweis der Sprachkenntnisse und die Anforderung, drei Jahre an einer Schweizer Weiterbildungsstätte gearbeitet zu haben. Das schafft Anreize, die Weiterbildung in der Schweiz zu absolvieren und stellt sicher, dass die zugelassenen Ärztinnen und Ärzte mit dem Schweizer Gesundheitswesen vertraut sind und sich ausreichend verständigen können.
Dr. med. Nora Bienz ist Vizepräsidentin des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte.
Das dritte Element, die Definition von Höchstzahlen für einzelne Fachgebiete und Regionen, sehen wir aber kritisch. Die Datenbasis für die Berechnung der Höchstzahlen ist ungenau und beruht primär auf Schätzungen – auf dieser Grundlage fallen jedoch weitreichende Entscheide. Die Einschränkung der Wahlfreiheit von Ärztinnen und Ärzte bezüglich Spezialisierung und Niederlassung mag teilweise notwendig werden, es gilt aber die zahlreichen Nebenwirkungen zu beachten.
Eine Facharztausbildung dauert oft mehr als sechs Jahre. Ändern sich in diesem Zeitraum die Bestimmungen, ist das für die Betroffenen einschneidend. Die Karriereplanung in den Spitälern wird erschwert, da mit einem Zulassungsstopp Staus entstehen können. Erfahrene Ärztinnen und Ärzte bleiben länger als üblich im Spital, wenn der Weg in die freie Praxis versperrt ist. Junge Assistenzärztinnen und -ärzte können nicht nachrücken, sie bleiben stecken. Dies drückt auf die Motivation und führt längerfristig womöglich zu einer Reduktion der Weiterbildungsstellen. Ein weiterer zu befürchtender Nebeneffekt ist der Markt für Zulassungen, der entstehen kann. Ohne geeignete Gegenmassnahmen kann die Verknappung dazu führen, dass Zulassungen gehandelt werden. Dies erschwert jungen, weniger finanzstarken Personen den Weg in die Praxis. Immerhin bleibt den Kantonen viel Spielraum. Sie haben die Möglichkeit, die Versorgung zu sichern. Der vsao und seine Sektionen werden die nächsten Schritte der Kantone deshalb beobachten und sich für eine zurückhaltende Festsetzung der Höchstzahlen einsetzen.

​«Die Schweiz braucht mehr Pädiater»

Wir unterstützen die neuen Zulassungsbedingungen, weil sie die Qualität der pädiatrischen Versorgung sichern. Als Berufsverband ist es unser Ziel, dass niedergelassene Pädiaterinnen und Pädiater eine optimale Betreuung bieten und dabei alle erforderlichen Qualitätskriterien erfüllen. Auch wenn die neuen Regeln die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten, insbesondere von solchen aus dem Ausland, behindern und sie einige Jahre in einer Weiterbildungsstätte «blockieren» können, sind wir der Ansicht, dass sich dies letztlich positiv auf die Qualität der Versorgung auswirken wird. Allerdings sind wir derzeit mit einem Mangel an Kinderärztinnen und -ärzten konfrontiert, vor allem in den Randgebieten. Ohne mögliche Ausnahmen von der Zulassungssteuerung könnte er sich noch verschärfen. Daher ist es wichtig, dass der Bund den betroffenen Kantonen erlaubt, die Regeln zu lockern, um eine Verschärfung der Situation zu verhindern. In einigen Kantonen sind viele Praktizierende nicht mehr in der Lage, neue Patientinnen und Patienten aufzunehmen, weil sie nicht die Kapazitäten dafür haben. Manche Eltern haben daher keine andere Wahl, als in die Notaufnahme zu gehen, um ihr Kind aufgrund hohen Fiebers oder anhaltenden Hustens untersuchen zu lassen. Eine Verschiebung der Fälle in die Spitäler ist aber nicht wünschenswert, sondern sogar kontraproduktiv. Es scheint also offensichtlich, dass die Schweiz mehr praktizierende Pädiaterinnen und Pädiater braucht. Dieser Mangel wird sich angesichts der Anzahl der Babyboomer, die in den Ruhestand gehen werden, nicht von heute auf morgen beheben lassen. Zwar wurde die Zahl der Studienplätze für Medizin an mehreren Universitäten erhöht, aber das Studium dauert lange, ganz zu schweigen von der Spezialisierung. Ob die Zulassungssteuerung die Gesundheitskosten senken wird, weiss ich nicht. Denn die Pädiatrie ist ein Fachgebiet, das die Gesellschaft wenig kostet und nicht überversorgt ist. Die Konsultation besteht in erster Linie aus einem Gespräch, einer Anamnese und einer klinischen Untersuchung. Zusätzliche Untersuchungen wie eine Kernspintomografie werden nur selten durchgeführt. Auch eine Blutentnahme ist ein seltener Eingriff.
Prof. Dr. med. Nicolas von der Weid ist Vizepräsident von pädiatrie schweiz.

«Das Angebot sicherstellen»

Die Zulassungssteuerung geht für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie mit wichtigen qualitätssichernden Massnahmen einher. Indem ausländische Psychiaterinnen und Psychiater vor einer allfälligen Praxiseröffnung mindestens drei Jahre in einer SIWF-zertifizierten Institution gearbeitet haben müssen, machen sie sich mit dem lokalen Versorgungssystem vertraut. Jene, deren Muttersprache nicht Deutsch, Französisch oder Italienisch ist, verbessern ihre Sprachkenntnisse. Die Regelung hat überdies den Nebeneffekt, dass den Institutionen ärztliches Personal erhalten bleibt. Aber es stellt sich die Frage, ob es in der ambulanten Versorgung zu Engpässen kommen wird, zumal sich die Nachwuchsproblematik sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich zeigt. In der psychiatrischen Versorgung gibt es regional, aber auch zwischen Stadt und Land, grosse Unterschiede. Es ist deshalb wichtig, dass die Kantone im ambulanten Bereich das Angebot bedarfsgerecht steuern.
Dr. med. Fulvia Rota ist Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie.
In der Schweiz, wo die Psychiaterinnen und Psychiater als Grundversorger tätig sind, betragen die Kosten der psychiatrischen Versorgung gemäss einer Studie des BAG aus dem Jahr 2017 lediglich 9,2% der gesamten Gesundheitskosten. Sie sind damit halb so hoch wie etwa in den Niederlanden, wo Patientinnen und Patienten keinen direkten Zugang zu einem Psychiater, einer Psychiaterin haben. Auch sind in der Schweiz trotz tieferen Kosten die Wartezeiten bedeutend kürzer. In der Psychiatrie steht mit der Zulassungssteuerung im ambulanten Bereich deshalb nicht eine Begrenzung im Vordergrund, um eine kostendämpfende Wirkung zu erzielen. Vielmehr muss es darum gehen, dass das Angebot in der Psychiatrie und ärztlichen Psychotherapie gerade auch in der Peripherie bedarfsgerecht sichergestellt wird. Es ist wichtig, dass Patientinnen und Patienten rechtzeitig die optimale fachärztliche Behandlung erhalten. Die niederschwellige und frühzeitige Inanspruchnahme psychiatrischer Behandlungen vermeidet hohe volkswirtschaftliche Folgekosten. So verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine psychiatrische Erkrankung chronifiziert oder verschlechtert – und es zu Arbeitsausfällen oder Invalidität kommt.

«Wir sind besorgt»

Die Swiss Medical Students’ Association (swimsa) ist besorgt aufgrund der Umsetzung der Bedürfnisklausel und möchte die Aufmerksamkeit der Politik auf drei Punkte lenken. Unsere Sorge gilt zunächst unserer Integration als Assistenzärztinnen und -ärzte in Spitälern, sobald wir unser Studium abgeschlossen haben. Die Regeln werden nämlich für Fachkräfte, die ihre Ausbildung abschliessen, einen Anreiz darstellen, ihre Stelle in einem Spital zu behalten. Denn sie können ihre Tätigkeit im gewünschten Fachgebiet weiter ausüben, wenn sie am selben Arbeitsort bleiben. Eine Praxis im selben Kanton können sie hingegen nicht ohne Weiteres eröffnen. Wenn sich zu viele zum Bleiben entschliessen, wird der Überschuss an bereits erfahrenen Ärztinnen und Ärzten die Einstellung von jungen Personen, die eine Spezialisierung beginnen möchten, unsicher machen. Dieses Klima der Unsicherheit wird sich während der Einführung der Zulassungssteuerung verstärken und ein weiterer Grund für die Spitäler sein, das Risiko neuer Anstellungen von Assistenzärztinnen und -ärzten nicht einzugehen. Zweitens: Wie wird es um die Vorhersehbarkeit der Höchstzahlen bestellt sein? Welche Fachrichtungen werden betroffen sein und in welchem Ausmass? Dies wird zu einem der Schlüsselkriterien für die Entscheidung von Medizinstudierenden werden, die ihren Weg oft schon mehrere Jahre vor dem Abschluss ihres Studiums wählen. Es ist somit von entscheidender Bedeutung, dass die Zahlen der künftigen Zulassungen im Voraus zugänglich sind, damit die Studierenden diese wichtige Wahl in voller Kenntnis der Grenzen treffen können, die sie erwarten.
Marc Reynaud de la Jara ist Mitglied der Swiss Medical Students’ Association.
Schliesslich befürchten wir die Auswirkungen der Bedürfnisklausel auf die Attraktivität des Berufs und damit des Medizinstudiums. Wir beginnen heute unser Studium in der Annahme, dass wir später unser Arbeitsumfeld, also den Rahmen (Spital oder Praxis), den Kanton oder die Fachrichtung sehr frei wählen können. Diese Freiheit ermöglicht es uns, unsere persönlichen Stärken und Interessen mit unserer Berufung in Einklang zu bringen. Neue Ärztinnen und Ärzte könnten diese Freiheit verlieren, wenn die neue Regelung den Wettbewerb um Assistenzarztstellen zu stark erhöht.

«Der Mangel wird akzentuiert»

Bei den Vorgaben für die Zulassung zur OKP-Abrechnung geht mfe davon aus, dass diese zu einer Qualitätsverbesserung führen, was die Kosten und die Versorgung positiv beeinflussen wird. Auch für die kantonale Zulassungsbegrenzung dürfte dies gültig sein, da Überangebote in definierten Fachgebieten verhindert werden. Aus Sicht von mfe werden Höchstzahlen dazu führen, dass für gewisse Fachgebiete eine Praxiseröffnung am gewünschten Ort allenfalls nicht möglich sein wird. Auch kann es sein, dass durch die Zulassungsbegrenzung junge Ärztinnen und Ärzte ein Fachgebiet wählen, in welchem eine Praxiseröffnung problemlos möglich ist. Kantonale Höchstzahlen sind für eine Steuerung der Versorgung gemäss den Bedürfnissen der Bevölkerung durchaus sinnvoll. Voraussetzung dafür sind aktuelle und verlässliche Daten, und dass die kantonalen Gesundheitsbehörden ihre Verantwortung in der Sicherstellung der Gesundheitsversorgung wahrnehmen. Beides ist noch unzureichend und muss verbessert werden. Da Arbeitsstellen in Spitälern begrenzt sind, geht mfe nicht davon aus, dass junge Fachkräfte länger als bisher in der stationären Versorgung tätig sein werden. Die Zulassungskriterien haben direkte Auswirkungen für die Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte: Personen aus dem Ausland ohne gute Sprachkenntnisse und ohne Kenntnis unseres Gesundheitswesens können nicht mehr die von der Schweiz selbst verschuldeten Lücken füllen. Dies wird kurzfristig den Mangel akzentuieren. Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland können aber die geforderten drei Jahre Arbeit als angestellte Fachkräfte mit grundsätzlich eigenverantwortlicher ärztlicher Tätigkeit in Praxen absolvieren, die als Weiterbildungsstätten gelistet sind. Das wird längerfristig zu einer Qualitätserhöhung führen und den aktuellen Mangel in Grenzen halten.
Dr. med. Philippe Luchsinger ist Präsident Haus- und Kinderärzte Schweiz mfe.
mfe geht auch davon aus, dass die Qualitätsvorgaben dazu führen, dass Hausärztinnen und -ärzte gefördert werden, die integrativ arbeiten, die Kosten im Blick haben und unnötigen Spezialbehandlungen und Fragmentierung entgegenwirken. Die beste Massnahme zur Einsparung von Kosten ist aber, über genügend und gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte zu verfügen.